Wir leben in einer Welt der Scheindebatten: Medien und Politiker reden über Dinge, die völlig unwichtig sind, über Probleme, die gar nicht existieren. Doch die wirklichen Probleme kochen unter unseren Füßen. Und niemand kümmert sich drum. Außer zwei Herren, die mit ihren Büchern schon regelrecht Alarm geschlagen haben. Nun haben sie mit Götz W. Werner einen weiteren Mitstreiter ins Boot geholt.
Werner ist Gründer der dm-Drogeriemarktkette und ein gut hörbarer Verfechter des Grundeinkommens, das über kurz oder lang kommen muss. Es wird gar nicht anders gehen. Im Grunde haben Matthias Weik und Marc Friedrich sich mit Werner zusammengetan, weil sie regelrecht darüber gestolpert sind, wie sehr ihre Analyse der aktuellen Finanzpolitik mit den radikalen wirtschaftlichen Veränderungen weltweit mit der Frage zusammenhängt, wie Menschen künftig überhaupt noch ein belastbares Einkommen haben sollen. Denn eine Erkenntnis kann man kaum noch negieren: Der Kapitalismus hat in einem seiner zentralen Tätigkeitsfelder Erfolg – durchschlagenden Erfolg.
Seit 300 Jahren kennt er im Grunde nur eine grundlegende Aufgabe: menschliche Arbeit immer mehr zu ersetzen durch maschinelle Arbeit, sie regelrecht überflüssig zu machen. Eigentlich ein zutiefst humanistischer Vorgang: Statt im Schweiße ihres Angesichts, mit Müh und Plagen das Lebensnotwendige herzustellen und dabei gerade so über die Runden zu kommen, wie das für die Menschen des Mittelalters noch der Normalzustand war, stellt heute kaum noch jemand irgendetwas her. Die Arbeitsteilung ist so ausgereift, dass in Deutschland niemand mehr irgendetwas für seinen Lebensunterhalt herstellen muss. Es gibt alles zu kaufen.
Und auch das Gefühl, dass dafür Millionen Menschen in China und anderswo wieder malochen wie die Sklaven, trügt in gewisser Weise. Das ist nur für einen Teil der Produkte so. Für die meisten – schon gar die technologischen Wunderspielzeuge unserer Gegenwart – sind auch im fernen Asien hochmoderne Fabriken mit sterilen Taktstraßen hochgezogen worden, in denen vor allem Roboter die Arbeit machen. Und der Trend zur Comupterisierung der Wirtschaft geht weiter. Mit Industrie 4.0 werden jetzt auch Arbeitsplätze ersetzt, die vorher von hochqualifizierten Spezialisten besetzt wurden.
Dahinter steckt natürlich keine Caritas, sondern das knallharte Denken von Buchhaltern, die jede winzige Marge auskundschaften, wo die Herstellungskosten für Produkte immer weiter reduziert werden können. Und da taucht eines der Probleme der modernen Wirtschaft auf: Menschen erscheinen in solchen Kalkulationen immer als Ausgabeposten. Und die Gurus der modernen Technologien kennen derzeit kein anderes Thema mehr, als die völlige Entfernung des Menschen aus der Arbeitswelt.
Man kann sich an den Kopf fassen und sich fragen, wo diese Leute ihren Verstand gelassen haben. Aber Rückhalt haben sie durch all die Unternehmer weltweit, die genau auf diese Kosten schauen. Und selbst wenn es nur Cent-Beträge sind, die sie gewinnen, dann ersetzen sie trotzdem den Kraftfahrer durch einen selbststeuernden Lkw, den Chefdispatcher durch einen Computer, der die Logistik in Sekundenbruchteilen umorganisieren kann, und den Taxifahrer durch selbstfahrende I-Taxis. Das alles wird kommen. Wir steuern auf eine Arbeitswelt zu, in der immer weniger Menschen gebraucht werden.
Eigentlich allein das schon eine Denksportaufgabe für Politiker, wenn es denn noch welche gäbe, die fähig sind, Zukunft zu gestalten und sich von den alten, dummen Märchen zu verabschieden, der Mensch an sich sei ein faules Schwein.
Logisch, dass alle drei Autoren sehr ausgiebig auf die Debatten zum Grundeinkommen eingehen und all die scheinheiligen Vorurteile derer, die die Einführung des Grundeinkommens mit der Behauptung bekämpfen, die Menschen würden dann nur noch faul in der Hängematte liegen, auseinandernehmen. Sie erläutern sehr genau, warum es nicht nur an der Zeit ist, das Grundeinkommen einzuführen, sondern warum es ein Grund- und Menschenrecht ist und unsere Gesellschaft einen Teil der um sich greifenden Panik nehmen würde. Und dass ganz bestimmt nicht das passieren wird, was die gedanklichen Sklaventreiber unter uns immer befürchten. Denn selbst große Umfragen zeigen etwas völlig anderes: Die absolute Mehrheit der Befragten würde auch mit Grundeinkommen versuchen, eine sinnstiftende Arbeit zu finden und sich auch noch etwas dazuverdienen. Denn Grundeinkommen heißt ja nur, dass die Grundbedürfnisse befriedigt sind. Nicht mehr. Der Mensch aber hat Wünsche und Träume und ist allein zu deren Erfüllung bereit, auch richtig ranzuklotzen, sogar Arbeiten zu übernehmen, die überhaupt keine Freude machen.
