Unsere Sprache ist Musik. Beat hat sie auch, wenn man sie zu benutzen weiß und nicht lyrelt und säuselt. So wie Dalibor Markovic, Dichter, Lautpoet und Beatboxer mit kroatischen Wurzeln, was auch der Verlag betont, weil damit alle Irritationen anfangen. Denn geboren ist er als echter Hesse in Frankfurt. Und erst wenn die Leute seinen Namen hören, stellen sie sich doof: „Und Sie schreiben auf Deutsch?“

Passiert also nicht nur Schafen auf der Straße und Deppen im Bierhaus. Passiert auch Leuten, die sonst eigentlich Sinn haben für Texte, Lesungen, Literatur. Aber sonst gern so tun, als wäre Deutschland eine Vorabendserie mit lauter gefönten Eigenheimbesitzern im noblen Vorort. Sie merken es schon: Dalibor Markovic ist echt. Ein Bursche, der sich die Welt nicht schöner malt, als sie ist. Der sie lieber nimmt, wie sie ist: als hartes Pflaster für alle, die sich ganz normal durchs Leben kämpfen müssen. Die sich ihren Platz erkämpfen müssen, weil ihnen keiner einen vererbt oder gleich hinstellt, hübsch gepolstert, weil der Bub den richtigen Stallgeruch hat. Hat er nicht. Da geht es ihm wie so Manchem auch im schönen Sachsen. Eigentlich den meisten, die wissen, wie das ist, wenn das Geld nicht reicht hintenraus und die Beamten einen behandeln wie einen Straßenköter.

Und die Funktionsverwalter einem das Wort „Quereinsteiger“ so herablassend ins Gesicht sagen, dass man gleich weiß: Da hätte dir dein Vater wohl doch lieber das Jurastudium finanzieren sollen. Und einen anderen Namen spendieren. Und eine andere Herkunft. Und ein fetteres Konto.

Markovic ist schon seit 15 Jahren in der Spoken-Word-Szene unterwegs. Und er fällt auf, weil er seine Texte wie eine Beat-Box vorträgt, in einem ratternden Rhythmus, in dem die Worte nur so herausrattern, sich verwandeln. Er liebt das Spiel mit Nebenklängen und Anklängen und Entlarvungen. Denn dass ihm so blöde Fragen gestellt werden, hat ja mit der Wirklichkeit zu tun, in der wir leben, die die Frager aber meistens gar nicht wahrnehmen wollen. Zum Beispiel, dass auch dieses Fleckchen Erde ein Transitraum ist. In dem Menschen stranden, die anderswo aufgebrochen sind – entweder weil ihre Träume sie trieben, oder die Not. Oder die Angst. Da landet man dann in Frankfurt und beginnt, sich hochzuwursteln, sich ein Fleckchen zu erkämpfen. Und dann kommen die Schnösel. Die ihre Verachtung hinter Phrasen verstecken. Verachtung, die vor allem Ignoranz ist. Denn die Zerstörung der Welt da draußen geht ja weiter. Wer bezahlt denn die Panzer und Bombenflugzeuge? Und die Zerstörung der Regenwälder?

Schön durchexerziert in „Kinderlied“: “Wir / shoppen shoppen weiter / mit dem Geld begeistert / gehn wir in den Laden / kaufen uns die Waren / sind dann innen dumpf / macht es wieder BUMM …“

BUMM, so wie die Bombardierung einer Stadt.

Er montiert seine Texte aus den Bruchstücken unserer Gegenwart. Und erwischt womöglich einige Zuhörer auf dem falschen Fuß, wenn er ihnen im Stakkato die Kehrseite ihrer schönen Welt zeigt. Die schäbige Rückseite ihres Shopping-Traums, in dem sie glauben, sich einfach alles kaufen zu können mit einer Gleichgültigkeit gegen die Welt da draußen, die zumindest Dalibor Markovic noch aufregt. Das lässt ihn nicht ruhen.

