Was Jurij Koch derzeit beim Lychatz Verlag anstellt, ist ein Versuch, über die Generationen hinweg zu kommunizieren – von den (Ur-)Großeltern zu den Enkeln. Der sorbische Schriftsteller Jurij Koch ist mittlerweile längst ein gestandener 80er. Und er erzählt noch immer mit Fabulierfreude von seiner Heimat und den Menschen, die da wohnen. Auch und gerade den alten.

Denn wo sie anderswo in Seniorenheime abgeschoben werden, gehören sie für Koch noch mitten ins Leben, bewohnen ihre kleinen Häuser und erleben allerlei Abenteuer. So wie Bauer Sauer, der 2013 in der Geschichte „Bauer Sauer und der Maulwurf Ulf“ schon seinen Kampf gegen den eifrigen Maulwurf geführt hat. Den Ulf natürlich nicht verloren hat. Gerechtigkeit muss sein. Da kann der Bauer noch so viele Gerätschaften zum Einsatz bringen – alle Flurbereinigung hat ihre Grenzen.

Es sind immer Geschichten mit Augenzwinkern, die Koch über seine Landsleute erzählt. Im Augenzwinkern steckt die Weisheit. Es gibt keine wirklichen Sieger und auch keine echten Siege. Auch Wiesenbesitzer tun gut daran, den friedlichen Ausgleich zu suchen mit den Tieren in ihrem Revier. Man kann sich zwar hineinsteigern in die Bereinigung von Feld und Flur – aber Gutes kommt bei alledem nicht heraus. Schon gar nicht, wenn man zu immer radikaleren Waffen greift. Wie in Bauer Sauers letztem Versuch, als er sein Silvesterraketenarsenal nutzte, um dem unterirdischen Treiben ein Ende zu setzen. Das Ergebnis war ein Haus, das samt Schuppen in die Luft flog.

Nur die Enkel oder Urenkel, denen Opa Jurij die Geschichte erzählte, hatten da wohl noch eine Frage: Und wo ist Bauer Sauer gelandet mit seinem Haus?

Nicht auszudenken, wenn die Geschichte für ihn tragisch endet. Das verriet ja das Bilderbuch nicht. Und Opas eher verlegene Antwort „Na, auf dem Mond!“ genügte wohl auch nicht. Da haben wohl ein paar Vorleseknirpse weitergefragt. Bis Opa Löcher im Bauch hatte und sich was richtig Tolles ausdenken musste. Denn was kann Bauer Sauer eigentlich auf dem Mond geschehen? Ist er überhaupt auf dem Mond gelandet? Oder gar noch viel weiter geflogen auf einen ganz unbekannten Planeten, auf dem ein Volk der Planetilen lebt?

„Wie sehen die denn aus, Opa? Haben die drei Beine? Sind ganz grün? Oder sind das richtige Tentakelmonster?“

Nein, sie sind ganz wuschelig, haben Fell, lange Rüssel und leuchtende Steine im Rüssel.

„Sind das Taschenlampen? Ist es bei denen immer dunkel?“

Nicht nur, erzählt Opa Jurij, die Steine haben Wunderkräfte. Sie können nämlich alles wieder heile machen. Spiegel und Tische und auch Omas Lieblings-Porzellan-Service. Das ist nämlich bei Bauer Sauers ungewollter Bruchlandung auf dem Mond in Scherben gegangen. Vielleicht auch in Wirklichkeit. Das kennen Enkel ja nur zu gut. Ein Scheppern, ein Schrei und ein Ojemine. Man ahnt, dass hinter der Geschichte das ganz alltägliche Leben von Opa Jurij weitergeht. Mit kleinen Malheurchen und großen Ausreden, wie das nun wieder passieren konnte. Da wünscht man sich natürlich solche Wunderkugeln, wie sie die Planetilen haben. Und Bauer Sauer macht einen Fehler: Er hat ja sein Handy dabei und versucht, seine Notlandung auf dem fernen Planeten jemandem auf der Erde zu erzählen. Dumm nur, wenn irgendeine seltsame Behörde den Anruf entgegennimmt und dann schon im nächsten Moment eine riesige Rakete voller Soldaten einfliegt, die den Planetilen erst einmal ihre Leuchtkugeln abnehmen.

