Eigentlich braucht man den ganzen Klimbim nicht: Zauberstäbe, Dämonen, Drachen, Elfen und derlei Hilfsmittel für aufgemotzte Abenteuer. Denn die wirklichen Abenteuer passieren auch ohne all das. Jeden Tag. Man muss sie nur sehen wollen. Und erzählen können. Aber wie kann man das, wenn man keine Action hineinblasen will in die Geschichte? Ganz einfach, wie man hier lesen kann.
Petra Fietzek erzählt einfach die Geschichte von Meret. Wirklich ganz einfach. Denn das Leben ist so. Die Gefühle liegen alle dahinter, hinter dem Einfachen. Manchmal sind sie da, manchmal tief verbuddelt. Wer wüsste das nicht, wenn er zum Beispiel schon ein bisschen älter ist – wie Frau Hafelbein, die Meret manchmal Mamili nennt, weil sie sich alle Mühe gibt und sich Meret auch gar nicht vorstellen kann, dass sie mal ohne Mamili auskommen muss. Frau Hafelbein ist eigentlich eine Tante ihrer Mutter. Denn Merets Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. So wird man auch im höheren Alter noch mal Mamili. Und lernt ein großes Glück kennen, auch wenn Frau Hafelbein in dieser Geschichte gar nicht so richtig zu Wort kommt.
Sie stupst die kluge Meret nur ein bisschen an, so, wie das gute Mütter tun. Du brauchst eine Freundin, Meret. Eine, mit der du die Welt entdecken kannst.
Und Meret packt das ganz systematisch an. Groß ist die Auswahl ja nicht in ihrer Klasse. Hat unsereiner das damals auch so gemacht? Eigentlich nicht. Und eigentlich doch. Denn immer nur dem schönsten oder reichsten und stärksten und von allen bewunderten Mädchen (oder Jungen) nachzulaufen, das machen zwar eine Menge Kinder in gänsehautschrecklichen Jugendbüchern von Autorinnen, die augenscheinlich nicht mal Pickel kriegen, wenn sie derart elitären Schwachsinn schreiben. Aber natürlich steckt das an. Unsere Gesellschaft ist mit diesem oberflächlichen Quatsch ja angefüllt bis zum Wannenüberlauf.
Und Meret?
Meret will natürlich eine richtige Freundin, eine, mit der sie neugierig sein kann, über richtige Dinge reden, Gefühle, Probleme, Fragen. Auch mal auf der Wiese liegen und den Mäusen zuhören. Naturnah wohnt sie ja sowieso mit Frau Hafelbein im Haus am Wasserfall. Na ja, und dann geht sie los und fragt und merkt schnell, dass einige Mädchen gar nicht an richtiger Freundschaft interessiert sind, manchmal nur an sich selbst. Und ihrer Außergewöhnlichkeit. Das könnte also ein Drama geben: Meret sucht und findet nicht.
Das kann für Kinder schrecklich sein. Für Erwachsene übrigens auch. Frau Hafelbein ist sichtlich eine kluge Frau.
Tatsächlich hat sie mit ihrem Anstupsen etwas ausgelöst. Was Meret sogar liegt. Denn neugierig ist Meret ja sowieso, auch wenn sich ihre Neugier bisher auf Mäuse, Igel und Eulen beschränkte. Kann man auf Menschen neugierig sein? Gleichaltrige gar? Diese komplizierten Banknachbarinnen?
Meret ist es einfach. Auf eine ernsthafte, nüchterne Art. Und wird damit selbst zum Auslöser. Das ist meistens so, wenn Menschen losgehen und anfangen, sich für andere Menschen zu interessieren. Kann es sein, dass sich das die meisten Menschen ihr Leben lang nicht trauen und deswegen immer grämlicher, verbiesterter und wütender werden? Einsamer sowieso, ganz allein in ihren Kopfwelten – und dann losgehen und wütend sind?
Mal so als Frage.
Das muss ja irgendwo angefangen haben. Oder eben auch nicht. Die Aufnahme in irgendeine Clique, in der man dann den Wasserträger spielt, hat ja mit Freundschaft nichts zu tun. Da lernt man nur, wie man den Wasserträger spielt – und andere fertig macht.
Vielleicht eine steile These. Aber vielleicht stimmt sie ja: Die meisten Menschen lernen im Leben niemals Freunde kennen.
