Wer den Brandesweg in Leipzig sucht, muss bis nach Lausen raus fahren. Möglichst bei gutem Wetter, Sonnenschein und so. Der See ist ja nicht weit. Und mit dem Burschen namens Brandes gibt es etwas zu feiern. Aber wer das war, das steht nicht am Wegesschild. Aber in diesem Buch steht es. Und wer die abendliche Wetterschau anschaltet, der hat Brandes' Erfindung vor Augen: Der Mann hat die Wetterkarte erfunden.

Vor so ziemlich genau 100 Jahren. Auch wenn meistens das Jahr 1826 genannt wird. Was auch stimmt, denn da veröffentlichte Brandes tatsächlich seine erste Wetterkarte, die gleich auf dem Cover des Buches abgebildet ist, das Michael Börngen geschrieben hat. Den Geophysiker Börngen kennen Leser der EAGLE-Bibliothek schon: Er hat dort schon eine ganze Reihe Bücher zur Geschichte der Meteorologie veröffentlicht. Da lag es nahe, dass er einen der Väter der Meteorologie mit einer eigenen Biografie würdigt.

1826 – da war Brandes schon in Leipzig. Zwei Jahre hatte das Ringen der Universität um seine Berufung gedauert. Die sächsische Regierung wollte nicht. Man hatte andere Ideen zur Besetzung des frei gewordenenen Physiklehrstuhls.

Dabei war es gar nicht selbstverständlich, dass man den Physiker und Astronomen aus Breslau abwerben konnte, denn der fühlte sich dort heimatlos. Der sehnte sich nach seiner Heimat an der Waterkant. Auch in Sachsen wäre er das gewesen. Leipzigs Vorteil, so vermutet Börngen: Hier lebte sein Schwiegervater. Was den Familienvater dann tatsächlich bewog, die erst 1811 nach Humboldtschem Vorbild gegründete Universität in Breslau zu verlassen, wo er einer der Gründungsprofessoren gewesen war. Auch das war dem Predigersohn aus Cuxhaven nicht in die Wiege gelegt. Eigentlich konnte sein Vater kein Studium für ihn bezahlen.

Aber Brandes ist ein typischer Fall – nämlich für das, was menschliche Neugier ausmacht und was Naturwissenschaften in die Welt gebracht hat. Börngen schildert es an Brandes’ frühem Interesse an Sternschnuppen, über die im Jahre 1798 durchaus noch kontrovers diskutiert wurde. Manche hielten sie für simple atmosphärische Erscheinungen. Brandes studierte in dieser Zeit tatsächlich noch – wollte eigentlich etwas ganz Praktisches werden, hatte Wasserbau als Berufsziel. So nebenbei erwähnt Börngen die Kommilitonen, auf die Brandes dort traf: einer hieß Carl Friedrich Gauß.

Aber noch besser wird’s mit seinen Professoren: Einer war ein gewisser Georg Christoph Lichtenberg, von dem die meisten Leute gar nicht wissen, dass er ein anregender Physiker war. Die meisten kennen nur seine herrlichen Aphorismen aus den Sudelbüchern. Aber wer bei diesem Lichtenberg Vorlesungen hörte, der lernte frühzeitig wissenschaftlich zu denken und sich Wege auszudenken, den Phänomenen der Welt auf die Schliche zu kommen. Den Sternschnuppen zum Beispiel.

Wie bekommt man heraus a) wie schnell sie sind und b) wie hoch sie fliegen? Und das mit einfachen Beobachtungen von der Erde aus?

Brandes hat es herausgefunden. Zeitlebens blieb er neben seinen mathematischen und physikalischen Ambitionen auch Astronom und Meteorologe. Für die Meteorologoie seiner Zeit war er maßstabsetzend. Mit Hochachtung reagierte ein gewisser Goethe in Weimar auf seine Arbeiten und ließ sich von Brandes’ Wolkenbeobachtungen begeistern. Und kurz schien es so, als könnte er ihm von Weimar aus helfen, das erste meteorologische Beobachtungsnetz für Europa auf die Beine zu stellen. Das war 1820.

Die Idee, die Brandes 1817 formuliert hatte, war einfach zu neu. Denn bevor einer auf die Idee kommt, eine Wetterkarte zeichnen zu wollen mit Wolken und Windrichtungen, Isobaren und Isothermen, muss erst einmal so eine Ahnung reifen, dass Wetterphänomene etwas Großes sind, das über die lokalen Ereignisse deutlich hinausgeht. Immerhin  gab es ja keine Satelliten zu Brandes’ Zeit. Man konnte also nicht einfach sehen, wie sich Hoch- und Tiefdruckgebiete aufbauten, Stürme zusammenbrauten, Warm- und Kaltluftfronten aufeinanderprallten. Brandes war der Erste, der die verschiedenen Wetterbeobachtungen aus aller Welt zusammendachte und die Kollegen Meteorologen konkret zu bestimmten Daten abfragte. Erst so entstand das erste Bild von gleichzeitig stattfindenden Wetterphänomenen in Europa. Das Einzelne wurde endlich zusammengeführt – es entstand die synoptische Meteorologie. Die wir heute von den Wetterkarten in den Nachrichten kennen.

Auch wenn dann die erste Wetterkarte, die Brandes 1826 veröffentlichte, doch noch nicht so aussah, wie er sich das selbst mal vorgestellt hatte – mit Wölkchen und Windpfeilen. Aber er hat die Grundlagen dafür gelegt: 1817 – wenn auch erst mit Worten. Der Rest war dann reine Fleißarbeit, die irgendwann auch zu vernetzten meteorologischen Beobachtungen in Deutschland, Europa und der Welt wurde.

Ein langes Wirken war Brandes in Leipzig nicht gegeben. 1834 starb er an einer Lungenentzündung. Dabei hatte er noch große Pläne. Er skizzierte die Räume und die Ausstattung für den Physiklehrstuhl im neuen Gebäude der Universität am Augustusplatz – und es wurde auch so umgesetzt. Aber die Eröffnung des neuen Gebäudes fand erst 1836 statt. Und nach Brandes’ frühem Tod tat sich die Universität wieder schwer, einen Nachfolger zu finden. Den fand man dann 1837 in Wilhelm Eduard Weber, über dessen Namen man auch irgendwie stolpert. Kennt man den? Ja: Er war einer von den Göttinger Sieben, von denen uns jüngst erst Jakob und Wilhelm Grimm begegnet sind.

So klein war die Welt damals. Nur ein Grab von Brandes hat sich nicht erhalten. Und auch kein Porträt, das ihm eindeutig zuzuordnen wäre. Deswegen muss die Wetterkarte für diesen Mann stehen, der sich zu seiner Zeit einen geachteten Namen gemacht hat. Der aber auch für den Anspruch steht, mit dem damals die Universität Leipzig daran arbeitete, zu einer der wichtigsten Forschungsstätten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften in Deutschland zu werden. Brandes gehört ganz vorn in die Reihe der prägenden Professoren. Die Wetterkarte erinnert an ihn.

Michael Börngen “Heinrich Wilhelm Brandes (1777 – 1834). Erfinder der Wetterkarte, Leipzig 1817 / 1826”, Edition am Gutenbergplatz, Leipzig 2017, 19,50 Euro

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