Wer Vater ist, der kann was erleben. Und er wird irgendwann ein begnadeter Logistiker. Denn das muss einer werden, der sich kümmert, wenn die Kinder in die Schule kommen. Schule ist heutzutage vor allem eine Materialschlacht. Und ein logistischer Kraftakt. Das wissen auch die Kinder, wenn sie jeden Tag ihren Container in die Schule schleppen. Wenn sie Glück haben, steckt eine liebevoll gepackte Brotbüchse drin. Sächsisch: Brotschie.
Aber Thilo Reffert ist kein Sachse, sondern ein geborener Magdeburger, den es nach Berlin verschlagen hat. Wo er seit 2010 Kinderbücher schreibt, Hörspiele und Theaterstücke. Und Vater ist er außerdem. So ein Buch schreibt nur einer, der wirklich ausgefuchst ist in der Logistik eines Schulkindes. Und der sich kümmert.
Man kann nur ahnen, wie dieser Bursche hinterher ist, wenn es um Hausaufgaben, Elternabende, Ranzenpacken, Klassenfahrten und all die anderen Dinge geht, um die sich Eltern kümmern müssen, wenn sie das Kind doch eigentlich nur zum Lernen in der Schule abgeben wollen. Schon wenn man das so formuliert, merkt man: Irgendetwas stimmt da nicht mit unseren Schulen. Warum gibt man die Kleinen nicht einfach ab? Und wenn sie nachmittags nach Hause kommen, sind sie 10 Prozent klüger, haben was gelernt, erlebt und auch noch was für die Bildung getan. Und sind froh und stolz darauf.
Eigentlich sind das jetzt Gedanken, die einem erst um drei Ecken kommen.
Eigentlich geht es ja um diesen aufmerksamen Vater, der seinem Sohnemann nicht nur ein mit Vitaminen belegtes Käsebrot in die Brotbüchse packt, sondern auch noch leckere Heidelbeeren und Kiwi-Scheiben. Was man eher selten in Brotdosen findet, weil Eltern meist die Geduld verlieren, wenn es darum geht, den Kindern den Wohlgeschmack gesunder Ernährung nahezubringen. Es geht nicht mit Druck. Es geht nur mit freundlicher Geduld. Auch wenn das Kind morgens schon verzweifeln will, weil irgendeine Klassenarbeit oder Prüfung droht.
Das kann Kinder in Panik versetzen. Und die wirklich Ängstlichen versemmeln es dann gründlich. Was der Vater in dieser Geschichte tut, verraten wir nicht. Ein Stück weit wird ganz bestimmt der Autor selbst dahinterstecken, der irgendwann so viele Abenteuer mit der Brotdose seines Kindes erlebt und gehört haben muss, dass er sich entschloss, das Leben so einer abenteuerlichen Brotdose zu erzählen. Aus ihrer eigenen Perspektive und von Anfang an. Und da merkt man schon: Das ist kein Bilderbuch für Kindergartenknirpse, sondern eher ein kleines Lernbuch für Schulkinder. Denn die bunten Brotdosen kommen ja von ganz weit her – aus einer großen Fabrik in China. Diese hier jedenfalls, die zusammen mit tausenden anderen Brotdosen in einem großen Container übers Meer verschifft wurde – alleweil gut vernetzt und verdrahtet durch einen Logistik-Computer.
Hinter Papas Frühstückslogistik steckt also auch ein riesiges Stück Handelslogistik – quasi Globalisierung zum Anfassen und Wegschmeißen, was später in der Geschichte Thema wird, als die Brotdose im Fundbüro landet und die Frage steht: Lohnt es sich überhaupt, so ein „billiges“ Plasteteil aufzuheben?
Die Antwort in dieser Geschichte lautet: Ja.
Denn Wert messen wir selbst den Dingen zu. Wert ist nichts Selbstständiges, der an den Dingen klebt. Auch wenn das Besitzer von Smartphones und teuren Uhren oft glauben. Aber wie erzählt man Kindern von Wertschätzung? Denn darum geht es ja in dieser scheinbar so simplen Geschichte um die Abenteuer von Ludwigs Brotdose im Lauf eines Schuljahres. Auch wenn es scheinbar nur mitschwingt in all den turbulenten Abenteuern ums Verlieren und Wiederfinden, ums Abgelenktsein und Eilighaben. Es gibt ja so viele Gelegenheiten, bei denen eine eben noch mit Heißhunger geöffnete Brotdose unverhofft liegen gelassen wird. Aber nicht abhanden kommt. Im Gegenteil.
Augenscheinlich ist Ludwigs Vater immer hinterher und hat dem Jungen beigebracht, dass man sich um Dinge kümmern muss. Dass man sie auch nicht einfach wegschmeißt und wieder was Neues kauft. Egal, ob so eine bunte Dose nur ein paar Cent kostet im Laden und in solchen Mengen produziert wird, dass es egal scheint, ob man sie ersetzt.
Ist es nicht. Und Abenteuergeschichten laden so eine Brotdose natürlich auch mit „Wert“ auf. So, wie sich alle Dinge in unserem Leben mit „Wert“ aufladen, die wir immer wieder benutzen. Und die wir pflegen und flicken und besonders achtsam behandeln. Wobei: Diese Brotbüchse hält schon was aus und erlebt auch heiße Bäder im Spüler und stockfinstere Nächte im Kühlschrank. Überall lernt sie andere Dinge kennen. Manchmal auch andere Brotdosen, die aus demselben chinesischen Werk kommen. Manchmal auch alte Stinkerkäse und abgelaufene Joghurts.
Aber auch hier schwingt immer das Thema Sparsamkeit und Aufmerksamkeit mit. Immerhin erzählt Ludwigs Brotbüchse erst einmal aus einer Situation des Verlassenseins heraus. Aus einer dunklen Schublade, in der sie gelandet ist und von der sie nicht weiß, ob sie jemals wieder herauskommt. Wurde sie nach all den turbulenten Abenteuern einfach vergessen? Wäre es da nicht schöner gewesen, als bunter Fressnapf für den Hund Freddy zu enden?
Die Frage wird natürlich beantwortet am Ende.
Solche Geschichten hören nicht einfach auf. Das Leben ist voll davon. Und Eltern haben – wenn sie mal nicht mit der ganzen Logistik rund um das Kind beschäftigt sind – eine Menge solcher Geschichten zu erzählen. So viele, dass sie einander einfach verdrängen. Es gibt eigentliche keine Tage ohne Abenteuer. Und damit sie nicht ganz vergessen werden, drängt es sich geradezu auf, sie manchmal einfach aufzuschreiben. Und dann vielleicht gar in ein Buch zu stecken, das selbst wie eine Brotdose aussieht, die man aufklappen kann. Und was sieht man? Natürlich lecker Schulbrot als Reiseverpflegung, die erste von Sonja Kurzbachs Illustrationen, die die ganzen Abenteuer begleiten. Langweilig ist das Leben so einer Brotdose jedenfalls nicht.
Thilo Reffert Fünf Gramm Glück, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2017, 10,95 Euro.
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