Es gibt Geschichten, die passen nicht ins รผbliche Erklรคrungsmuster. Man hat zwar von dem filmsรผchtigen Herrn Hitler gehรถrt, der sich in privater Abgeschiedenheit an Mickey-Mouse-Filmen ergรถtzte. Aber eigentlich hat man ja sonst das Bild im Kopf: In deutschen Kinos liefen in der Hitlerzeit nur UFA-Filme. Mit heldenhaften Wochenschauen davor. Aber alles war ein bisschen anders. Und beklemmender, wie Ben Urwand herausgefunden hat.
Seine Recherche ist erstmals 2013 in den USA erschienen. Es ging ja auch erst einmal um die berรผhmten Hollywood-Studios und die goldenen Jahre des frรผhen Tonfilms, alles lรคngst verklรคrt. Die Filme laufen heute manchmal im Nostalgieprogramm der Fernsehsender. Aber die Wirklichkeit sah anders aus: Noch bis zum Kriegsbeginn 1939 dominierten Hollywood-Filme die deutschen Kinos. Erst Hitlers Krieg beendete die seltsame Allianz, die sich auch der Historiker Ben Urwand nicht so recht erklรคren konnte: Waren denn die USA nicht strikter Hitler-Gegner? Waren die Filme aus Hollywood nicht die groรe Waffe der Demokratie? Beherrschten denn nicht Mรคnner mit jรผdischen Wurzeln die groรen Studios?
Wie passte das zusammen?
Eigentlich passte es nicht. Und es passte doch. Und es fรผhrte zu einem seltsamen Pakt, von dem heute noch Dokumente in alten Archiven erzรคhlen, sehr vielen deutschen Archiven. Denn hier wurde alles viel grรผndlicher aufbewahrt als in den groรen Studios, die damals die technisch besten Filme fรผr die Welt produzierten. Selbst Propagandaminister Joseph Goebbels war fasziniert von der Fรคhigkeit amerikanischer Regisseure, Propaganda in mitreiรend frรถhliche Unterhaltung zu verpacken.
Denn anders als sein Boss Adolf Hitler wusste Goebbels, dass Propaganda nicht wirklich funktionierte, wenn man sie filmisch in Reinform inszenierte โ wie es Leni Riefenstahl in ihren bombastischen Filmen machte. Propaganda wirkt dann am besten, wenn sie sich in einer gut erzรคhlten Geschichte versteckt und sich die Zuschauer โ egal, welcher Nation sie angehรถren โ mit den positiven Helden des Films identifizieren kรถnnen.
Aber: Wollten denn die Studiobosse Propaganda-Filme fรผr Goebbels drehen? Nicht wirklich. Aber sie wollten den Kinomarkt Deutschland nicht verlieren. Und dafรผr machten sie auch schon vor 1933 Zugestรคndnisse. Denn auch deutsche Regierungen vor Hitler hatten Interesse daran, dass manche Filme so nicht in die Kinos kamen, wie sie in Hollywood produziert wurden. Exemplarisch stehen dafรผr die Ereignisse um die Verfilmung von Erich Maria Remarques โIm Westen nichts Neuesโ, dem ersten wirklich groรen Film, der sich kritisch mit dem 1. Weltkrieg und seinen seelischen Zerstรถrungen beschรคftigte. Und nicht nur damit: Besonders eindrucksvoll war der Lehrer, der die Jungen mit groรem Pathos und mitreiรender Rednergabe davon รผberzeugt, dass sie sich freiwillig zum Heer melden. Remarques Buch lebt von diesem Widerspruch: der Glorifizierung des Krieges und der รberredung einer ganzen Generation junger Mรคnner, in die glorreiche Schlacht zu ziehen โ und dem Erlebnis eines blutigen Gemetzels und vรถlliger Enttรคuschung.
Einer wie Goebbels wusste, was der Film tatsรคchlich zeigte. Ob es die Nazi-Horden wussten, die die Filmpremiere stรผrmten, darf bezweifelt werden. Die sahen nur das Heldenbild des deutschen Soldaten verunglimpft โ und sie konnten damit rechnen, dass die zermรผrbte Weimarer Republik nachgeben wรผrde. Der Sturm auf โIm Westen nichts Neuesโ hatte viele Folgen.
Und eine davon war die zunehmende Bereitschaft der amerikanischen Filmstudios, den Wรผnschen der Regierenden in Deutschland entgegenzukommen und Filme zu entschรคrfen, zu zensieren oder ganz und gar zu unterlassen. Ein Thema, das nicht auf die deutsche Filmzensur beschrรคnkt blieb. Denn was Urwand in den Archiven fand, war eine Geschichte der zunehmenden Kollaboration und der zunehmenden Einflussnahme der Nazis nicht nur auf das, was in deutschen Kinos zu sehen war. Ab 1933 nutzten sie schamlos ihre Mรถglichkeiten, gleich in den USA direkt Einfluss zu nehmen auf die Filmproduktion. Dazu installierten sie extra einen Konsulatsmitarbeiter, der sich augenscheinlich massiv und grรผndlich Einfluss verschaffte auf die Entstehung von Hollywood-Filmen. Und sein Drohpotenzial wurde im Lauf der Jahre immer grรถรer, denn bald schon richtete sich ein mรถgliches Verbot nicht nur gegen einzelne Filme, sondern gegen die komplette Produktion ganzer Studios. Bald war es nicht mehr nur die mutmaรliche Verรคchtlichmachung Deutschlands oder der deutschen Armee in amerikanischen Filmen, die zu Untersagungen fรผhren konnte. Nach und nach sickerte das ganze Nazi-Repertoire der Zensur in diese Einflussnahme โ wurden Filme mit bekannten jรผdischen Schauspielern attackiert, Filmprojekte, die sich kritisch mit dem Nazismus beschรคftigten oder die den deutschen Antisemitismus thematisierten.
Genรผsslich erweiterte der deutsche Konsul Georg Gyssling sein Aktionsfeld, mischte sich immer frรผher ein.
Und das Erschreckende fรผr Urwand: Die Studiobosse wichen zurรผck, lieรen kritische Filmprojekte fallen, entschรคrften die Drehbรผcher, schnitten die von Gyssling kritisierten Szenen aus den Filmen und lieรen sogar die Juden verschwinden. Ein exemplarisches Beispiel ist der Umgang mit der geplanten Verfilmung von Sinclair Lewisโ Buch โIt canโt happen hereโ, das den Aufstieg eines Provinzpolitikers zum Diktator und die Verwandlung der USA in eine faschistische Diktatur erzรคhlt. Ein verblรผffend aktuelles Buch in Zeiten eines Donald Trump. Der Aufbau Verlag hat es gerade unter dem Titel โDas ist bei uns nicht mรถglichโ wieder aufgelegt.
Denn mit der Erfahrung von Hitlers Aufstieg in Deutschland konnte Lewis eindrucksvoll schildern, wie gefรคhrdet jede Demokratie ist, wenn Mรคnner wie bei ihm ein gewisser Windrip glauben, es lieรe sich ohne die ganzen Hemmnisse der Demokratie besser und effizienter Regieren. Manches an Trump erinnert fatal an Windrip. Und es gab auch (wie in der Remarque-Verfilmung) Szenen, die zeigten, wie clevere Rhetorik und gekonnt eingesetzte Propaganda genรผgen, Menschen davon zu รผberzeugen, dass der Mann vor ihnen wohl die Lรถsung fรผr alles sein kรถnnte, gar einer, der Amerika wieder rettet vor dem der Demokratie zugeschriebenen Verfall.
Der Film hรคtte, wรคre er 1935 oder 1936 in die Kinos gekommen, fรผr Furore gesorgt und hรคtte auch vielen noch immer skeptischen Demokraten gezeigt, wie Diktatur funktioniert und wie leicht auch ein urdemokratisches Land zur Beute eines Rattenfรคngers werden kann.
Der Film wurde nie gedreht, genauso wenig wie dutzende andere Filme, die sich kritisch mit Nazismus, Antisemitismus und Krieg auseinandergesetzt hรคtten. Und viele Fรคden fรผhren zu Konsul Gyssling, der bis 1939 schalten und walten konnte nach Gutdรผnken. Wohl auch in vielen Fรคllen, zu denen Urwand keine direkten Hinweise auf Einmischungen des Konsuls finden konnte. Mรถglicherweise gab es auch eine zunehmende Zahl von Fรคllen, in denen die Studiobosse Selbstzensur รผbten, sogar Filmprojekte abwรผrgten, die schon im Kern einen Kinoerfolg in sich bargen.
Bis zuletzt verblรผfft es Urwand, wie sehr diese groรen jรผdischen Produzenten ihre eigene Identitรคt bereit waren zu verleugnen und alles, was auch nur jรผdisch wirken konnte, aus ihrer Filmproduktion verschwinden lieรen. Fรผr Urwand im Grunde die vollkommene Umsetzung des Antisemitismus der Nazis, die parallel Millionen Juden tatsรคchlich โverschwindenโ lieรen.
Und das wรคre wohl auch 1939, 1940 so weitergegangen, hรคtte nicht der Kriegsausbruch dieser Liaison ein Ende gesetzt. Nicht ganz freiwillig. Einige der Studios waren durchaus bereit, Nazi-Deutschland auch im Krieg weiter mit Kinofilmen zu versorgen. Das beendete erst ein durch Goebbels verhรคngtes Verbot.
