Wenn Bücher sich gut verkaufen, dann machen sich Verlage irgendwann Gedanken, ob es die Titel dann auch mal in etwas preiswerteren Paperbacks gibt. Sogar Kinderbuchverlage. Einen Erfolgstitel aus dem Jahr 2013 hat jetzt auch der Klett Kinderbuchverlag als Paperback aufgelegt. Für Jungen und Mädchen, die so eine Ahnung haben, dass das Leben vor allem aus lauter guten Geschichten besteht.
Oder noch besser: eine einzige große Geschichte ist. Die aus lauter kleinen Geschichten besteht. Kluge Kinder wissen: Wir erzählen uns unser Leben selbst. Im Kopf laufen ständig Geschichten ab. Mit Pointen, scharfen Wendungen, unliebsamen Überraschungen, aufschäumenden Emotionen, phantasievoll gefüllten langen Weilen und Tagen, an denen ein Abenteuer nach dem anderen kommt.
Und noch etwas wissen kluge Kinder: Wirklich wird das alles für uns nur, weil wir uns diese Geschichten selbst erzählen können. Die dummen Nie-erwachsen-Gewordenen glauben, dass Sprache dazu da ist, um andere auszugrenzen. Motto: „Ich habe richtige Sprache, du sein doof.“
Es ist schon erstaunlich, wie sehr die Garnixmerker, die in der Schule schon gepennt haben, heute die Welt aufmischen.
Es ist wohl wirklich so: Gegen brütende Doofheit hilft nur Bildung. Eine Ecke Humor und Spielfreude dazu. Und so ein Buch voller Anregungen, bei denen man merkt, dass auch der Autor einst alle Anregungen aufgesaugt hat, die ihm in seinen jungen Jahren begegneten. Manche sind unter hellwachen Kindern immer lebendig. Andere kannten Mama, Papa, Oma, Opa noch aus Kinderjahren. Andere stecken in den klugen Büchern von Leuten wie Johann Wolfgang Goethe (der auch mal ein junger Dichter war) oder den Dadaisten und den Surrealisten, die das Spiel mit der Sprache wieder zurückgeholt haben in die Literatur. Da war es fast schon ausgestorben, weil bräsige alte Professoren die Aufpasserei über den (deutschen) Sprachgebrauch übernommen hatten. Grausige Zottelköpfe. Schrecklich besserwisserische Leute.
Dabei ist Sprache weder totzukriegen (was die dümmsten Dummköpfe immerfort befürchten, weil sie selbst nur über rudimentäre Sprachkenntnis verfügen), noch ist sie ein Kulturgut, das vor irgendjemandem geschützt werden muss (oder gibt es da draußen Sprachfresser, die unsere Sprache verschlingen?).
Der Klett Kinderbuch Verlag war schon von Anfang an ein einziger Widerspruch gegen die Rechthaber, Aufpasser und Plankensetzer. Er hat Bücher gemacht, wie sie die Autoren und Verlegerinnen selbst gern gehabt hätten, als sie ganz klein waren. Bücher, die die Welt so aufschließen, wie sie Kinder tatsächlich entdecken. Oder entdecken wollen. Viele Leute haben ja erlebt, dass sie daran immer wieder gehindert wurden – durch „Das macht man nicht“ und andere Benimm-Sprüche. Dabei lernt man am besten, wenn man Dinge selber macht und ausprobiert. In klugen Elternhaushalten steht kein zerbrechlicher Kram rum, den Kinder nicht anfassen dürfen. Da sind die Dinge handlich, praktisch und so robust, dass sie auch wilde Kinderspiele aushalten.
