Im Museum der bildenden Künste sind jetzt die Arbeiten der vier neuen Marion-Ermer-Preisträger zu sehen. Die Besucher der kleinen Ausstellung werden gleich von den Arbeiten der jungen Leipziger Künstlerin Katharina Schilling begrüßt. Arbeiten, die erst einmal so gar nicht an die erzählerischen Welten der (Neuen) Leipziger Schule erinnern. Das kann erstaunlich erfrischend sein.
Nicht weil die Leipziger Schule und ihre Spielarten nicht erfrischend wären. Im Gegenteil: das sind Bilderwelten, in denen man baden kann, die einen auch besoffenen machen können. Die aber vor allem einen klassischen Antipoden haben: die Pop-Art.
Eigentlich ist Pop-Art keine eigenständige Kunstrichtung, sondern nur eine künstlerische Reaktion auf eine von schreienden Farben und Botschaften überquellende Konsumwelt mit all ihren Marken, falschen Verheißungen, Ikonen und Darstellungsformen. Wikipedia dazu: „Die Motive sind häufig der Alltagskultur, der Welt des Konsums, den Massenmedien und der Werbung entnommen, wobei die Darstellung in fotorealistischer und meist überdimensionierter Abbildung erfolgt.“
Was das Phänomen untertreibt. Denn Pop-Art selbst ist ja auch wieder nur die Reaktion von ambitionierten Künstlern, sich in einer Welt zunehmend schrillerer und bunterer Werbebotschaften überhaupt noch Aufmerksamkeit zu verschaffen – mal spielerisch, mal kritisch. Denn ausblenden kann man diese mit falschen Emotionen aufgeblasene Kunst-Werbe-Sprache ja nicht, die nicht nur in der Reklame zu finden ist, sondern selbst in den überdrehten Massenmedien der Gegenwart (Radio und Fernsehen). Sie ist allgegenwärtig, durchdringt alle Lebensbereiche. Menschen laufen mit schrillen Marken-Logos durch die Welt, selbst scheinbar seriöse TV-Formate werden wie eine Waschmittelwerbung präsentiert. Die Leute, die dort weichgespülte Inhalte als „Produkt“ verkaufen, nennen sich auch noch Journalisten und leiten dann seltsame Waschfrauenrunden, in denen über den Niedergang des Journalismus geschwafelt wird, bis der Einblender kommt.
Aber wie man sieht, hat auch die verspielte Pop-Art nicht geholfen, diesen Trend der Verwandlung der Wirklichkeit in eine einzige Soap-Serie zu bremsen. Im Gegenteil: Der Schaum erobert die Gehirne. Und man versteht die 1984 in Köln geborene Katharina Schilling, die 2013 ihr Meisterschülerstudium in Leipzig abgeschlossen hat, wenn sie sagt: Mit mir nicht mehr.
Ihre Bilder sagen es. Gerade weil sie so zurückhaltend sind, so reduziert auf Struktur und Motive. Gerade das große Bild „Pomela“. Das ist eine Frucht, die einfach keine Aufladung mit irgendeiner Bedeutung hat. Den Apfel nennt die Künstlerin als Gegenbeispiel. Und phantasielose Maler malen auch heute noch Stillleben mit Äpfeln, verwelkenden Blumen, Totenschädeln oder gebrochenem Brot auf einsamem Teller.
Das geht nicht mehr. Nicht, wenn man in einer Welt lebt, die ringsum mit Botschaften überladen ist, die an Sehnsüchte und Wünsche appellieren und dem Menschen in allen Lebenslagen und allerorten suggerieren, dass er ein unerfülltes Wesen ist, der unbedingt noch dies oder jenes Produkt braucht, um eine Erfüllung seiner Wünsche zu finden. Ganz schnell, jetzt, sofort. Der Wunscherzeugung folgt sofort das Angebot zur Befriedigung. Und dann? Dann kommt der nächste Hunger, das nächste Angebot … Aus dem Appetit auf die erste pralle Wunscherfüllung wird eine immer unbefriedigendere Jagd nach immer pralleren Versprechungen, der Befriedigung eines Durstes, der immer mehr wächst, je atemloser man den Verheißungen nachjagt.
Da sieht man dann nicht mehr die Details, das Stille, das Unverwechselbare des Moments. Auch nicht die Ästhetik der Dinge, die bei all den schreienden Botschaften einfach nicht mehr greifbar ist.