Man merkt: Bei Opa läuft auch die ganze Zeit der Fersenseher und er guckt sich den ganzen Krieger-Wahnsinn an, der dort fortwährend berichtet wird. Denn anders verhalten sich ja all die tapferen Armeen von heute auch nicht: Sie fliegen schnell mal los, um anderen Leuten die Leuchtkugeln abzujagen.

So mischen sich die Geschichten, die Jurij Koch sich ausdenkt. Da hat sein Bauer Sauer nun ein Dilemma. Lässt er sich gleich auch retten? Aber dafür scheinen die marschierenden Soldaten gar nicht eingeflogen zu sein. Also muss er sich nun doch auf die Seite der Bestohlenen schlagen. Macht er auch. Wenn man schon in den Kampf zieht, dann sollte man es auf der Seite der Bestohlenen und Friedfertigen tun. Deshalb wird keine Gegenarmee aufgestellt.

„Warum nicht, Opa? Außerirdische haben doch ganz schrecklich starke Waffen!“

Nicht bei mir, hat sich wohl Opa Jurij gewehrt. Das ist nicht seine Art, Geschichten zu erzählen. Seine Helden kämpfen mit den schwachen Mitteln, die sie haben. Auch wenn die zuweilen sehr effektvoll sind. Denn Bauer Sauer hat augenscheinlich so viel Raketen gebunkert für Silvester, dass gar nicht alle draufgegangen sind, um sein Häuschen auf den Mond zu schießen. Er hat also noch ein hübsches kleines Arsenal, um für die Planetilen gegen die diebischen Soldaten von der Erde in den Kampf zu ziehen.

Wie es ausgeht, kann man ahnen. Oder eben sehen, denn der Lieblingsillustrator des Lychatz Verlages, Thomas Leibe, hat auch dieses Buch wieder farbenfreudig und liebevoll illustriert. Wirklich schön und stolz kommen die Soldaten bei ihm nicht weg. Wenn Soldaten so mit der Welt umgehen, dann ist was falsch an der ganzen Glorifizierung von Armeen, egal, für wen sie herumtrampeln in der Welt. Bei Jurij Koch kommt das öfter vor: dieser tiefsitzende Zweifel an der Macht und ihrer Überheblichkeit. Woher nehmen denn die Mächtigen das Recht, derart rücksichtslos über das Leben anderer Wesen zu bestimmen?

Die Befremdung hat er auch schon in seinen großen Romanen in der DDR-Zeit deutlich gemacht. Und wie das so ist: Sie ist wieder da. Oder immer noch. Denn irgendwie werden Menschen, die an die Macht gelangen, seltsam. Sie benehmen sich, als wären die Leben der Schwächeren weniger wert, als wären sie allein die Inhaber aller Gerechtigkeit. Egal, ob es amerikanische Weltrichter sind oder hiesige. Bauer Sauer hätte auch bei den Syrern, Griechen oder Kurden landen können. Die sind zwar nicht so schön pelzig. Aber sie kennen diese Einfälle der Mächtigen und ihre blasierte Selbstgerechtigkeit.

Es ist also auch so eine Opa-nachdenk-Geschichte für die Knirpse.

Damit die sich nicht blenden lassen von all dem Gerede von Gerechtigkeit und „Wir sind die Guten“.

Ob einer gut ist, zeigt sich, wenn er in einer vertrackten Lage landet wie Bauer Sauer – und was Gutes draus macht. Und zwar möglichst ohne weiteren Schaden anzurichten. Also nicht das übliche Kinderbilderbuch, sondern ein unübliches, wie man es kennt vom Autor-Illustrator-Gespann Koch/Leibe. Samt dem Gefühl am Ende, dass die Knirpse gleich wieder weiter fragen werden. Denn: „Wie ist Bauer Sauer eigentlich wieder auf die Erde gekommen? War sein Häuschen denn nicht ganz und gar kaputt?“

So etwas machen Autoren wie Jurij Koch, wenn sie ihren jüngsten Lesern signalisieren wollen: Ich bin mit Erzählen noch lange nicht fertig. Da kommt noch was.

Jurij Koch, Thomas Leibe Bauer Sauer hinter dem Mond, Lychatz Verlag, Leipzig 2017, 9,95 Euro.

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/03/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar