Mein Name ist Hase, sagte das Flüsschen. Und dann kam Karl der Große, schlug die Sachsen, ließ die Irminsul fällen und ließ eine Missionszelle gründen, da, wo eine alte Handelsstraße durch eine Furt der Hase führte. So ungefähr könnte es damals begonnen haben mit Osnabrück. Steffi Böttger ist hingefahren und hat sich die Stadt mal angeschaut, in der fünf Jahre lang über einen Friedensvertrag verhandelt wurde.

Wer freilich einen Osnabrücker Frieden sucht, findet keinen. Der offizielle Name lautet Westfälischer Friede, weil eine Stadt allein nicht ausreichte, um die großen Delegationen der Fürsten und Könige aufzunehmen. Die andere Hälfte logierte und verhandelte drüben in Münster, 50 Kilometer entfernt. Alles Westfalen. Alles altes sächsisches Stammesgebiet, aber wie man weiß: Die Sachsen verloren ihren Namen an die Meißner. Und dann mussten sie sich lauter neue Namen ausdenken für ihre Ecke – Calenberg, Braunschweig, Hannover. Osnabrück selbst war ein Bistum, hatte einen Fürstbischof, weshalb auf dem Titel auch der Dom St. Petrus prangt mit seinen ungleichen Türmen.

Aber ein beliebtes Fotomotiv, betont die Autorin, die vor allem den Wiederaufbaufleiß der Osnabrücker bewundert, denn die Stadt gehörte 1945 zu den am stärksten zerstörten in Deutschland. Die Altstadt war fast völlig ausgelöscht. Was daran lag, dass in Osnabrück wichtige Rüstungsbetriebe zu Hause waren. Wie man sieht: Selbst aus Dreißigjährigen Kriegen lernen Dummköpfe nichts, aus der Geschichte im Allgemeinen schon gar nicht. Sie lesen immer nur die Siegesberichte ihrer Vorbilder, nie die Erzählungen von den Niederlagen, vom Leiden der Völker oder gar die Erzählungen durchaus klügerer Herrscher, wie es der Preußenkönig Friedrich Zwo mal war, der auch wusste, wie man Schlachten vermeidet. Eine Tugend, die deutsche Generäle im 20. Jahrhundert wohl verlernt hatten.

Umso erstaunlicher, mit welcher Liebe zum alten Stadtbild die Osnabrücker alles wieder aufbauten, nicht nur die vielen Kirchen, die Steffi Böttger bei ihrem Rundgang bewundert. Manches freilich etwas reduziert in der Form, innerlich gleich umgebaut und modernen Nutzungsansprüchen dienend.

Aber manches bauten sie auch ganz originalgetreu wieder hin, wie das eindrucksvolle Rathaus, wo dereinst über den Westfälischen Frieden verhandelt wurde. Es ist schon ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man es eigentlich immer mit einer Replik zu tun hat, die so aussieht wie das Original. Selbst bei eindrucksvollen Fachwerkhäusern, wo andernorts jeder stolze Stadtbilderklärer betont, dass das Prachtstück schon 400, 500 Jahre da steht.

In Osnabrück steht es in der Regel 50, 60 Jahre wieder so da, sieht aber aus wie 500, 600. Geschichte ist manchmal auch einfach ein Bekenntnis zu einem lieb gewordenen Stadtbild. Man möchte sich wiedererkennen in seiner Stadt. Auch wenn manches Detail dann doch über 60 Jahre brauchte. Und Bausünden nicht vermieden wurden. Zumindest empfindet Steffi Böttger das in den 1980er Jahren errichtete Nikolaizentrum so und referiert die Spottnamen der Osnabrücker für dieses architektonische Wunderwerk. Aber deswegen fährt man ja auch nicht nach Osnabrück, sondern eher wegen des erwähnten Rathauses mit seinem eindrucksvollen Friedenssaal und wegen des Remarque-Friedenszentrums gleich um die Ecke.

Denn Osnabrück: Das war Erich Maria Remarques Heimatstadt. Hier besuchte der Sohn des Buchbinders Remark das katholische Lehrerseminar und wurde dann 1916 in den Krieg einberufen. Dem er bekanntlich mit seinem Buch „Im Westen nichts Neues“ 1929 ein Denkmal auf seine Weise setzte. Eindrucksvoller als all der Zinnober, den die Nazis mit dem Buch und dann mit dem Hollywood-Film trieben. Denn dieses Buch traf ins Mark. Es erzählte jene Wahrheit über den Krieg, die die Kriegsminister und Generäle nie hören und lesen wollen. Und der Umgang der Osnabrücker mit diesem berühmtesten Sohn ihrer Stadt spricht Bände: Sie ignorierten ihn bis über seinen Tod 1970 hinaus.