Kinder brauchen das. Auch dann noch, wenn sie scheinbar über das Ich-spiele-mit-Mamas-Kochtöpfen-Alter hinaus sind. Zum Beispiel zur Schule gehen, Lesen und Schreiben gelernt haben. Also so ungefähr 9 Jahre alt sind und bei ihrer guten Lehrerin in der Schule gelernt haben, dass Worte etwas Aufregendes sind, robuste Biester, mit denen man alles Mögliche anstellen kann. Und die vor allem eines machen, was einem früher als Zwunsch einfach nicht bewusst war: Sie erzeugen Geschichten in unserem Kopf. Sie verwandeln alles, was wir sehen, hören und erleben, in lauter spannende Kopf-Geschichten. Manchmal viel wilder als das, was wir tatsächlich erlebt haben. Denn im Kopf beginnen sie ja erst recht ein Eigenleben zu führen.
Und genau an dieser Stelle setzt Timo Brunkes „10 Minuten Dings“ an. Es ist vollgestopft mit lauter kleinen Übungen, die wie Spiele aussehen und auch welche sind, nämlich die spielerische Erkundung, was man mit Worten alles anfangen kann, ohne dass sie kaputtgehen. Sie sind dann zwar nicht mehr ganz richtig, manchmal verändern sie sich auch in etwas völlig anderes. Manchmal reimen sie sich oder bekommen richtig Beat. Manchmal verwandeln sie sich in richtige Lautmalerei – und man versteht trotzdem, was gemeint ist.
Timo Brunke hat das Ganze in mehrere Kapitel gepackt. Es wird auch eine Menge geschrieben, geklebt, gebastelt. Das letzte Kapitel heißt „Welten verwandeln und erschaffen“. Und das bindet dann den Sack im Grunde zu. Denn wenn die kleinen Sprachmodellierer und Tagebuchschreiber da angelangt sind, dann haben sie gelernt, wie Sprache unser Leben durchdringt und dass sie unser bestes Werkszeug ist, unser Leben zu gestalten, es mit Phantasie, Sinn und Geschichten über alles Mögliche anzufüllen. Auf einmal steht ihnen das beste Werkzeug zur Verfügung, über das, was schon da ist und passiert, hinauszudenken, im Kopf ganz andere Welten zu schaffen. Oder auch gleich mal mit Schere, Kleber und Papier. Dann zeigt sich die Welt des Spielens als ein Lernfeld, über den simplen Augenblick hinauszudenken und tatsächlich zum Gestalter des eigenen Lebens zu werden.
Man merkt schon: Das ist ein Buch für aufgeweckte Kinder. Und es regt zu einer eben nicht nur 10 Minuten dauernden Selbst-Beschäftigung an, die Kinder zu Akteuren ihres eigenen Lebens macht. Sie sind nicht mehr darauf angewiesen, das zu tun, was alle tun. Warum sollten sie auch: Sie haben mit vielen launigen Übungen gelernt, dass Sprache, Denken und Handeln eng miteinander verbunden sind. In unserem Kopf sowieso. Wir erschaffen uns in gewisser Weise selbst, wenn wir so, wie es Timo Brunke hier auf lockere Weise in vielen kleinen Übungen anbietet, unser wichtigstes Organ mit fröhlichem Futter versorgen. Und damit sind nicht die Muskelberge gemeint, die Kraftprotze durch die Welt tragen. Unser wichtigstes Organ ist unser Gehirn, meist als Aktenschrank und Schnellablage missbraucht, auch in der Schule. Viel zu selten herausgefordert als herrliches Werkzeug, mit dem man sich selbst übt im Hinterfragen, Demontieren, Neuzusammenbauen, im Modellieren, Aufmerksamsein und Verändern dessen, was andere Leute für normal und unhinterfragbar halten. Oh ja, die Apostel des Bestehenden sind überall.
Aber die lebendigen Kinder, die Lust am spielerischen Denken haben, die fehlen oft genug. Oder lernen in der Schule und der Welt nicht, was sie mit diesem herrlich robusten Werkzeug Sprache alles anfangen könnten. Deswegen ist dieses Büchlein bei ihnen gut aufgehoben. Und wenn’s funktioniert, gibt’s für alle irgendwann eine kleine Bühne, auf denen die kleinen Ermutigten vortragen, was ihnen Lustiges, Verrücktes und Unvergleichliches aufgefallen und passiert ist.
Timo Brunke 10 Minuten Dings, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2017, 9,95 Euro.
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