Kann man Gedichte zelebrieren wie ein Jazz-Konzert? Kann man. Alles kein Problem. Dass sich Nora Gomringer nicht scheut, mit Musikern zusammen ins Studio zu gehen, hat sie zum Beispiel 2013 gezeigt, als sie mit dem Dresdner Wortart Ensemble eine Scheibe Lyrik einspielte. Eigentlich auch das schon ein hörbarer Beweis: gute Lyrik ist Jazz. Theater sowieso. Und bei Gomringer: unterhaltsames Spracherlebnis.
Vielleicht sollte man der Spoken-Word-Szene wirklich dankbar sein, dass sie die Literatur in den letzten 20 Jahren herausgeholt hat aus ihrer trüben Der-Dichter-liest-vor-Ecke. Bei der man sich als gebildeter Bürger bis zum Ermüden konzentrieren muss und Literatur akademisch hört bis zum Vom-Stuhl-Fallen. Hinterher ist man vor lauter Sichkonzentrieren so müde, dass man eigentlich nur noch schlafen will. Und auch allen Glauben daran verloren hat, dass Sprache etwas Lebendiges sein kann.
Mal ganz davon zu schweigen, dass man noch ein einziges Gedicht angucken könnte. Es ist ja nicht so, dass die meisten Autoren nicht sprechen oder lesen könnten. Aber: Sie trauen sich selten bis nie. Sie versuchen einer Publikumserwartung zu genügen, die auch Loriot schon schelmisch aufs Korn genommen hat. Nur ja nicht lustvoll werden, unbekümmert oder gar launig. Oder gar den Leuten da vorne auch mal demonstrieren, wie viel Spaß in unserer Sprache steckt. Wie viel Musik, Abgrund und Schelmerei.
Nora Gomringer war nie so ein Schüchterlein im Walde. Sie liebt das Vor-Tragen, das Zelebrieren und Entpacken ihrer Gedichte. Das tut sie mit Lust. Und zeigt dem Publikum, was man als Gedichte-Sezierer aus Schulunterrichtszeiten meist gar nicht weiß, nie gehört hat und nie erleben durfte: Dass Gedichte aus Lust an der Sprache entstehen. Dass sie alles dürfen – witzig sein, sarkastisch, melancholisch, traurig, frech, betrübt – außer: belanglos. Gedichte, die nicht ans Emotionale rühren, sind keine Gedichte. Das wissen auch manche Dichter nicht.
Und weil sie es nicht wissen, werden sie dann in der Regel banal. Wer sich um nichts fürchtet, über nichts freut und ärgert, der schafft es nicht, dass Gedichte lebendig werden, Fülle bekommen und Abgründigkeit.
Ein Jägergedicht mit dem Titel „Peng Peng Peng“ findet man auf dieser Scheibe natürlich nicht, aber ein sehr neugieriges Hermelin, dem die wandernde Dichterin im hohen Gebirge unverhofft begegnet. Natürlich ganz zivilisiert verwirrt, denn wenn man beginnt sich mit sich selbst zu unterhalten oder gar die Aufmerksamkeit eines besorgten Hermelins auf sich zieht, dann drohen einem ja in menschlichen Gefilden allerlei Mutmaßungen. Aber die Geschichte, die eigentlich ein langes Gedicht in Prosa ist, erzählt ja auch wieder von den Dingen, die in anderen Texten der CD anklingen. Irgendwie geht es immer um Heimat, um eine sehr misstrauische Haltung zu dem, was andere Leute für Heimat halten oder zu Heimat erklären, auch wenn es bestenfalls nur Landschaft ist und ein allgemeines Nur-wir-gehören-hierher-Gefühl.
Keine Anspielung auf Sachsen.
Es ist anderorts – etwa in alpineren Ländern – ebenso. Und ganz anders (aber ebenso vertraut) auf Berliner Liegewiesen. Mit „Heimat“ hat sich Nora Gomringer schon mehrfach und sehr aufmerksam beschäftigt. Und: Es blieb – außer bunten Postkarten – nichts übrig davon. Außer Verwirrung. Denn wenn man genauer hinhört und hinschaut, dann erlebt man, wie sehr das Konstrukt Heimat nur ein Ersatz ist für die allgegenwärtige menschliche Ratlosigkeit und Rastlosigkeit, ein illusionierter Halt in der Haltlosigkeit. Ein benennbarer Platz mit wiedererkennbaren Zutaten, in dem mensch sich irgendwie orientiert, wenn’s mal emotional wieder etwas verwirrend wurde. Was eher die Regel ist als die Ausnahme. Denn unsere Gesellschaft selbst ist weder heil noch heilsam. Und so mancher Tag besteht aus heftigen Verstörungen, weil ein „Fehler im System“ nicht reparabel ist. Oder nicht greif- und sagbar.
Die Gegenwart ist für die meisten Menschen reine Überforderung
Da flüchtet man sich natürlich in entzifferbare Landschaften, wo Esel, Hund und Hahn ihre Rollen haben (was nicht bedeutet, dass sie sich in ihren Rollen wohl fühlen). Und wie trägt man das vor? Einfühlsam natürlich, mit Augenzwinkern. Zumeist macht Philipp Scholz, der die Instrumente bedient, das, was die kesse Dame am Mikro anweist. Aber nicht nur. Manche Gedichte fangen so richtig an zu klingen, wenn Nora ins Mikro haucht und der Jazz dagegen hält, wenn beides klingt und zeigt, woher eigentlich Musik und Sprache mal kamen: aus menschlicher Lust an Tönen, am Spiel mit Vokalen, Geschwindigkeiten und Lautstärken.
Unüberhörbarer Vorteil: Nora Gomringer beherrscht ihre Stimme. Sie kann Gedichte singen, säuseln, hauchen, schmachten oder herausschmettern. Da kennt sie nichts. Und trotzdem: Sie ist dabei bedachtsam auf jedes Wort, auf menschliche Floskeln, die sie gern zitiert und karikiert, erst recht. Sie lässt uns hören, dass sie zugehört hat.
Denn das Gegenstück zur inszenierten Heimat ist die tatsächliche Einsamkeit des Menschen in dieser Zeit, die Ratlosigkeit in all den eiligen Dingen. Was einen nicht ganz zufällig meist dann überfällt, wenn man mal rauskommt aus der Mühle und in Heimaten landet. Oder in Momenten, in denen einen die „Heimat“ einholt. Denn die schleppt man ja mit sich – die kennen einen da, die haben nichts vergessen und behandeln einen, wenn man mal wieder zurückkommt, genauso wie damals. Man schleppt das immer mit sich herum. Umso erstaunlicher, dass Gomringer und Scholz mit dieser Konterbande seit 2015 tatsächlich durch die Lande reisen und durch anderer Leute Heimat.
Mit Lust und Laune und jener unverwechselbaren Gomringerschen Fröhlichkeit, die einem selbst in ärgster Trübsal noch ins Ohr flüstert: Hab dich nicht so! Ist doch ganz lustig! Und am Ende ist es eh egal. Man kann ja seine ganze Depressivität mitschleppen, wohin man will, in Sehnsucht baden und die alten Geister immer wieder herbeirufen, aber …
Aber eigentlich.
Eigentlich verrät sich die Sprache der Dichterinnen und Dichter, zumindest derer, die Sprache wirklich als herrlichen Werkstoff für sich begriffen: Da steckt Leben drin, das ganze menschliche Verwirrtsein, seine Höhen und Tiefen und das nachhallende Dazwischen, in dem man manchmal landet, wenn man es schafft, mal aus der Spur zu kommen. Oder gar über sich selbst zu stolpern: Na holla, geht’s noch?
Es geht noch. Aber nur, wenn man sich traut, das so selbstbewusst zu zelebrieren wie Nora am Mikro, sprach- und stimmbeherrscht. Denn sie ist eine Königin, eine listige und kluge. Und diesmal hat sie uns einfach erzählt, dass Sprache ein klingendes Instrument ist und Heimat eine Fiktion für Leute, die sich nie und nimmer mit einem aufmerksamen Hermelin unterhalten würden. Nicht mal im Wald.
Nur noch angemerkt: Nora Gomringer hat nicht nur eigene Gedichte in Wortklang verwandelt, sondern auch welche von ihrem Vater Eugen Gomringer, von Jandl, Schwitters, Meerbaum-Eisinger und Heine. Ist ja nicht so, dass sie die Einzige ist, die Sprache so wonnevoll verdichten kann. Richtige Dichter sind gar nicht einsam. Auch wenn sie die Einsamkeit so schön beschreiben, wie das kein Eremit jemals könnte.
Nora Gomringer & Philipp Scholz Peng Peng Peng, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 14,90 Euro.
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“Mit Lust und Laune und jener unverwechselbaren Gomringerschen Fröhlichkeit, die einem selbst in ärgster Trübsal noch ins Ohr flüstert: Hab dich nicht so! Ist doch ganz lustig! Und am Ende ist es eh egal.”
Den Satz mag ich, da ist was dran. Viel zu viel unwichtiger, zeitraubender Kram in unseren Köpfen, den wir viel zu wichtig nehmen. Schöne Rezension.