Hat Noam Chomsky wenigstens die Hoffnung, dass eine der beiden großen Parteien in den USA die Lage retten und das Steuer herumreißen kann? Nein. Auch die Demokraten sind längst verfangen in der engen Verquickung mit den mächtigen Kapitalgebern, die ihre Wahlkämpfe finanzieren. Auch wenn sie scheinbar nicht ganz so unberechenbar wie die Republikaner sind, die sich die Feinde schon mal erfinden, wenn sie welche brauchen.

Popanze, die dann über Jahre im Fadenkreuz eines medialen Beschusses stehen, dass selbst die Europäer glauben, was ihnen die Amerikaner erzählen – über den kleinen Möchtegern-Diktator in Nordkorea, die finstere Bedrohung aus dem kaputt gebombten Nordvietnam, die Terrorgefahr durch die Taliban, die erst durch die USA zu einer Streitmacht gegen die Sowjets aufgerüstet worden waren. Auch Oliver Stone hatte das schon verbittert festgestellt, dass fast alle Finsterlinge, die auf einmal zur großen Terrorgefahr für die Welt wurden, einst Marionetten der USA waren – wie Sadam Hussein im Irak, den die USA aufgerüstet hatten, damit er Krieg gegen den von ihnen gehassten Iran führt.

Chomsky streut immer wieder Passagen ein, in denen er fragt, ob sich die mit Krieg überzogenen Staaten eigentlich jemals so gegenüber den USA verhalten haben. Hat Vietnam die USA angegriffen? Kuba? Der Iran?

Besitzt irgendein anderer Staat der Welt hoch aufgerüstete Militärbasen rund um den Globus, veranstaltet Flottenmanöver dicht vor den Küsten von Staaten, die in den eigenen Medien immer wieder als Gefahr für den Weltfrieden hochgejazzt werden? China zum Beispiel, vor dessen Küsten es immer wieder zu gefährlichen Zwischenfällen mit us-amerikanischen Schiffen und Jagdfliegern kommt?

Die seltsame Rolle Israels

Immer wieder kommt Chomsky auch auf die seltsame Rolle Israels zu sprechen, das – mit der Rückendeckung der USA – nicht nur seit 40 Jahren eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern und eine friedliche Beendigung des Konflikts torpediert, sondern sich im besetzten Westjordanland immer neues Palästinenserland aneignet und neue illegale Siedlungen darauf errichtet. Man spürt regelrecht, wie Chomsky dieser Wahnsinn auf die Palme bringt, weil er allen UN-Resolutionen, allen Versprechen und allen demokratischen Prinzipien widerspricht. Das Ergebnis ist ein seit Jahrzehnten schwelender Konfliktherd, der ein wichtiger Grund dafür ist, dass die USA im arabischen Teil der Welt heute keinen Respekt mehr genießen.

Im Gegenteil: Gerade die amerikanische Holzhammer-Politik, dort unten „Demokratie“ mit Gewalt einzuführen und unliebsame Regimes zu vernichten, hat dazu geführt, dass die komplette Region zur Brutstätte für einen neuen Terrorismus geworden ist, der all das, was die Welt bis zum 9. September 2001 erlebt hat, um ein Vielfaches übertrifft. Gerade weil Terrororganisationen wie Al Quaida und IS so brutal und rücksichtslos sind, erleben sie Zulauf. Auch aus den Banlieues der europäischen Städte. Denn ganz so unschuldig sind die Europäer ja nicht daran, dass die Welt immer mehr auseinanderklafft. Die Briten waren der wichtigste Bundesgenosse, als die USA 2003 über den Irak herfielen – bekanntlich ein Einmarsch mit frei erfundenen Gefahren.

Und nicht anders haben sich die ehemaligen Kolonialmächte England und Frankreich in Nordafrika verhalten. Wenn sie beweisen wollten, dass militärische Lösungen keine Lösungen sind, dann haben sie es geschafft. Und dabei gleich noch neue Brutstätten für Bürgerkrieg und Bandenterror geschaffen.

Da haben wir etwas gesagt. Aber Chomsky nimmt da kein Blatt vor den Mund: Er hält das Meiste, was die USA mit ihren militärischen und geheimdienstlichen Einmischungen in den letzten 60 Jahren weltweit angerichtet haben, für blanken Terror.

Ein Terror, der immer nur ein Ziel hatte: Die wirtschaftliche Hegemonie der USA in aller Welt zu sichern.

Leider auch im Rahmen der Nato, die seit dem Zeitensturz 1989/1990 immer weiter auf die russische Westgrenze vorrückt. Zu Recht erinnert Chomsky daran, dass die kriegerischen Konflikte um die Krim und die Ostukraine mit der Nato-Erklärung von 2008 zusammenhängen, alsbald auch die Ukraine (und Georgien) in das westliche Militärbündnis aufzunehmen. Da hätte man Wladimir Putin auch gleich den Revolver auf die Brust setzen können: Ergib dich, du …

Und statt die Eskalation zu beenden, hat die Nato ihre Manöver und Paraden dicht an der russischen Grenze verstärkt.

Was Chomsky natürlich auf ein Thema bringt, das wir meistens verdrängen, das aber mit der Verschärfung der amerikanischen Konfrontationspolitik genauso brennend auf dem Tisch liegt wie zur Kuba-Krise 1962 oder zum Nato-Doppelbeschluss 1979: die massive Gefahr eines Atomkrieges. Und auch ein scheinbar allseits beliebter Präsident Obama hat nichts, wirklich nichts dafür getan, um diese Gefahr auch nur zu mindern. Im Gegenteil: Er hat ein militärisches Erneuerungsprogramm für 1 Billion Dollar auflegen lassen, das auch die Erneuerung des Atomwaffenarsenals umfasst.

Es gäbe eine Menge zu verhandeln

Zum Beispiel mit Putin. Aber wenn westliche Staatsmänner mit dem russischen Präsidenten reden, scheinen sie nur noch zu fordern, die einstmals zweitgrößte Supermacht regelrecht erpressen zu wollen. Man merkt, wie die amerikanische Haltung auch nach Europa schwappt und die hiesigen gewählten Politiker handeln lässt, als wären sie nur der verlängerte Arm der USA.

Obwohl überall sichtbar ist, dass die USA auch emsig bemüht sind, die EU als wirtschaftlichen Konkurrenten auszuschalten. Dafür sind ja die ganzen Investorenschutzprogramme da. Wenn uns heute ein beleidigter kanadischer Ministerpräsident serviert wird, der den Europäern vorwirft, sie wären in solchen Dingen nicht mehr handlungsfähig, dann geht es genau darum: das (in diesem Fall emotionale) Durchsetzen von Machtinteressen. Kanada schippert schon lange – seit Abschluss des NAFTA-Abkommens 1994 – im Fahrwasser der USA.

Deutlich wird natürlich in Chomskys Analyse, dass er aus den USA keine Besserung erwartet. Im Gegenteil: Die totale Abhängigkeit der beiden großen Parteien von einer winzigen Gruppe superreicher Kapitalgeber hat dazu geführt, dass amerikanische Politik regelrecht entkernt wurde und die republikanischen Kandidaten auch schon vor Donald Trump im trüben Wasser von Fundamentalismus, Rassenhass und Intoleranz gefischt haben. Was gerade im Kongress zu zuweilen beklemmenden Entscheidungen geführt hat, die am Verstand der amerikanischen Nation regelrecht zweifeln lassen.

Was erst einmal die Regierungspolitik nicht ändert, die seit dem viel geliebten Kennedy eine Grundlinie hat, die sich für Chomsky in der Clinton-Doktrin wiederfindet, dass die USA jederzeit zu „unilateraler Anwendung militärischer Macht“ berechtigt seien, um sicherzustellen, dass „der Zugang zu Schlüsselmärkten, Energieversorgung und strategischen Ressourcen uneingeschränkt“ erhalten bleibt. Manchmal muss man sich ja solche Sätze aus Kongressreden einfach merken, weil sie einen Zipfel der Wahrheit zeigen. Und es ist eine beklemmende Wahrheit zu wissen, dass die USA den einseitigen Einsatz militärischer Gewalt für ein selbstverständliches Mittel halten, ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen.

Staaten, die dem nicht folgen, müssen mit Invasionen, gesteuerten Putschen oder auch mal (siehe Libyen) mit überraschenden Bombardements ihrer Hauptstädte und Infrastrukturen rechnen. So eine Politik muss zwangsläufig die Welt destabilisieren. Die Folgen sind allerorten sichtbar, wo die USA genau so agiert haben. Und man ahnt auch, auf welchem Pulverfass die Welt sitzt, wenn man sieht, dass die USA nicht nur Israel mit Atomwaffen ausgerüstet haben, sondern auch Indien und Pakistan.

„Krieg gegen den Terror“

Und immer wieder werden neue Popanze aufgebaut. Den „Krieg gegen den Terror“ hatte einst Ronald Reagan erfunden. George W. Bush hat ihn wieder aus der Versenkung geholt. Und das aus europäischer Sicht Beklemmende: Barack Obama hat ihn nicht beendet. Er hat ihn mit dem Drohnen-Krieg sogar auf eine neue Stufe gehoben und den Hass in all den Ländern, in denen diese Drohnen (ohne Gerichtsurteil) auf Menschenjagd gehen und dabei auch tausende Zivilisten töten, anwachsen lassen. Als Sicherheitsgarant sieht die USA in der arabischen Welt kaum noch jemand.

Und wichtig ist: Chomsky sieht das eben nicht als reinen politischen Vorgang. Denn hinter diesem militärischen Aktionismus steckt immer das, was Chomsky einen „neoliberalen Angriff auf die Weltbevölkerung“ nennt. Egal, ob mit militärischem Einmarsch, Putsch oder Investorenschutzvertrag. Es geht immer um die Herstellung ausschließlicher „Investoren“-Schutzreche. Das Wort Investoren schreibt Chomsky (noch) nicht in Gänsefüßchen. Aber wir tun es, weil die Konzerne, die hier ihre Rechte durchsetzen, in der Regel nur in eigene Geschäftsfelder investieren, ansonsten Gewinne gern exportieren und die Steuern „minimieren“. Jüngst erst mit diesem rein gewinnorientierten Möchtegern-Social-Media-Konzern Facebook durchexerziert.

Denn die Grundidee des neoliberalen Wirtschaftens ist nun einmal eine möglichst umfassende Eliminierung von Staatseingriffen und Sozialstaat. Etwas, was sich nicht nur in Armut gestürzte Staaten Südamerikas nicht mehr gefallen lassen möchten. Längst steht auch der „Schlüsselmarkt“ Europa zur Disposition. Und Noam Chomsky erwartet im Angesicht der auch hier eiskalt operierenden Neoliberalen nichts Gutes für den alten Kontinent. Wenn Europa von dieser Politik nicht abkehrt und selbst eine andere Rolle im Welt-Wirtschaftsgefüge einnimmt, wird sich das nicht ändern. Aber wie man an den neoliberalen Schlachtrössern in der EU-Kommission sehen kann: Es interessiert sie nicht. Sie ignorieren einfach jede Kritik an der neoliberalen Wende, die sie ab 1990 eingeleitet haben.

Noam Chomsky Wer beherrscht die Welt?, Ullstein, Berlin 2016, 24 Euro.

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