Den Leser wahrscheinlich auch nicht, denn die Texte lesen sich genauso, wie er sie vorträgt. Das Hörbeispiel liegt dem Buch ja gleich bei: 14 Texte im Beat-Rhythmus. An den muss man sich erst gewöhnen. Das ist kein sinnlich vorgetragener Gedichte-Teppich. Das ist Herausforderung. Immer wieder auch an all die Leute, die für ihre Karriere ihre Träume verkaufen. Und sich dann für Elite halten, auserwählte Banausen, die auf begabte Zirkustiere genauso mitleidig herabschauen wie auf begabte Hungerleider.

Da klingt es schon seltsam, wenn Markovic ihre Phrasen in den Text schiebt und die ganze Gnadenlosigkeit der vom Geld Besessenen sichtbar macht – samt ihrer Dämonenseherei. Denn etwas anderes ist es ja nicht. Wer sich nicht ans System anpasst, der hat ein Problem. Der fällt aus den Rastern oder gleich ganz aus dem Bild. Europa betrachtet die Welt – aus Selfie-Perspektive: „mach’n Foto lieber von mir selbst / wenn alles eh den Bach runtergeht“. Das Ignorieren der Wirklichkeit geht einher mit der Selbstretusche. Ist man nicht gut? Abendland in emsiger Selbstbetrachtung im Spiegel. „Abendlandsverräter.“

Liebe gibt’s auch. Passiert auch diesem selbstbewussten Burschen, der sich dann doch, wenn’s drauf ankommt, verkleidet und den Eichendorff-Kenner spielt, weil er die scheinbar so kluge Frau beeindrucken will. Das geht schief. Was zu erwarten war. Aber es sitzt – wie man sieht – tief: das Rollenspielen, das So-tun-als-ob, das Weranders-sein-Wollen, das dazu führt, dass am Ende keiner mehr ist, was er darstellt, und alle sich gegenseitig belügen. Auch über ihr Herkommen und ihre Angst. Flüchten muss er ja nicht, aber er kann es seinen Freunden nachempfinden, wenn er von ihren Fluchten erzählt, von ihrer Angst, von Schüssen verfolgt.

Da vermengt sich die Tragik der Flucht auch schon mal mit Goethes Erlkönig. Auch das ein Text, der sichtbar macht, dass es eigentlich keine Grenzen gibt. Dass alles, was da unten und da draußen und jenseits der Grenzen passiert, auch uns angeht. Nicht nur, weil „Afrika am Bahnhof“ ankommt. Und uns konfrontiert mit dem, was wir nicht wissen wollten. Seine Freunde sind in der Welt zu Hause. So entstehen auch mal Dialoge von Berlin nach Johannesburg, Flucht-Gedichte auf Englisch, Missverständnis-Gedichte, die sichtbar machen, wie unser Verstehen aus lauter Miss-Verständnissen besteht. So wie in „Your Sister is going to Europe“, das sich schon in der Überschrift in „Du sagst ihr du verlässt Europa“ verwandelt. Das Nichtverstehenwollen hat System.

Und Konsequenz. Denn das bedeutet ja auch, dass wir uns selbst nicht verstehen wollen. Nicht wissen wollen, was uns selbst geschieht. Dieser Dichter ist eine Herausforderung und will auch eine sein. Denn „das hier ist kein Test / sondern Leben echtes / mit Verwesung und allem am Ende“. Das kann man ernst nehmen, muss man auch, wenn man nicht zu den Hochwohlgeborenen gehört. Dann merkt man schnell, dass das alles keine Übung ist und man die paar Chancen, die man bekommt, nutzen muss, mit der Angst im Nacken. Denn da unten gibt es keine Polster. Bestenfalls ein „Polster an Trotz“, das nicht dick genug ist gegen die hart prasselnden Haken. Das Leben ein Ringkampf. Was hilft? „Beats gegen die Angst“. Nicht kleinkriegen lassen. Und nicht einlullen lassen. Hier gibt’s Material dazu, trotzig bis zur letzten Szene, die eine Begegnung – natürlich – mit einem Grenzbeamten ist, der am Ende sogar ein verkniffenes Lachen übrig hat für den Dichter mit diesem Nicht-Allerweltsnamen, der gerade aus Mexiko-City kommt von einem Poesiefestival und – na so eine Überraschung – wieder nach Hause will.

Dalibor Markovic Und Sie schreiben auf Deutsch, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 15 Euro.

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar