Von 2011 bis 2016 hat Dona Abboud an der HGB Leipzig studiert. Sie kommt aus Syrien und sie hielt all die Zeit den Kontakt zu Freunden und Verwandten vor allem über Facebook. Das Netzwerk erwies sich mit Ausbruch des Krieges oft als einzig verlässliche Verbindung zwischen Menschen, die auseinandergerissen wurden, von Kriegsfronten getrennt, auf der Flucht oder in der Ferne mit der Gründung einer neuen Existenz beschäftigt.
Das, was Dona Abboud jetzt in diesem Buch gesammelt hat, sind nicht nur rund 2.000 Fotos von den Facebook-Seiten von Menschen, mit denen sie all die Zeit in Kontakt blieb – es sind auch Lebensgeschichten. Geschichten über ein Syrien, wie es in unseren Medien eher selten zu sehen ist. Wie gebannt starren unsere Nachrichtenmacher auf die Verwüstungen, die der IS anrichtet, auf den blutigen Terror dieser Kriegsgruppe, aber auch auf die Zerstörungen, die andere Kriegsteilnehmer in jenen Städten anrichten, die 2011 Ort jenes kurzen syrischen Frühlings waren, der dann zum Opfer des Bürgerkriegs wurde.
Aber wir bekommen kaum etwas mit vom Leben und Sterben der Menschen, fast scheint es, als gehörten die Bilder vom Krieg, von ertrinkenden Flüchtlingen und von erbosten Bürgern auf deutschen Straßen nicht zusammen. Als würde das unsägliche Leid in Syrien in unseren Mitmenschen alle Mitleidlosigkeit erwecken und lauter Gefühle des tiefsten Beleidigtseins.
Gewiss wird irgendwann in fernen Jahren ein kluger Wissenschaftler auch mal das Krankheitsbild der fehlenden Empathie untersuchen. Das wird noch dauern. Denn derzeit ist die Welt kaputt. Und die Nachrichten sind es auch. Vor allem, weil sie immer wieder auch versuchen, die Geschehnisse in eine große, dumme Erzählung von den Guten auf der einen Seite und den Bösen auf der anderen Seite zu pressen. Was im Fall des syrischen Bürgerkrieges schon lange nicht mehr funktioniert. Zu verworren sind die Fronten und Beistandspakte, zu viele egoistische Interessen sind im Spiel. Als hätte jemand die Büchse der Pandora geöffnet und ein Land zum Kampfplatz aller Falschheiten der modernen Machtgelüste gemacht.
Und die Menschen?
Wahrscheinlich hätte die junge syrische Künstlerin mit hunderten syrischen Gesprächspartnern auf Facebook so ein Buch machen können, viele Bücher, eine Riesenbibliothek mit menschlichen Geschichten, die gerade deshalb so vertraut wirken, weil die Darstellungsformen auf Facebook alle dazu streben, das einfache, schöne, schrille, alltägliche Leben zu zeigen. Menschen heiraten, feiern Geburtstage und Partys, gehen aus, shoppen und tanzen, posieren mit Freunden, holen ihre Eltern ins Bild, fertigen Selfies an schönen Orten, die sie bereisen. Einige der Bekannten, die Abboud in ihrem Buch untergebracht hat, leben ein fast normales Leben im vom Bürgerkrieg unbehelligten Teil Syriens, wo Assad 2014 problemlos seine Präsidentenwahl gewann und gefeiert wird. Und wo auch die syrische Armee gefeiert wird, die anfangs so deprimierende Niederlagen auch gegen den IS erlitt.
Man würde all diese sehr patriotischen Bilder aus dem Damaskus dieser Zeit mit Skepsis betrachten, wenn es da nicht auch die Facebook-Schicksale mehrerer junger Männer gäbe, die sich genauso lebenshungrig und in herausfordernder Pose der Kamera stellten. Doch nach den heldenhaften Bildern mit Maschinenpistolen und Granatwerfern verliert sich die Spur, die Facebook-Seite verschwindet, existiert einfach nicht mehr. Man kann auch auf Facebook so namenlos sterben wie im richtigen Krieg. Ihnen konnte Dona Abboud auch nicht mehr die Fragen stellen, die sie allen anderen gestellt hat – nach der Liebe, dem Fotografieren, der Heimat, dem Krieg. Und danach, was sie denken, wenn sie Männer mit Waffen sehen.