Oder Freundinnen. Unter anderem auch, weil man bei so einer Suche immer damit rechnen muss, dass man eine Absage bekommt. Was einen ja tief in Zweifel stürzt. Es ist bei der Freundschaft wie mit der Liebe. Immer geht es an tiefe Gefühle. Und ans Selbstbewusstsein. Merets Glück: Sie hat liebevolle Eltern gehabt und eine immer zuversichtliche Mamili. Die ihr augenscheinlich beigebracht hat, nie zu verzagen, sondern die Dinge bei den Hörnern zu packen. Und so wird die Suche nach einer Freundin zu einer kleinen Expedition. Gar nicht aufregend. Das braucht die Autorin gar nicht. Sie weiß, ja, dass die Geschichten gleich um die Ecke warten. Annabells Geschichte zum Beispiel. Obwohl Meret mit Annabell eigentlich eher nichts anfangen kann. Zum Beispiel, weil Annabell so oft weint. Das ist anstrengend, wenn man nicht weiß, woran das liegt.
Da muss man also erst mal angestoßen werden und mit Rucksack durch den Wald wandern, um Annabell, weil sie krank ist, zu besuchen und die Hausaufgaben zu bringen. Denn Freunde findet man, weil man ihre Welt kennenlernt. Manchmal mit Anstupsen, manchmal aus Neugier. Manchmal entdeckt man dann, dass man ganz ähnliche Erfahrungen teilt. Was meist auch bedeutet, dass man viele Dinge ganz genauso sieht. Und auch ganz viele Dinge gemeinsam für wichtig hält. Zum Beispiel so eins: den anderen nicht verletzen zu wollen, weil man weiß, wie schmerzhaft Kränkungen sein können.
Oder: über Gefühle nicht zu spotten, sondern sie ernst zu nehmen. Auch wenn sie einem manchmal zu groß sind. Annabell malt dann lieber. Wer seine Kinder liebt, packt ihnen das Kinderzimmer mit Farben, Buntstiften und Papier voll. Wer malt, beschäftigt sich mit den Dingen. Der lernt hinzuschauen und die Details wahrzunehmen. Das lernt man auch in der Schule meistens nicht.
Es ist also auch ein Buch über das Aufmerksamsein. Und Petra Fietzek erzählt das ohne den großen Aplomb, den unsere Großerzähler meist in die Sätze legen, wenn sie glauben, intensiv sein zu müssen. Intensiv werden Sätze, wenn sie ganz einfach sind. Erich Kästner und Astrid Lindgren wussten das – und haben so erzählt. Ohne Schnörkel und Hintergrundgeräusche. Die Bilder entstehen von allein im Kopf. Man muss nur zuhören. So, wie man auch nur hinschauen muss, um die Geschichten der anderen zumindest zu spüren. Denn jeder trägt sie ja mit sich herum. Aber nicht jeder spricht drüber. Wenn man fragt, darf man aber meistens teilhaben daran. Dann ist man auch zu Gast in der Welt der anderen.
Da braucht auch Petra Fietzek keine Effekte, Sounds oder Zauberutensilien. Es ist eine ganz einfache Geschichte, die sie erzählt. Aber man spürt die ganze Zeit, dass es die eigentliche Geschichte ist, um die es immer geht im Leben. Eine Geschichte vom Losgehen und Suchen und Finden. Aufregung gibt es dabei genug, Drama sowieso. Aber es ist das ganz menschliche Drama, das so Viele gar nicht mehr in ihr Leben lassen wollen.
Dabei sollte man gerade damit früh genug anfangen. Später, wenn man nur noch in der eigenen Haut steckt und voller Misstrauen ist gegen die anderen da draußen, da ist es zu spät. Da hat man dann auch vergessen, dass alle Gefühle im Bauch sitzen, nicht nur die grimmigen. Auch das Lachen und die Freude und – nicht zu vergessen, denn die brauchen wir auch – die Trauer. „Sie fühlt, dass in ihrem Bauch Lachen wohnt, aber auch Weinen. Und dass beides wichtig ist.“
Sonst lebt man nämlich nicht. Schon gar nicht sein eigenes Leben.
Und natürlich hat die in Paris geborene Grafikerin Marine Ludin das ganze genauso liebevoll und ohne Aplomb illustriert, wie es sein muss. Und es ist kein Buch nur für Mädchen, muss man ja auch noch betonen. Jungen geht es genauso im Leben. Nur ein klein bisschen anders.
Petra Fietzek, Marine Ludin Das Lachen wohnt im Bauch, Klett Kinderbuch, Leipzig 2016, 9,95 Euro.
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