Am Montag, 23. Januar, feiert die Buchhandlung SeitenBlick am Lindenauer Markt ein bisschen. Nicht nur den Deutschen Buchhandlungspreis, den die kleine Buchhandlung im vergangenen Jahr zugesprochen bekam, sondern auch eine kleine Publikation, die einen Schriftsteller würdigt, der in Lindenau und Leutzsch fast 20 Jahre zu Hause war: Fritz Rudolf Fries.
Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte er zwar in Berlin und Petershagen. Aber fast alle seine Bücher kreisen um seine Familie und um die Zeit in Leipzig. Beide prägten das Leben des Mannes, der schon 1966 erlebte, wie ablehnend die Machthaber auf alles reagierten, was nicht ins Raster des sogenannten „sozialistischen Realismus“ passte. Sein erster Roman, „Der Weg nach Oobliadooh“, konnte nicht im Osten erscheinen. Fries ließ ihn im Westen erscheinen und handelte sich damit so einigen Ärger ein. Ärger mit Folgen, wie das kleine Buch auch zu berichten weiß, denn fortan klebte ihm die Staatssicherheit an den Hacken und blieb so lange kleben, bis sie ihn als IM geworben hatte. Eine Tatsache, die Leben und Schreiben des Schriftstellers auch nach der „Wende“ überschattete. Nur vorsichtig wagte er sich diesem Thema zu nähern, nicht mit dem großen Kotau, der für gewöhnlich in solchen Fällen erwartet wird, sondern mit stiller Selbstbefragung. Von „kalkulierter Schizophrenie“ schreibt er.
Dass sich das Bändchen tatsächlich auch diesem Kapitel widmet, hat auch mit den Reaktionen einiger Besucher der Buchhandlung zu tun, die 2015 den Literarischen Spaziergang durch Leutzsch und eine Ausstellung in der Buchhandlung SeitenBlick über das Leipziger Leben von Fritz Rudolf Fries wahrnahmen. Kann man so ein Autorenschicksal ohne dieses Kapitel erzählen? Ansgar Weber hat sich entschlossen, das Kapitel mit unterzubringen – nicht nur die Passagen aus Joachim Walthers „Sicherungsbereich Literatur“, sondern auch Tagebucheinträge und Romanpassagen von Fries, in denen er den Raum auslotet, der an Entscheidungen möglich war. Der große Radikale war er ja nicht. Das Risiko, in den Westen gehen zu müssen, wollte er nicht eingehen – was nur allzu offenkundig wurde, als die Mutigsten 1976 die Erklärung gegen die Biermann-Ausbürgerung verfassten.
Ein schwieriger Fall. Gerade weil so offenkundig war, dass Fries mit seiner phantasievollen, pikaresken Schreibweise so gar nicht in die verordnete Literatur der DDR passte. Er hat sich auch nicht angebiedert, eher versucht, den unangenehmen Anbiederungsversuchen seines Betreuers auszuweichen. Das Büchlein bringt die verfügbaren Quellen einfach unkommentiert. Möge sich jeder selbst ein Urteil bilden.
Vielleicht ist es eher ein Wunder, dass in der DDR trotzdem Bücher wie „Das Luftschiff” oder „Alexanders neue Welten“ entstehen konnten und auch veröffentlicht wurden. Immer waren da trübselige Instanzen, die nichts anders zu tun hatten, als madige Stellen zu suchen und zu finden. Ein durchherrschter Staat, der allen seinen Bürgern zutiefst misstraute.
Und dabei war das Leben von Fries voller Magie. Man merkt es beim Lesen seiner Bücher. Da ist seine spanische Kindheit genauso präsent wie seine spanische Familie, die es 1942 nach Leipzig verschlug, direkt nach Leutzsch. Hier wuchs er auf, ging zur Schule. Und wie real die von ihm geschilderten Figuren waren, das zeigt dieses Büchlein, das die einschlägigen Stellen aus den Büchern mit der Ortserkundung der Gegenwart verbindet. Denn Manches ist noch da: die ehemalige Post, die Schule, das Wohnhaus. Na gut, Prießnitzbad, Schwarzer Jäger, Schäfers Ballhaus und Wasserturm sind verschwunden. Da braucht man Phantasie, um sich so wichtige Landmarken, wie sie auch im „Weg nach Oobliadooh“ vorkommen, vorzustellen.
