Luther-Romane gibt es wie Sand am Meer, auch ein paar über seine geliebte Käthe. Aber über seine Mutter hat noch niemand ein ganzes Buch geschrieben. Da muss man erst einmal drauf kommen. Aber wenn man sich – wie die beiden schreibenden Zwillingsschwestern Claudia und Nadja Beinert – in das Thema vertieft, wird ein ganzes Zeitalter lebendig. Eines, in dem es ziemlich hart zuging.

Wer könnte davon besser erzählen als Margarethe Luder, seine Mutter? Auch wenn wir von ihr selbst scheinbar wenig wissen. Andererseits: Wir wissen viel mehr über Luthers Eltern als sonst über die Eltern berühmter Menschen meist bekannt ist. Er hat ja selbst drüber geschrieben, hat in den Tischreden immer wieder Bezug auf sie genommen. Und es gibt das berühmte Doppelporträt von Hans und Margarethe Luther, das Lucas Cranach augenscheinlich direkt für Martin Luther gemalt hat. Eine Seltenheit in dieser Zeit. Denn solche Ölporträts konnten sich auch damals nur wirklich reiche Menschen leisten.

Hans Luder gehörte zwar als Hüttenpächter zur Mansfelder Oberschicht. Aber als Bauernsohn musste er sich erst einen gewissen Wohlstand erarbeiten. Was im Mansfelder Kupferbergbau überhaupt erst möglich war. Er war ein Mann, der seine Chance erkannte und bereit war, hart zu arbeiten, um den Aufstieg zu schaffen. Entscheidungsfreudig war er, möglicherweise aber auch sehr streng.

Das ist der Punkt, an dem die Rekonstruktion beginnt. Schon andere Autoren haben sich Gedanken darüber gemacht, wie Luther durch seine Kindheit geprägt wurde. Woher kamen die Ängste, die sein frühes Leben überschatteten? Woher aber nahm er auch diesen Mut, eine ganze Welt herauszufordern? Angefangen mit seinem Vater, den er regelrecht brüskierte, als er das Jurastudium hinschmiss und als Mönch ins Kloster ging.

Nadja und Claudia Beinert haben sich richtig viel Mühe gegeben, um – aus der Sicht Margarethes – die Kindheit Luthers zu rekonstruieren. Material gibt es in Fülle. Über 12.000 Quellenmaterialien haben sie durchgeackert. Aber sie konnten auch auf all die archäologischen Funde zurückgreifen, die im Gelände von Hans Luders Anwesen in Mansfeld gemacht wurden. Funde, die Martin Luthers Geschichte von einer Kindheit in Armut natürlich Lügen straften. Sein Vater war kein einfacher Häuer und seine Mutter erst recht keine einfache Holzsammlerin. Sie stammte sogar aus einem Eisenacher Ratsherrengeschlecht.

Es gibt also eine Menge Indizien und Mosaiksteine, aus denen sich dieses Leben in Mansfeld zwischen 1484 und 1530 zu einer Fabel verdichten lässt – mit einem ganzen auch historisch nachweisbaren Figurenensemble. Aber auch mit jenem lodernden und rauchenden Hintergrund der brennenden Essen, die Mansfeld damals möglicherweise zu einem ziemlich dunklen Ort machten. Die Autorinnen malen gern mit Farben und Stimmungen. Das haben die beiden Zwillingsschwestern schon in den drei historischen Romanen zum Dom von Naumburg bewiesen. So können sie sich in die Motive ihrer Heldinnen hineinarbeiten. Denn sie machen Frauen zu Heldinnen ihrer Bücher, was eine unübersehbare Bereicherung auch für die historische Literatur aus Mitteldeutschland ist. Denn in den üblichen Geschichtserzählungen tauchen Frauen ja meist nur am Rande auf – und das meist auch nur als Fürstinnen.

So gesehen ist schon Cranachs Doppelporträt eine gewaltige Ausnahme, die aber auch davon erzählt, wie sehr sich unser Blick auf die Welt durch diesen Martin Luther geändert hat. Das Porträt von Margarethe Luther spielt in der Rahmenhandlung die zentrale Rolle, denn bei einem Besuch der Luther-Eltern in Wittenberg hat Lucas Cranach auch Margarethe gebeten, für ihn Modell zu sitzen. Und weil das Bild authentisch ist, verrät es eine Menge über die Frau, die nur auf den ersten Blick alt und verhärmt aussieht. Der zweite Blick offenbart eine mitfühlende, auch stolze und beharrliche Frau, die ganz sicher anders prägend wurde für den kleinen Martin als sein strenger und wohl auch unnahbarer Vater.

Die Beinerts schildern den Vater als einen Mann, der kaum Emotionen zeigt, aber streng darauf achtet, dass seine Anweisungen sofort und ohne Widerspruch durchgeführt werden. Damit wahrscheinlich dem Männerbild der Zeit sehr nah. Keine gute Zeit für Liebe und Verständnis. Und wohl auch oft Grund für Spannungen im Hause Luder. Immerhin mussten die Luders sich ihren Platz in der Mansfelder Gesellschaft auch erst erarbeiten. Eine Gesellschaft, in der die Standesschranken noch galten und der Alltag von einer umfassenden Furcht vor Gott geprägt war.

Viele Luther-Bücher ignorieren meist, wie die Welt war, in der der spätere Theologieprofessor so für Aufruhr sorgte. Sie ist ja auch nicht leicht zu rekonstruieren. Das, was die Reformation verändert hat, prägt unsere Sichtweise auf die Zeit. Man merkt, wie intensiv sich die beiden Autorinnen mit dem Stoff beschäftigt haben. Das Ergebnis ist eine anrührende, auch aufwühlende Lebensgeschichte, die eben einmal keine politische ist, sondern die einer gebildeten und selbstbewussten Frau, die unter widrigen Umständen versuchen musste, nicht nur den Haushalt zu bewältigen, sondern auch Kinder zu gebären und zu erziehen. Einige dieser Kinder verlor auch Margarethe noch zu Lebzeiten. Eins auch an die Pest. Die große Seuche der Zeit suchte auch Mansfeld mehrfach heim. Man lebte in einer Art Endzeitstimmung. Und Luthers Schriften fielen nicht nur auf fruchtbaren Boden, sondern gerieten auch in Konflikt mit den Ängsten der Menschen. Das ist ja keine Besonderheit unserer Zeit, wie leicht- und abergläubisch Menschen sind. Das waren sie auch damals. Und die Anfeindungen müssen auch die Luders in Mansfeld erlebt haben. Bis hin zur Verdammung Luthers als Satan.

Womit die Beinerts einen Teil der Geschichte erzählen, der uns selten bewusst wird: dass Luther und seine Reformation eben nicht einfach da waren. Joachim Köhler hat in seinem „Luther!“-Buch schon sehr anschaulich beschrieben, wie sehr Luthers Handeln immer von Emotionen, persönlichen Erlebnissen und vielen Ängsten geprägt war. Seine Ängste waren so außergewöhnlich nicht. Der Ablasshandel funktionierte ja deshalb so gut, weil die Menschen in Angst und Schrecken versetzt waren vor Hölle und Fegefeuer. Damit hat sich schon immer gut regieren lassen. Und es ist der Knoten, den Luther erst durch seine Freundschaft zu Staupitz und sein intensives Lesen der Paulus-Briefe löste.

Aber Margarethe war nicht dabei. Das ist das Beeindruckende an dem Buch, dass die Heldin eben nicht im Zentrum der Veränderungen steht, sondern in Martin den verlorenen Sohn sehen muss. Denn im väterlichen Haushalt durfte er sich nach seinem Mönchsgelübde nicht sehen lassen. Und sein Vater Hans tat sich lange schwer, den Weg seines Sohnes zu akzeptieren. Da hatte er anderes vorgehabt mit ihm. Und es ist auch zu viel zerrissen, als Martin sich gegen den väterlichen Willen stellte. Eine geradezu mitreißende Rolle weisen die Autorinnen Martins Schwester Grete zu. Sie belassen es nicht bei einer Heldin, sondern schaffen einen kleinen Kosmos von Frauen, die Margarethes Welt bereichern – von den Frauen der Ratsherren und Hüttenbesitzer bis hin zur Hebamme Augustine und der selbstbewussten Magd Lioba, die augenscheinlich auch den jungen Martin durcheinanderbringt.

Immerhin gilt es ja auch einige Motive zu hinterfragen, die Martin selbst für seine frühen Jugendentscheidungen vorgebracht hat. War es wirklich ein Blitz bei Stotternheim, der ihn zum Mönch machte?

