Es ist nicht nur ein neues Buch für Freunde des echten Schwarwel-Stils. Es ist auch nicht nur ein Schnelldurchlauf durch den Wahnsinn der Jahre 2016/2017. Es ist – wie auch schon die fünf vorhergehenden Karikaturenbände des Leipziger Zeichners – ein dickes, fettes Obacht-Schild. Denn der Rinderwahnsinn der Zeit hat eine Menge mit der Quotenhatz moderner Medien zu tun. Man kann ihr nicht entkommen.
Zumindest nicht, wenn man sich nicht völlig ausklinkt aus dem täglichen Nachrichtenstrom, der über alle Kanäle fließt und genau das tut, was Flüsse bei Hochwasser tun: Er reißt jeden Unrat mit. Und der Unrat schwimmt oben. Und der zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Dem kann sich auch Schwarwel nicht entziehen. Seine Karikaturen, die er unterm Eindruck der allgegenwärtigen Meldungen jeden Tag zeichnet, sind im Grunde vom blanken Entsetzen getragen. Denn wenn man ein gebildeter, nachdenkender Mensch ist, dann fasst man das alles nicht mehr. Dann schaut man eher mit großem Zweifel in den Spiegel und fragt sich: Wer ist denn hier eigentlich irre geworden? Ist die Menschheit von einem Virus befallen, der immer mehr Leute regelrecht verblöden lässt?
Als Donald T. die Wahl in den USA gewann, war kurzzeitig ja auch die Diskussion im Netz, ob vielleicht clever eingesetzte Algorithmen eine Rolle dabei gespielt haben könnten. Sicher ist zumindest, dass die diversen „social media“ eine wesentliche Rolle gespielt haben. Man erinnert sich ja an den beinahe etwas reumütig gewordenen Mark Zuckerberg, der irgendwie einsah, dass sein riesiges Netzwerk vor allem eines ist: eine gigantische Schleuder von Lügen, Verleumdungen und finstersten Emotionen.
Es ist nicht das erste Medium, das das kann. Aber es ist das erste, das damit konsequent Geschäfte macht. Andere machen damit auch Geschäfte – etwas weniger grenzenlos. Aber genauso erfolgreich. Wenn man das erfolgreich nennen kann. Denn eigentlich ist es kein Erfolg, wenn es die ganze Phalanx der scheinbar so anständigen Medien schafft, dem mitschwimmenden Müll im Datenstrom fortwährend die größte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und die öffentlich-rechtlichen Quotenjäger sind mittendrin, palavern abendelang über Islamismus, Terrorismus, Flüchtlingsströme, leiern immer wieder dieselben Themen durch. Und man merkt gar nicht mehr, dass das Zeug alles schon vorher gesiebt ist. Auch in die Nachrichten schaffen es nur noch die übelsten Clownerien, die schlimmsten Unfälle, Anschläge und Ausfälle.
Was mit dieser Quotenjagd direkt zu tun hat: Mit solchen Themen zieht man die Leute vor die Glotze. Und zwar nicht jene Leute, die jetzt differenzierte Berichterstattung erwarten, die gern die Zusammenhänge und Hintergründe wissen wollen und eine echte Wertung: Wie wichtig ist das wirklich, was da passiert ist? Denn die bekommen sie schon lange nicht mehr. Das ist mit diesem Sekunden-Clip-Hopping gar nicht zu machen.
Die Medien haben sich in den vergangenen 30 Jahren kräftig gewandelt. Sie sind bunter geworden, eiliger, hektischer, schäumender und – unübersehbar – oberflächlicher. Die audiovisuellen Medien allen voran. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass Qualität zur Quote wurde, sondern sie haben sich der breitesten Quote angepasst: dem Nutzerkreis mit der geringsten Erwartung und dem niedrigsten Bildungsniveau. Sie haben Information in Entertainment verwandelt.
Es gibt trotzdem noch seriöse Nachrichten. Keine Frage. Aber eher in den klassischen Medien. Doch auch die können sich dem Herdentrieb nicht ganz entziehen. Denn das, was als Nachricht auch zum gesellschaftlichen Gesprächsstoff wird, das wird gemacht. Es wird von jenen gemacht, die die Quote zu ihrem Resonanzboden machen und den größten Lärm mit den heftigsten Emotionen auslösen. Und die sich hinterher immer hinstellen: Was? Wir? Nein, wir waren das nicht.