Was Schilling malt, ist ein stiller Protest. Mit zarten, manchmal frottierten, strukturierten Hintergründen, vor denen die Dinge zu schweben scheinen, die sie aus ihrem Alltagszusammenhang herausnimmt. Ganz behutsam. Sie zeichnet sie so genau, dass man geradezu gezwungen ist, sie in ihrer Schönheit endlich wieder wahrzunehmen: die durchscheinende Porzellanschale, die Pomela, selbst diesen herrlichen rot-grünen Apfel der Sorte Elstar, die gleich dem Bild auch den Namen gibt. Aber die Äpfel liegen nicht knackig zum Anbeißen auf dem Teller, sondern schweben vor einem kristallinen Hintergrund. Wie ein Schwarm, als wären sie gerade aufgeflogen, hätte sich das traditionelle langweilige Stillleben „Teller mit Äpfeln“ vor unseren Augen einfach aufgelöst. Als würden die Äpfel noch extra frech erklären: Ihr könnt uns mal.
Und das sollten wir wohl auch: Sie wieder anschauen, all die Dinge, die uns umgeben, von denen wir meist viel zu viele haben, ohne sie noch im Einzelnen wahrzunehmen. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass es chinesische und japanische Motive sind, die in die Bilder von Katharina Schilling huschen. Oder einfach da sind, weil sie diese reduzierte Bildwelt sowieso liebt. Bilder wie Haikus, die dazu zwingen, diese zerbrechlichen Objekte wieder ins Zentrum unserer Blicke zu rücken. Denn seit Jahrtausenden schaffen Menschen ja schöne Dinge. Und sie haben sich einst auch Zeit genommen, diese Schönheit zu genießen und zu erdulden, um das mal aus heutiger Perspektive zu benennen, wo man das Neue nicht mehr auszuhalten scheint, wenn man es gekauft hat. Denn damit ist es schon alt, beginnt im Kopf die Uhr zu ticken, die das gekaufte Objekt abschreibt und den Betrachter zwingt, nach dem nächsten neuesten Objekt Ausschau zu halten.
Nicht mit mir, sagen Schillings Bilder, die den Betrachter zum Hingucken zwingen. Manchmal auch zum Erkennen, denn welche Struktur in einem großen, blaugekachelten Bild steckt, enthüllt erst der Titel: Pool. Ein bewusst auf Irritation angelegtes Bild, bei dem Beckenrand, Liegestuhl, Sprungturm und die üblichen gelangweilten Heldinnen der modernen Werbe-Ikonografie fehlen. Sie werden nicht gebraucht für diesen intensiven Blick ins stille Wasser.
Kaum ein Bild im Katalog zeigt so deutlich, was Katharina Schilling nicht mehr malen und zeigen will. Das ist konsequent. Und es ist von einer zwingenden Ästhetik, weil man dann, wenn man begriffen hat, wie es geht, geradezu nach diesem stillen Verweilen sucht. Egal, ob es eine sinnlich schöne Teeschale ist oder ein scheinbar schwebendes Radiergummi. Oder gar die Kopie einer Kopie, wie in „Kopi Kopi“, wo zwei identische Vasen mit floralem Muster scheinbar von der Kopierfreude des fernen Asiens erzählen, gepaart mit moderner Massenproduktion. Aber verliert die formvollendete Vase ihren Reiz, wenn sie immer wieder kopiert wird? Oder kann man Schönheit auch im Duplizierten finden, genauso wie im Original?
Was erst recht eine spannende Frage ist in Zeiten, da alles kopiert wird und dann trotzdem verkauft, als wäre es unersetzlich, einmalig oder – individuell. Was ja der schrillste Widerspruch einer von Pop und Ego besessenen Zeit ist: Die Verwandlung selbst der Menschen in gleichartige Produkte, die nicht mehr ihr eigenes Leben leben, sondern das ihrer Werbe- und Pop-Ikonen.
Aber Menschen kommen gar nicht mehr vor in diesen Bildern. Die gehören zu einer früheren Phase im Arbeitsleben dieser Malerin, die uns mit diesen pastellfarbenen Bildhintergründen in eine Seh-Welt mitnimmt, die sich deutlich distanziert vom Übervollen, Überquellenden, den ganzen künstlich aufgebauschten Verheißungen einer Konsumwelt, die so tut, als gäbe es von allem mehr als genug und man müsse nur eintauchen in die Fülle und glücklich sein.
Nicht mit mir, sagen die Bilder Katharina Schillings. Dafür hat sie den Marion Ermer Preis 2016 bekommen. Und mit diesem kleinen Katalog kann man sich ein Stück ihrer Bilderwelt mit nach Hause nehmen. Für die Momente, in denen man vom poppigen Viel-zu-viel mal wieder so richtig die Nase voll hat.
Katalog „Katharina Schilling. Marion Ermer Preis 2016“, Museum der bildenden Künste, Leipzig 2016, 8 Euro.
Der Schuber mit den vier Katalogen ist im Museumsshop Wasmuth im Museum der bildenden Künste für 29 Euro erhältlich. Die Kataloge zu den PreisträgerInnen können zudem einzeln für 8 Euro erworben werden.
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