Claudia und Nadja Beinert finden eine andere Erklärung. Eine, die aus ihrer Sicht logischer ist. Manchmal muss auch dieser energische Martin Luther geschwindelt haben. Denn reicht so eine Kehrtwende im Leben, um die fast verzweifelte Suche nach einem barmherzigen Gott zu beginnen? Den es ja in der damaligen Kirche nicht gab. Könnten es persönliche Motive sein, die ihn zu seinen seltsamen Lebensentscheidungen brachten? Die beiden Autorinnen argumentieren aus weiblicher Sicht. Und das ist nur zu berechtigt. Männer versuchen immer gern, ein paar logische Märchen aufzutischen, wenn sie nach ihren Beweggründen gefragt werden. Und in Hans Luder zeichnen die beiden ja einen exemplarischen Typ Mann für diese Zeit, der über Emotionen ganz bestimmt niemals reden würde. Und wer die Mannsbilder der Gegenwart kennt, weiß, dass es diese Männer noch heute gibt. Die Sache mit dem Trösten, Zuhören und Einfühlen überlassen sie auch heute noch gern den Frauen.

Und auch wenn Margarethe in weiten Teilen des Romans hadert mit ihrem Schicksal und sich schwertut, sich in die strenge Welt ihres Mannes einzuordnen, spürt man, mit welcher Aufopferung solche Frauen dennoch dafür sorgen, dass der Haushalt funktioniert, die Wünsche des Hausherren erfüllt werden und die Kinder behütet und gestärkt werden. Ohne sie geht es nicht. Und wahrscheinlich hat sich Margarethe tatsächlich nur selten so geöffnet, wie sie es in dieser Geschichte im Atelier von Lucas Cranach tut. Der sie ja als Persönlichkeit begreifen will – quasi stellvertretend für die beiden Autorinnen. Aber gäbe es dieses Porträt nicht, hätten sie auch nie so einfühlsam über Luthers Mutter schreiben können.

Der Titel von der „Mutter des Satans“ ist etwas deftig und erinnert daran, mit welcher emotionalen Wucht Luthers Vorstellungen von einem anderen Gott die Zeit erschütterte. Ein einfacher Siegeszug war diese Reformation ja gar nicht, auch wenn sie am Ende den Weg wieder eröffnete, dass Hans seinem Sohn verzieh und die beiden Luders zur Hochzeit ihres Sohnes nach Wittenberg fahren konnten. Der auch am Ende nicht im Mittelpunkt der Geschichte steht. Er überstrahlt die Lebensgeschichte seiner Mutter nicht, von der man am Ende durchaus das Gefühl hat: Ja, so könnte sie gewesen sein. Und alle diese Erschütterungen kann es in ihrem Leben tatsächlich so gegeben haben. Langweilig war dieses Leben ganz bestimmt nicht. Man braucht keine Königinnen und Prinzessinnen, um aufregende Frauen-Leben zu erzählen. Man muss sie nur finden in ihren von Trauer und Freude durchwachsenen Leben – und mit viel Nachdenken darüber erzählen. Ergebnis ist ein zwar in weiten Teilen von Rauch und Asche etwas farbloses Bild. Aber das war wohl in dieser Kupferstadt Mansfeld so. Zumindest, bis die Konkurrenz stärker wurde und die Kupferpreise in den Keller fielen. Was auch die Luders nicht verschonte. Aber das Ende ist ja historisch belegt ein versöhnliches.

Und so rücken die beiden Autorinnen hier eine Frau in den Mittelpunkt des Zeitgeschehens, die den Platz natürlich verdient hat. Auch wenn man verblüfft ist, wie selbstverständlich das aussieht. Oder: Wurde es einfach Zeit?

Die große Buchpremiere zu „Die Mutter des Satans“ von Claudia und Nadja Beinert findet am Donnerstag, 16. Februar, um 18:30 Uhr im Malsaal der Cranach-Stiftung, am Markt 4 in Wittenberg statt.

Die beiden Autorinnen gehen mit dem Buch auf eine richtige Margarethe-Luther-Lesereise, die sie am 3. März auch in die Thalia-Buchhandlung in Halle (Marktplatz 3) führt. Beginn: 20:15 Uhr.

Leipzig ist nicht Teil dieser Lesereise, denn zur Buchmesse vom 24. bis 26. März sind Claudia und Nadja Beinert sowieso in Leipzig – auch mit den anderen historischen Romanen, die sie geschrieben haben.

Claudia & Nadja Beinert Die Mutter des Satans, Knaur Verlag, München 2017, 19,99 Euro.

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