Erst 1975 fiel bei den Osnabrücker Honoratioren der Groschen, benannten sie eine Straße nach Remarque und das Friedenszentrum siedelte sich an, das natürlich die zentrale Botschaft aus Remarques Werk verkündet: Pazifismus. Mit dem hadern ja bekanntlich etliche Kraftmeier heute immer noch. Sie verstehen ihn einfach nicht und glauben, das sei einfach die Haltung von Schafen.

Verächtlich können diese Typen immer werden. Darin sind sie gut. Und in der Regel gibt es dann eine Menge unschuldiger Toter. So wie in der Hexenjagd der frühen Neuzeit. Osnabrück war einer der zentralen Punkte der neuzeitlichen Hexenjagd. Steffi Böttger merkt zumindest an, dass das nicht nur mit Luther und Papst und „Hexenhammer“ zu tun hat, sondern dass Reformation wie Dreißigjähriger Krieg ja in eine der ungemütlichsten Klimaperioden Europas, die Kleine Eiszeit, fielen. Was nicht nur kalte Winter bedeutete, sondern viele verregnete Ernten, Hungersnöte und Seuchen. Und in solchen Perioden verlieren noch viel mehr Menschen den klaren Verstand als in den eher guten Zeiten, wie wir sie derzeit (noch) haben. Und dann suchen sie Schuldige für Hunger und Elend.

In keiner anderen Stadt wurden so viele Frauen als Hexen verbrannt wie in Osnabrück. Woran zwar der Hexengang in Osnabrück namentlich erinnert – aber mit Hexen hat er eigentlich nichts zu tun. Der alte Bucksturm schon eher, wo die verleumdeten Frauen einst eingesperrt und gefoltert wurden. Das eindrucksvollste Stück dort ist freilich der große „Johanniskasten“, in den einst ein gewisser Johann von Hoya gesperrt wurde.

Jetzt mussten wir erst ein bisschen suchen, bis wir den richtigen Johann von Hoya gefunden haben, denn es gab derer mehrere, einige waren Fürstbischof in Osnabrück, andere waren Heerführer und beteiligten sich an diversen Fehden. Dieses hier war Johann V. von Hoya, 1441 von den Osnabrückern gefangen genommen, nachdem er sich an einem Krieg auch gegen Osnabrück beteiligt hatte. So ein Erinnerungsstück hebt man sich natürlich auf. Vielleicht auch als kleine Warnung an die Mächtigen späterer Zeiten: Wenn wir dich erwischen …

Ach, wäre das schön.

Aber weil das eher selten passiert, tröstet man sich vielleicht am besten mit einem Gang durch die Altstadtgassen von Osnabrück und bewundert, was beim großen Bombardement (75 Luftangriffe gab es auf Osnabrück) übrig geblieben ist und/oder liebevoll wieder aufgebaut wurde. Immerhin ist Osnabrück eine Großstadt mit 165.000 Einwohnern, da war das gerade im autobesessenen Westen nicht unbedingt üblich, dass man eine zerstörte Altstadt wieder in den alten Grundrissen aufbaute. Steffi Böttger empfiehlt den Blick auf die Steinwerke, die steinernen Türme, die sich die Bürger im Mittelalter in den Innenhof bauten – einmal als Schutz für Familie und Vorräte bei Bränden, die immer wieder die holzgebaute Stadt versehrten, zum anderen auch gegen kriegerische Gefahren. Siehe oben. Immer wieder kam ein Heerhaufen mit einem ruhmsüchtigen Grafen daher und wollte mausen und hausen und plündern.

Einkehren lohnt sich ebenfalls, denn Osnabrück ist ja auch Universitätsstadt. Da pflegt man dann ganz zwangsläufig auch eine ordentliche Gastronomie. Und Lesestoff empfiehlt die Stadterkunderin auch. Denn natürlich hat Remarque auch über seine Heimatstadt geschrieben. „Der schwarze Obelisk“ heißt das Buch, in dem er seine Jugend schildert in „Werdenbrück“.

Es lohnt sich also, mal ganz auf den Spuren Erich Maria Remarques nach Westfalen zu fahren.

Steffi Böttger Osnabrück an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2017, 5 Euro.

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