Denn das Schlimmste an dieser Veränderung ist: Die Leute in diesen Medienanstalten sind nicht frei. Nicht einmal so frei, selbst denken zu dürfen. Denn wer Quote verlangt, verlangt im Grunde das Ausschalten aller Kritik, aller moralischen Bremsen. Der erzeugt zwei kommunizierende Röhren: Das, was draußen das Zuschauervolk will, das nun seit Jahrzehnten an das reine, überwürzte Fastfood gewohnt ist, kommuniziert direkt mit dem, was die Quotenjäger produzieren müssen. Es ist ihr Publikum, das sie sich erzogen haben, das jetzt immer mehr vom Selben will. Und auch keine Grenzen mehr kennt. So wird Politik zur Show, wird jede Katastrophe zu einem Sensationszirkus.
Und das Ergebnis: Fernsehclowns schlüpfen in die wildesten Rollen und verwandeln die hohe Aufmerksamkeit in politische Präsenz. Denn dazu sind ja alle diese publikumsversessenen Kanäle bestens geeignet: Sie erzeugen die Berühmtheiten, die aus ihrer Bekanntheit dann Kapital schlagen können, erst. Und sie machen ihre Argumente populär. Bis beides auf (fast) allen Kanälen präsent ist: die Horrorclowns und ihre grausame Vorstellung von der Welt. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in den USA, dem Mutterland des privaten Fernsehens, ein Mann zum Präsidenten gewählt wurde, den sich in dieser Stupidität nicht einmal Hollywood ausdenken konnte.
Dass ganz ähnliche Typen auch den europäischen Medienparcours dominieren und mit ihrer clownesken Unverfrorenheit alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, lässt nichts Gutes ahnen für diese noch relativ heile Ecke der Welt. Mit Lärm, Bosheit und Radikalität treiben sie alle Diskussionen vor sich her. Und kein Redakteur geht dazwischen, ruft „Cut“ und verteilt Rote Karten.
Und so wurden die Karikaturen, die Schwarwel in diesem eigentlich gar nicht turbulenten Jahr gezeichnet hat, noch viel bitterer, schärfer und sarkastischer als in den Vorjahren. Meist hilft nur noch ganz schwarzer Humor. Und es ist kein Zufall, dass auf der Rückseite des Covers ein Zeichner am Bildschirm sitzt, der einfach Sonne, Landschaft, Schiffchen zeichnet. „Heute keine Karikatur zu AfD und Trump?“ – „Manchmal braucht man einfach einen kleinen Lichtblick …“
Oder ein solches Büchlein, das den ganzen Rinderwahnsinn der Zeit noch einmal komprimiert und das – bei sensiblen Lesern – vielleicht noch als bittere Arznei hilft gegen den bunten Schaum, diese ganze schreiende Zuckerwatte. Wenn in den nächsten Tagen allerorten Fernseher auf die Straße fliegen, könnte das ein Ergebnis des Büchleins sein. Auch wenn es nicht viel hilft. Denn die letzten Karikaturen im Buch zeigen ja, was hinter dem ganzen Clowns-Gehampel meist verborgen bleibt: Die Cleverles machen ungestört ihre Geschäfte und Freihandelsverträge und verramschen, was alles zu verramschen ist.
Und die Narren vor der Glotze merken nicht einmal mehr, dass die Horrorclowns nichts sind als die Maske des großen Reibachs.
Die Welt aber ist keine Unterhaltungsshow. Und auch keine Interpretationsfrage für aufgeblasene Wichtigtuer, die meinen, kraft ihrer Scheuklappensicht bestimmen zu können, was Wahrheit und was Fake News sind.
Natürlich heißt das doch: Wir brauchen wieder mehr ernsthafte Medien, die vielleicht keine sonnigen Landschaften präsentieren, aber wieder das in den Mittelpunkt stellen, was wirklich passiert und was wirklich wichtig ist. Und was wirklich getan werden müsste, um die Welt zu einem menschlichen Aufenthaltsort zu machen.
Schwarwel nimmt seine Leser dabei recht rigoros an die Hand. Denn eines gehört grundsätzlich dazu: eine klare moralische Haltung. Damit eckt man zwar fortwährend an in einer Welt, in der Opportunisten mit Horrorclowns diskutieren. Aber es wird ja mal wieder Zeit, dass angeeckt wird.
Schwarwel „Die Alternative zu Fakten“ Glücklicher Montag, Leipzig 2017, 12,90 Euro.
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