Von denen, die ihr geantwortet haben, bekam sie sehr unterschiedliche Antworten. Aber oft sind es erst die Fluten von Bildern, die ahnen lassen, wie intensiv sich einige ihrer Gesprächspartner mit diesem Krieg beschäftigen – und wie bizarr und widersprüchlich viele Erklärungen sind. Und es fällt auf, was in unseren Breiten kaum noch erwähnt wird: dass es Menschen gibt, die Syrien lieben und als ihre Heimat empfinden. Und die mitleiden, wenn gefangene Soldaten in öffentlichen Videos hingerichtet werden – von wem auch immer. Und man stolpert auch wieder über einen anderen Aspekt, der die Tragik dieses Krieges zeigt: dass Syrien eines der säkularen Länder in dieser Region war und ist – und dass die schlimmsten Kriegsteilnehmer im Namen von Gott und Religion morden, plündern, zerstören.
Die Fronten zerreißen das Land. Und wenn man diese Zeichen übersieht, merkt man gar nicht, dass die elf Menschen, die Dona Abboud in diesem Buch würdigt, nicht alle auf derselben Seite jener imaginären Front stehen, die den Nahen Osten zerreißt. Facebook macht alle gleich, zeigt Jugend als Jugend, betont die persönlichen Vorlieben, zeigt die Stolzen stolz und die Verliebten verliebt. Und erst wenn die Inszenierungen der Zerstörer gepostet werden, zerbricht das Bild, werden aus jungen, kühnen Männern – ja, was eigentlich? Monster? Helden? Fanatiker?
Oder doch nur Verführte, von einer glühenden Idee Besessene, die zu allem missbrauchbar sind?
Facebook kann das nicht sichtbar machen. Männer mit Waffen können alles bedeuten, „Dumme Menschen mit Geld“, Diffamierung von Religion – oder sogar Sicherheit, wenn es Polizisten sind oder Soldaten, die die Heimat verteidigen. Und Heimat ist eigentlich immer ein Ort, an dem man sich sicher fühlt, ein Dach über dem Kopf hat, wo man zu Hause ist. Auch wenn dieser Ort in der Ferne liegt – in der Türkei, in Dubai, in Deutschland.
Die Bilder bestätigen, was Dona Abboud im Vorwort kurz anreißt: „Diese Wirklichkeit ist manchmal voller Lebendigkeit, manchmal voller Traurigkeit, aber sie ist immer vollkommen anders als die Wirklichkeit, die man hier in den Nachrichten sieht.“
Wir vergessen so oft, wie sehr unser Bild von der Welt gefiltert ist, sortiert von großen Sendern und Nachrichtenagenturen, die ihren Fokus fast nur noch auf das richten, was sich gut verkauft, was für Entsetzen und Aufmerksamkeit sorgt (und damit die Spirale des Entsetzens in Europa erst richtig anfeuert). Und was vor allem in die einfachen Erzählmuster von Gut und Böse passt, die unsere Nachrichten dominieren. Mitsamt den mitgelieferten Wertungen, als liefe da draußen tatsächlich ein heiliger Krieg zwischen dem Guten und dem Bösen, dem Westen und dem fanatischen Orient.
Tatsächlich aber sehen wir nichts. Nur Interpretationen oder – von den Kriegsparteien selbst – aufgestylte Propaganda. Nur die Menschen verschwinden, ihre scheinbar so unwichtige Realität, ihre Gefühle, ihr Alltag.
Facebook ist derzeit auch das beliebteste Propagandainstrument. Keine Frage. Wer sich dort äußert, ist nicht allein, sondern steht immer unter Beobachtung. Auch durch seine „Kampfgenossen“. Deswegen prallen hier auch Bilderwelten aufeinander – das blutige Morden steht neben dem lebenslustigen Alltag, die Heldenpose neben der fragenden Besorgnis. Und eher beiläufig in den Bildern sieht man, dass das letztlich nicht zu vereinbaren ist. Der Gottesstatt dieser erbarmungslosen Krieger ist mit dem freien Leben der jungen Frauen aus Damaskus nicht vereinbar, genauso wenig wie mit den Friedenshoffnungen der Väter oder der Journalistin, die für ihren Fernsehsender mit Stahlhelm und Kugelweste an die Front geht.
Was fehlt?
Die Geschichten der Menschen aus dem Osten des Landes, die auf der Flucht sind, die alles verloren haben. Aber sie hätten das Buch wohl erst recht mit Tragik angefüllt. So schwingt die Tragik fast still mit – und deshalb als Schock, wenn Facebook-Seiten junger Männer einfach verschwinden. Sie werden Dona Abbouds Fragen niemals beantworten können. Und das sagt auch schon sehr viel über die Leere solcher Kriege aus.
Dona Abboud „Out of Syria, inside Facebook“, HGB, Institut für Buchkunst, Leipzig 2016, 20 Euro.
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