Seit dem 5. April ist im Zeitgeschichtlichen Forum die Ausstellung „Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm“ zu sehen. Vorher war sie in Bonn im Haus der Geschichte zu sehen. Den Ausstellungsmachern ist durchaus bewusst, wie stark Filme und Serien die Sicht der Deutschen auf ihre Geschichte beeinflussen. Manche kennen Geschichte überhaupt nur durch Filme. Ein ganz heißes Eisen.

Was das Begleitbuch zur Ausstellung noch deutlicher macht. Besonders Silke Satjukows Beitrag „Geschichtsaneignung in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts“ bringt es auf den Punkt. Wir leben in einer Gesellschaft der permanenten Unterhaltung. Und die Wahrnehmung des breiten Publikums erreichen Themen erst, wenn sie unterhaltsam in Kino und Fernsehen präsentiert werden. Was aber auch heißt: Erst die Inszenierung macht historische Stoffe für die Mehrheit des Publikums überhaupt erst (be-)greifbar.

Es sind lauter kleine Nebensätze, Verweise auf Zuschauerzahlen in Kinos und im TV, auf Zuschauerreaktionen und mediale Aufbereitungen und Skandalisierungen, die aufmerken lassen. Es sind aber auch die Reflexionen von Regisseuren, denen sehr wohl bewusst ist, dass es ohne starke Emotionen, rührende Storys, markante Darsteller nicht geht. Dazu gibt es mehrere Interviews im Buch. Auch mit Schauspielerinnen, Drehbuchautoren, Historikern. Denn 60 Jahre historischer Film in Deutschland erzählt auch vom Bemühen, den tatsächlichen Ereignissen gerecht zu werden.

Was gar nicht so einfach ist. Auch weil das Publikum oft noch gar nicht so weit ist. Oder so weit zu sein scheint. Was die historischen Filme etwa der 1950er Jahre zum 2. Weltkrieg oft genug heute ungenießbar macht. Noch war die Gesellschaft scheinbar nicht so weit, sich der eigenen Schuld wirklich zu stellen. Das dauerte bis in die Kinder- und Enkelgenerationen hinein. Was nicht nur mit Verdrängung zu tun hatte. Filme über Täter, die nach dem Krieg wieder Karriere machten, waren durchaus erfolgreich.

Aber was sich damals kaum jemand eingestand, war, dass Krieg und NS-Diktatur das deutsche Volk auch traumatisiert hatten. Das ist das eigentlich Spannende, wenn man hier – in vielen kleinen Beiträgen – sieht, wie sich das Verständnis von Geschichte, die Sicht auf Themen und der Umgang mit dem Material im Film immer wieder änderten: Wie gerade dieser Umgang auch die Gesellschaft veränderte, wie man sich nach und nach den verdrängten Leiden und den Gefühlen der Schuld stellte und sie auch bereit war zu (er-)tragen. Und dass auch Themen, von denen die Verantwortlichen glaubten, sie würden keine Akzeptanz beim Publikum finden, auf einmal doch für Furore sorgten und für notwendige und überfällige Diskussionen. Die Reaktionen auf die TV-Serie „Holocaust“ von 1979 zeigen, dass so ein Film, der die Verfolgung und Vernichtung von Juden in Deutschland am Beispiel einer jüdischen Familie nachvollziehbar macht, auch als Befreiung empfunden werden konnte.

Da ist es eher erstaunlich, dass in diesem reich bebilderten Buch nicht auch Psychologen zu Wort kommen. Dass die Deutschen ihre Verstrickungen in das NS-Regime und die vielfachen Verbrechen massiv verdrängten bis weit in die 1960er Jahre, das ist bekannt. Aber das lag nicht unbedingt an den vielen kleinen Tätern und Mitläufern. So seltsam das klingen mag. Auch wenn es die Kinder und Enkel bis in die jüngere Vergangenheit selbst erlebten, dass ihre Eltern und Großeltern über die Schuld und das Leid nicht sprechen konnten.

Aber das hat immer zwei Seiten. Und gerade in der Filmpolitik wird deutlich, wie sehr es auch die neuen Regierenden und Verantwortlichen nach 1945 vermieden, das Trauma zu thematisieren. Sie waren es zuallererst, die es zum Tabu machten oder uminterpretierten und damit instrumentalisierten – im Osten nachvollziehbar am Umgang mit dem Bestseller von Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“, den Apitz mehrfach entschärfen und anpassen musste, bis er der kommunistischen Parteilinie entsprach. Das änderte nichts an der zugrunde liegenden zutiefst humanistischen Geschichte. Aber es hatte eine Menge mit dem Trauma der überlebenden Kommunisten zu tun, die sehr gern so menschlich und standhaft geblieben wären, wie sie dann der DEFA-Film zeigte.