Und wer aufmerksam liest, der bekommt auch mit, dass ausgerechnet die verkorkste Arbeitsmarktreform in Deutschland bewiesen hat, dass es so ist: Hunderttausende Menschen gehen lieber für Niedriglöhne jobben, als sich in die „Hängematte“ der ALG-II-Spendabilität zu legen. Selbst Star-Ökonom Marcel Fratzscher bekam dafür nun in der „Zeit“ ein sauberes Kontra. Eigentlich ist er als kritischer Kopf unter den deutschen Ökonomen bekannt – aber die alten neoliberalen Märchen über die Natur des Menschen sitzen tief. Und sie bestimmen fast alle deutschen Wirtschaftslehrstühle. Sie zementieren Vorurteile – und strotzen von einer systematischen Verachtung des arbeitenden Menschen.
Was Teil der heutigen Schieflage der Welt ist. Es geht nicht um die Verteilung von Armut und Reichtum. Es geht um die schleichende Erodierung unserer Gesellschaft, das um sich greifende Gefühl einer Panik, die immer mehr Bevölkerungsschichten erfasst. Und um das Wissen darum, dass alle verantwortlichen Politiker 2008 zu feige waren, die tickenden Finanzmärkte zu regulieren und das Geldsystem wieder auf ein stabiles Fundament zu stellen. Die riesigen Finanzblasen wurden nicht entschärft, die Regularien für die Banken sind windelweich und mit der Null-Zins-Politik entzieht die EZB der europäischen Wirtschaft die Grundlage. Die Zeitbombe tickt.
Mehrfach haben Weik und Friedrich erklärt, was passieren muss, um diese gigantischen Bomben zu entschärfen. Mit Betonung auf muss. Denn was die EZB und andere Globalbanken treiben, ist nichts anderes, als Spiel auf Zeit. Sie pumpen immer mehr billiges Geld in die Märkte, um irgendwie die Sache am Laufen zu halten – doch dieses ganze billige Geld erzeugt keine neuen Investitionen und auch keinen wirtschaftlichen Aufschwung. Es ermutigt die Banken nur dazu, neue waghalsige Wetten abzuschließen. Und wenn, dann fließt es in die Taschen der Superreichen, die eh nicht mehr wissen, wohin damit – also fließt es in weitere riskante Wetten, Anlagen und Fonds. Die Blase bläht sich immer mehr auf.
Die drei Autoren werden sehr deutlich: Parteien, die zur Bundestagswahl keine klaren Rezepte zur Regulierung der Finanzmärkte vorlegen, sind nicht wählbar. Sie riskieren die Existenz unserer Gesellschaft. Denn der nächste Finanzkrach wird alle überfordern. Es wird keinen Staat mehr geben, der diese Kettenreaktion stoppen kann.
Im Grunde sind es drei parallele Krisen, die Weik, Werner und Friedrich hier abhandeln. Alle hängen sie miteinander zusammen und alle brauchen sie ein echtes politisches Umdenken. Alle drei unterminieren unsere Gesellschaft: die Krise der Arbeitseinkommen (Thema Grundeinkommen), die bis heute gärende Finanzkrise (Stichwort: Finanzmarktregulierung, bei Weik und Friedrich auch die Forderung zum Ausstieg aus der Mega-Währung Euro) und die Krise der Staatsfinanzen, die dringend eine echte Steuerreform braucht, weg von der Maximalbelastung der Arbeitseinkommen (die ausgerechnet den wichtigsten Faktor im Wettbewerb unsinnig teuer macht, nämlich die Arbeit), hin zu einer Konsumsteuer, aus der sich die Reichen und Gierigen nicht mehr heraustricksen können, wie das heute noch der Fall ist.
Das Buch ist eigentlich ein kleines Manifest, nur dass es nicht an eine Partei appelliert, sondern an die Vernunft in den politisch denkenden Menschen.
Und es ist eine Streitschrift, die einmal mehr darauf hinweist, wie sehr alle politischen Debatten heute an den wichtigsten und größten Problemen unserer Zeit vorbeigehen. Was möglicherweise genau so gewollt ist. Es gibt genug Akteure, die gar nicht wollen, dass über das Eigentliche öffentlich diskutiert wird. Als Lobbyisten marschieren sie nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin in allen möglichen Ministerialbüros aus und ein, schreiben an Gesetzen mit und sorgen dafür, dass konfliktscheue PolitikerInnen von „alternativlos“ reden, wo die Alternativen allesamt auf der Hand liegen und nur durchgerechnet und umgesetzt werden müssen.
Jetzt.
„Ansonsten kann nur gelten: Einmischen!“, schreiben die drei.
Und um es noch einmal zu betonen, weil es mittlerweile wirklich brennt: „Parteien, die zum Thema Finanzmarktregulierung nichts Substanzielles im Wahlprogramm stehen haben, erklären wir für unwählbar.“
Matthias Weik; Marc Friedrich Sonst knallt’s, Eichborn Verlag, Köln 2017, 10 Euro.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
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