Aber der Leser wird noch einmal verblรผfft. Denn zehn Jahre unheiliger Allianz hatten auch etwas Grundsรคtzliches verรคndert: Sie hatten den latenten Antisemitismus der Nazis auch in die amerikanische Gesellschaft einsickern lassen. Auch nach dem โVerlustโ des deutschen Kinomarktes kehrten die Juden nicht wieder in die Hollywood-Filme zurรผck. Und auch die intensive Beschรคftigung mit den Kriegsverbrechen der Nazis blieb aus. Selbst ein genialer Mann wie Charlie Chaplin entschรคrfte einen seiner besten Filme, den โGroรen Diktatorโ, machte einen lustigen Slapstick-Film draus, weil er auf die beklemmende Rahmenhandlung im KZ verzichtete.
Es sollte viele Jahrzehnte dauern, bis sich Hollywood wirklich mit groรen und eindrucksvollen Filmen der Gefahr des Faschismus und dem Holocaust widmete. Das Gift der Nazis hatte Hollywood binnen weniger Jahre verรคndert und รngste implementiert, die auch das Land verรคnderten. Kurz geht Urwand auch auf jene Kriegsjahre ein, in denen einige wenige Aktivisten versuchen, so viele Juden wie mรถglich vor der Vernichtung im Hitlerreich zu retten. Doch selbst die Roosevelt-Regierung konnte sich zu einer ernsthaften Rettungsaktion nicht aufraffen, vertagte und vertrรถdelte das Thema. Und statt 4 Millionen Menschen vor der Ermordung zu retten, schafften es am Ende nur 200.000 jรผdische Flรผchtlinge รผber den Groรen Teich.
Urwand zeigt am Ende einen Zipfel jener Verรคnderungen, die in aller Stille passieren, wenn selbst nur eine Handvoll Studiobosse beginnen, um des lieben Geldes willen mit diktatorischen Regierungen zu paktieren, ihre Filme an die Wรผnsche der Menschenfeinde anzupassen und den Mut der Demokraten verschwinden lassen. Man sieht, wie diese Sorge um einen Absatzmarkt in kรผrzester Zeit dafรผr sorgt, dass moralische Standards und menschlicher Mut nicht nur aus Filmen verschwinden, sondern auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verschwinden, als kรถnne oder dรผrfe man Nazis und Antisemiten nicht mit Humanismus erschrecken.
Die haben sich ja nicht verรคndert. Die sind noch immer so borniert, wehleidig, beleidigt und arrogant wie zu Hitlers Zeiten. Und Scham kennen die sowieso nicht. Auf den Leben und Kulturen anderer Menschen herumzutrampeln, das ist ihre lรคngste รbung. Und immer wieder weichen zivilisierte Gesellschaften vor diesen Miesepetern zurรผck, schrittchenweise โ wie man in der Tรผrkei beobachten kann โ lassen sich einschรผchtern, abdrรคngen, mundtot machen.
Rรผcksichtnahme ist augenscheinlich kein kluges Rezept fรผr den Umgang mit diesen Typen. Man ahnt nur, was fรผr Filme nicht nur Hollywood verloren gingen, weil die Erpressung der Nazis in Hollywood derart unwidersprochen geblieben ist. Hollywood mรถchte ja so gern รผberall auf der Welt geliebt werden โ heute versucht man, den Chinesen zu gefallen.
Was wieder eine vรถllig neue Szenerie erรถffnet: Wie sรคhe eine Welt aus, in der amerikanische Medienkonzerne eben nicht versuchen wรผrden, mit allen Regierungen lieb Kind zu sein? Wenn man auf die Mรคrkte der groรen Diktaturen verzichten kรถnnte โ oder zumindest bereit wรคre, gute Stoffe nicht durch freiwillige Zensur zu verderben? Denn die Ergebnisse sind fast immer nur beschรคmend. Und sie tragen dazu bei, das Selbstverstรคndnis einer offenen Gesellschaft erodieren zu lassen. Denn Filme, aus denen man den zivilisierten Anstand herausschneidet, die machen auch das dummdreiste Nazi-Denken salonfรคhig, malen eine zensierte Welt, die mit der fรผr die Nazis immer so anstrengenden Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat.
Denn es sind die Nazis, die mit der Komplexitรคt der Welt Probleme haben und alles so uniformiert haben wollen, so dass vorne nur noch ein Groรmaul befehlen muss und alle latschen hinterher. Damit fรคngt Nazismus an. Und vor allem kennt er keine Grenzen, die er respektiert. Und das ist die tragische Seite dieser Hollywood-Geschichte: Wie die groรen Studiogrรผnder regelrecht einknickten vor diesen Anmaรungen der Nazis, nur um keine Grรผnde fรผr weiteren Antisemitismus in Amerika zu liefern.
Aber man teilt Urwands Ansicht, wie fatal dieser โPaktโ noch weit รผber die Kriegszeit hinausgewirkt hat. So lange, bis selbst die Leute im Filmgeschรคft vergessen hatten, wie sehr die deutschen Nazis bis 1939 die Filmproduktion in Hollywood beeinflussten und zensierten. Und zahnlos machten, als es richtig gute Filme gegen den Nazismus gebraucht hรคtte.
Ben Urwand Der Pakt, Theiss Verlag, Darmstadt 2017, 29,95 Euro.
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