Doch die Wahrheit sah anders aus. Damit haben sich gerade neuere Forschungen zu Buchenwald, zur dortigen Rolle der Kommunisten und zu Apitz’ Buch beschäftigt. Die Buchenwald-Legende wurde zwar einerseits auch zum Gründungs-Mythos der DDR. Aber gleichzeitig kaschiert sie das Trauma der regierenden Kommunisten, die eben nicht aus eigener Kraft an die Macht gekommen waren und schon gar nicht mit ungebrochenen, klaren Lichtgestalten an der Spitze. Das Trauma sind die Funktionäre bis zuletzt nicht losgeworden. Man geht nicht wirklich in Psychotherapie, wenn man eigentlich unkritisiert regieren möchte.

Und das Verblüffende: Denen im Westen ging es genauso. Und zwar gerade im Umgang mit dem heute so gefeierten Widerstand um den 20. Juli. Immerhin ging es in den 1950er Jahren auch um die Wiederbewaffnung und den Aufbau der Bundeswehr. Da schien man Geschichten um tapfere, aber missbrauchte Soldaten besser zu gebrauchen, als Geschichte um Offiziere, die ihre Skrupel in Taten gegen die Oberbefehlshaber ummünzen.

Die Kritik an der unterdrückten Vergangenheitsbewältigung versteckte sich dann eher in Komödien wie „Das Spukschloss im Spessart“, das eben doch erfolgreich war und das Publikum keineswegs erschreckte. So ganz beiläufig erweist sich die Behauptung, die Deutschen wären für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit noch nicht bereit gewesen, als neuerliche Schutzbehauptung.

Das ist auch die Stelle, an der einem bewusst wird, wie stark aus westlicher Sicht die Ausstellung dann doch gedacht wurde. Es tauchen zwar in jedem der sieben Kapitel auch exemplarische Beispiele aus der DEFA-Produktion auf. Doch als Maßstab, inwieweit sie Geschichte einrucksvoll und stimmig dargestellt haben, gilt jedes Mal die westliche Filmproduktion.

Und was nicht passt, kommt erstaunlicherweise nicht vor. Was nicht unbedingt am Bemühen der Ausstellungsmacher liegt. Es liegt eher am Thema. Denn tatsächlich ist die Produktion historischer Filme im Osten wesentlich komplexer, als es so eine komprimierte Ausstellung zeigen könnte. Sie ist eigentlich eine eigene Beschäftigung wert. Und dass sie nicht „passt“, hat damit zu tun, dass die Konjunkturen in Ost und West nicht wirklich parallel liefen.

Und die Lösungen der Regisseure sahen auch zwangsläufig anders aus. Warum, das erfahren die Leser gerade einmal am Beispiel von Konrad Wolfs Film „Ich war neunzehn“ von 1968.

Dafür fehlen eindrucksvolle Verfilmungen wie „Jakob der Lügner“ von 1974, „Die Abenteuer des Werner Holt“ von 1964/1965“ oder „Levins Mühle“ von 1980.

In der Ausstellung fällt das noch nicht so auf, beim Blättern im Buch dann schon. Erst recht, wenn man weiß, wie zäh und oft ermüdend die Kämpfe der ostdeutschen Regisseure um ihre Filmstoffe und die Drehgenehmigung meist waren, wie rigide zensiert wurde und wie rabiat das 11. Plenum des ZK der SED auch die besten Filme dieser Zeit erwischte, etwa „Das Kaninchen bin ich“, das genauso in so eine Ausstellung wie die jetzige gehört hätte wie „Spur der Steine“.

Mit verbalen  Keulen wie Nihilismus, Skeptizismus und Pornographie fielen die Funktionäre über Filme, Theaterstücke und Bücher her. Alles Worte, die eben nicht nur den stalinistischen Sprachgebrauch zeigten, sondern auch die ganz funktionale Angst der Funktionäre vor der Begegnung mit ihrem eigenen Trauma. Den Humanismus hatten sie zur großen Glanzvokabel aufpoliert – aber auf alle künstlerischen Werke, die wirklich nach dem Maß des Menschlichen in der jüngeren Geschichte fragten, reagierten sie allergisch. Und mit Zensur. Oder später dann mit Verbot oder Ausbürgerung.

Die Biermann-Affäre selbst war schon schlimm genug. Aber der Aderlass an sensiblen Autoren, Schauspielern und Regisseuren danach war noch schlimmer. Denn bei allem rigiden Hineinregieren, ist gerade die Gesamtschau allein der DEFA-Filme ein verblüffendes Erlebnis: Die besten waren und sind bis heute sehr intensive und emotionale Auseinandersetzungen mit aktuellen Zeitbezügen und jüngster Geschichte.

Auch den ebenfalls von Konrad Wolf gedrehten Film „Der geteilte Himmel“ nach Christa Wolfs Buch vermisst man.

Und da hilft auch nicht das siebente Kapitel in Ausstellung und Buch „Die DDR im Spielfilm nach 1989“, in dem sich die Autoren durchaus klug mit den verzögerten Anfängen beschäftigten, den Mauerfall, die „Wende“ und die Stasi zu thematisieren. Oder auf die geschlossene Gesellschaft der DDR zu reflektieren – wie in „Der Turm“ oder „Weißensee“. Was einen sofort darüber stolpern lässt, dass ausgerechnet „Nikolaikirche“ fehlt.

Aber gerade das macht auch deutlich, wie sehr die Sicht auf den Osten und seine Geschichte ab 1990 vom Westen und seiner bis heute anhaltenden Außensicht geprägt ist. Während viele Filme aus der westlichen Produktion im Osten durchaus rezipiert wurden (und auch für Diskussionen sorgten), haben Filme aus der DEFA-Produktion selten die Aufmerksamkeitsschwelle des Westens überschritten. So dass sie auch nicht zur gemeinsamen Erinnerung gehören.

Auch das so eine erstaunliche Erkenntnis, wie tief die Entfremdung zwischen beiden Landesteilen noch immer ist. Was natürlich dazu führt, dass die Darstellung des Ostens meist zwischen „Go Trabi, go“ und „Good bye, Lenin“ changiert. Nicht SED und Stasi hat man aus der Erinnerung geschmissen, sondern die ganze intensive Welt der durchaus kritischen, sensiblen und zerrissenen Autoren, Filmemacher und Schauspieler. Manfred Krug taucht zwar beiläufig auf – aber es wird nicht einmal deutlich, wie sehr dieser Schauspieler auch als kantiges und trotzdem sensibles Gegenbild zur Funktionärswelt begriffen – und verehrt – wurde. Als Manfred Krug in den Westen ging, war das viel einschneidender und ernüchternder als die Ausbürgerung Biermanns.

Dabei sind Buch und Ausstellung tatsächlich sehenswert, ein guter und aufmerksamer Blick auf die Veränderung der Wahrnehmung der eigenen Geschichte, wie sie vor allem im westdeutschen Film passierte. Die wenigen wahrgenommenen Filme aus DEFA-Produktion zeigen tatsächlich, wie wenig der Westen bis heute vom Osten tatsächlich wahrgenommen hat, wie man sich – auch bei den honorigen Landessendeanstalten – in Schablonen, Stereotypen und Vorurteilen bewegt. Und dass das Dilemma der deutsch-deutschen Einvernahme vor allem darin besteht, dass man dem Osten gleich eine Geschichtsinterpretation verpasst hat, die eigentlich nur platt und lächerlich ist. Kein Wunder, dass sich eine Menge Leute genarrt und veräppelt fühlen und nicht nur um ihre Geschichte, sondern auch ihr Land betrogen.

Diese Vereinigungsübung ist also irgendwie ziemlich in die Hose gegangen. Man ist sich so fremd geblieben wie zuvor. Nur dass  jetzt mal die Anderen beleidigt sind, weil sie sich nach all der brüderlichen Hilfe von den Einen so schlecht verstanden fühlen.

Auch die Frage wird angerissen, ob nun Filme wie „Die Flucht“ von 2007 so eine Art Neugründung einer deutsch-deutschen Gemeinsamkeit sind. Aber das Gefühl will sich nicht einstellen. Dazu sind die Debatten um eindrucksvolle Filme in diesem Buch viel zu sehr westlich. Was übrigens auch daran liegt, dass einerseits die DDR leider keine große Medienlandschaft hatte, die diese Debatten reflektieren konnte. Die wichtigsten Debatten fanden vor allem in Literaturzeitschriften statt – man denke an die einschlägige Rolle von „Sinn und Form“. Da im Osten fehlen die großen Streiter von „Spiegel“ bis „FAZ“. Auch das gehört zur ostdeutschen Tragik. Denn so artikuliert sich zwar der Westen wortgewaltig in den Archiven – der Osten aber schweigt. Zumindest, bis sich die ersten Autoren finden, die die eigentlichen Debatten des Ostens endlich auch einmal aufbereiten. In einigen der wichtigsten Filme spiegelten sie sich. Aber da denkt man eher nicht an „Wege übers Land“, sondern an „Karbid und Sauerampfer“ (1963) oder „Daniel Druskat“ (1976).

Erstaunlich, was einem da alles so einfällt, wenn man erst einmal die Lücken sieht und sich bewusst wird, wie sehr die Inszenierung von Geschichte immer ein Wechselspiel nicht nur der Filmemacher mit dem Publikum ist, sondern noch viel stärker eines mit den Verantwortlichen, den Geldgebern, Programmgestaltern, Politikern und Kritikern. Die allesamt meist ziemlich daneben lagen, wenn es um die Einschätzung ging, was dem Publikum eigentlich zuzumuten ist, und was nicht.

Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm, Kerber Verlag, Bielefeld 2016, 19,90 Euro.

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