Aber darum ging es ja beim Spaziergang 2015: Leutzsch mit den Augen des Schriftstellers zu erkunden, der hier seine Jugend verbrachte und die Landschaft seiner frühen Jahre auch immer wieder literarisch verarbeitete. Und da er das mit einem durch die spanische Literatur geprägten Stil tat, sind seine Bücher auch heute noch lesenswert, laden in zwei Welten ein, die sich nahtlos verbinden: die reale Familiengeschichte und die fortwährend abschweifende Phantasie des Autors, der immer auch versucht, die geistigen Welten seiner Protagonisten zu erkunden. Was zuweilen Texte ergibt, die zwischen der satirischen Don-Quijoterie und der aufmerksamen Distanz eines Marcel Proust schweben.
Harter Tobak für diese DDR, in der eine mephistophelische Zensur versuchte, das „Dekadente“ und Dissidentische auszumerzen aus den Büchern – und tatsächlich nur eine Atmosphäre der permanenten Erwartung erzeugte. Denn welche Bücher von welchen Autoren im „Genehmigungsverfahren“ festhingen, das sprach sich im Leseland DDR schnell herum – und machte die Buchtitel gerade deshalb spannend. Über etliche dieser Kapriolen berichten ja Simone Barck und Siegfried Lokatis in ihrem Buch „Zensurspiele“.
Denn der beste Verbündete aller Autoren ist immer der Leser. Da können Berge von parteigerechter Literatur in den Buchhandlungen versauern und verschimmeln – es interessiert nicht wirklich. Aber wenn Bücher, die mehr bieten, unterdrückt werden oder gar nur im Ausland erscheinen können, dann beginnt der Schmuggel und das Gewisper über das eigentlich Spannende an der Literatur. Und dann werden jene Bücher zur Legende, die die Welt tatsächlich literarisch erkunden. Geübte Leser wissen das und spüren das. Solche Bücher „funktionieren“ auch noch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen. So ging es Ansgar Weber, der die Fries-Bücher noch einmal las und neben dem ortskundigen Autor Fritz Rudolf Fries auch den begnadeten Erzähler wiederentdeckte.
Davon erzählen selbst die kurzen Zitate zu den Personen und Orten, die in diesem Bändchen wiederentdeckt werden. Sauber gearbeitet lassen sie eine Welt im Kopf lebendig werden, die sich heute nicht mehr fotografieren lässt. Da hat auch Fotograf Roland Beer keine Chance. Dazu ist das Heutige viel zu sauber, zu geglättet, regelrecht zeitlos gemacht.
Während bei Fries ja alles von permanenter Vergänglichkeit erzählt – menschlichen Schicksalen und dem Gezeichnetsein von Häusern, Straßen, Orten.
Akribisch wurden die realen Orte aus Fries’ Büchern erkundet, wurden Fotos vom heutigen Zustand gemacht, die natürlich auch wieder trügen. Denn so schön saniert sah das alles auch in den 1950er Jahren nicht aus. Fotos aus dem Friesschen Familienarchiv ergänzen die Texte, zeigen Vater und Großvater, Tante und Großmutter. Und da es vor allem Spaziergänge in Leutzsch waren, die dem Ganzen zugrunde lagen, fehlt natürlich ein anderer spannender Teil: Das Studium von Fries bei Hans Mayer und Werner Krauss an der Universität Leipzig in den 1950er Jahren.
Aber es ging ja vor allem um die Ortserkundung in Leutzsch und Lindenau, um das „Inventar der Vorstadt“, auch wenn der Titel noch etwas Anderes zitiert: das Verschwinden der einstigen jüdischen Bewohner des Westens, das der junge Fries eher beiläufig registrierte. Erst im späteren Schreiben wurde ihm deutlicher, was dieses Ausmerzen von Menschen aus dem „Inventar der Vorstadt“ eigentlich bedeutete.
„Inventar der Vorstadt. Fritz Rudolf Fries in Leutzsch“, Buchhandlung SeitenBlick, Leipzig 2017.
Offiziell vorgestellt wird das Buch am Montag, 23. Januar, um 19 Uhr in der Buchhandlung SeitenBlick. Die Gelegenheit nutzt die kleine Buchhandlung auch, um gemeinsam mit Kundinnen und Kunden den Erhalt des Deutschen Buchhandlungspreises zu begehen.
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