Noch ist ein Jahr Zeit bis zum groรen Jubilรคum. Aber natรผrlich haben etliche Verlage die Gelegenheit genutzt, sich mit dem Thema Luther und der Reformation einmal deutlich umfassender zu beschรคftigen. Die Evangelische Verlagsanstalt natรผrlich vorweg. Sie hat sogar extra das Imprint โEdition Chrismonโ auf den Weg gebracht. Und da gibt es jetzt dieses flotte Taschenbuch fรผr alle, die ganz schnell wissen wollen, was eigentlich an Luthers Schriften wichtig ist.
Und was drin steht natรผrlich. Und was das nach 500 Jahren eigentlich noch fรผr eine Rolle spielt. Dass die Auswahl nicht zufรคllig, aber doch ein Stรผck weit subjektiv ist, betont Fabian Vogt extra, bevor es losgeht. Er ist studierter Theologe und Germanist, arbeitet als Radiopfarrer, spielt Kabarett und schreibt auch noch Science Fiction. Was schon einmal die Gewรคhr gibt: Es wird nicht langweilig. Und auch nicht trocken, denn auch das hat er bei Luther ernst genommen: Wer verstanden werden will, schreibt bildhaft und lebendig. Oder โkurz & knackigโ, wie es auf dem Titel heiรt โ was aber nicht ganz zutrifft. Zumindest, wenn man es so versteht, wie heutiger Journalismus โkurz & knackigโ versteht. Da gibt es dann die Meldung, die Meinung und das warโs dann. Die Einordnung aber fehlt fast immer.
Das geht natรผrlich nicht. Wer hรคtte das besser gewusst als Dr. Martin Luther, dessen Gesamtwerkausgabe heute ganze Regalmeter fรผllt? Denn spรคtestens, nachdem die Mรคchtigen und Hochgelehrten 1517 auf seine Thesen so verstockt und unbelehrbar reagierten, war ihm klar: Er muss alles erklรคren. Wirklich alles. Sonst wird er nicht verstanden. Das hat er sehr ausfรผhrlich getan, sehr emotional, manchmal auch verletzend.
Aber bei den meisten Themen ist es ihm gerade deshalb gelungen, die alten Verkrustungen aufzubrechen, all das Erstarrte, Tradierte, รberlebte, das in der damaligen Kirche zum reinen Ritus geworden war, zur inhaltsleeren Zeremonie oder eben โ wie beim Ablass โ zur vรถllig sinnfreien Buร-Geste, die mit der eigentlich gemeinten Buรe nichts mehr zu tun hatte. Mit Gnade schon gar nicht.
Dass er dabei einige wichtige Maรstรคbe fรผr die Entwicklung des modernen Menschenbildes setzte, wird oft vergessen, wurde auch von orthodoxen Lutheranern lange vergessen, weil auch sie die Regeln und Riten fรผr wichtiger nahmen als das, worum es Luther eigentlich ging: die Freiheit des Christenmenschen. Kein einfaches Thema, auch nicht im Jahr 2016, wie man sieht. Die alten Gewohnheiten sind tief verwurzelt, nur die Formen der Unfreiheiten und der gedankenlosen Suche nach Ablass haben sich geรคndert.
Die Schrift โVon der Freiheit des Christenmenschenโ hat Luther 1520 verรถffentlicht. Fabian Vogt erzรคhlt natรผrlich auch, warum. Und warum gerade zu dem Zeitpunkt, als die Leipziger Disputation, die Luther enorme Bekanntheit verschaffte, schon hinter ihm lag, der Reichstag zu Worms mit seinem โHier stehe ichโ aber noch vor ihm. Aber es war auch der Zeitpunkt, an dem klar war, dass der eigentlich von ihm beabsichtigte Gelehrtenstreit, den er 1517 mit seinen 95 Thesen auslรถste, so nicht funktionieren wรผrde. Das hatte ihm sein Disputationsgegner Johannes Eck in Leipzig mehr als deutlich gemacht: Inhaltlich wollte weder die regierende Theologie noch die Macht in Rom oder Wien oder Dresden mit Luther disputieren. Man wollte ihn in der Ketzer-Ecke bei Jan Hus stehen sehen und zum Abschwรถren bringen.
Das erinnert schon sehr an den modernen Umgang mit Dissidenten. Und โ auch kein Zufall โ an den Untergang des sozialistischen Reiches, das sich stets wie eine unfehlbare Kirche benahm und niemanden verbissener jagte als Kritiker, Abweichler, Ketzer und Hรคretiker.
Was Fabian Vogt nicht sagt. Das ist nicht so seine Welt. Aber so, wie er die fรผr ihn wichtigsten Schriften ausgewรคhlt hat, merkt man, dass es ihm doch genau darum geht und dass er mit diesem Luther etwas sehr Modernes beschreibt: den Mut des sich seiner selbst bewussten und Gott vertrauenden Menschen, seinen Kopf zum Selberdenken zu benutzen und sein Verhรคltnis zu Kaiser, Fรผrst und Aufruhr selbst zu klรคren. Und dabei einen klaren Bezugsrahmen zu finden, der fรผr Luther eindeutig die Bibel und vor allem das Neue Testament war. Was nicht neu war: Genau darauf hatten sich auch all die Mutigen bezogen, die schon vor Luther die Gebrรคuche der rรถmischen Kirche kritisierten โ mit den bekannten Folgen.
Das hรคtte auch fรผr Luther so kommen kรถnnen, auch 1520 noch. Denn einen beschรผtzenden Landesvater hatte er zwar. Aber wenn seine berechtigte Kritik an der eingemotteten alten Kirche รผberhaupt Frรผchte tragen sollte, dann brauchte es mehr. Noch mehr Unterstรผtzer. Nicht nur arme Wรผrstchen, die dann den Leidensgang in Folter und Verbrennung gehen mussten, sondern mรคchtige Verbรผndete. Deswegen schrieb er auch gleich 1520 noch seine Schrift โAn den christlichen Adel deutscher Nationโ. Denn wenn die Bibel keinen Papst und keine Kirchenhierarchien kennt, dann liegt die Entscheidung รผber den richtigen Glauben bei den Glรคubigen selbst โ dann sind auch Fรผrsten Priester und kรถnnen selbst bestimmen, was in ihren Landen gilt. Eine Botschaft, die einige deutsche Fรผrsten nur zu gern hรถrten. Die Zeit war reif โ auch fรผr ein anderes Verhรคltnis zur Obrigkeit. Luthers 1523 erschienene Schrift โVon der weltlichen Obrigkeitโ wurde ihm zwar oft genug als Duckmรคusertum vorgeworfen. Aber wer genauer liest ,und dazu lรคdt Vogt ja ein, der merkt, dass Luther hier auch an Fรผrsten appelliert, Maร zu halten und zu begreifen, dass Gewalt nicht das Mittel guter Herrschaft ist, sondern es die Fรคhigkeit braucht, den Frieden zu wahren und seinen Untertanen zu dienen. So fรผrstlich das klingt โ es gilt bis heute: Wer sich die falschen Ratgeber sucht und Misstrauen sรคt, der wird nie ein guter Regierender. Auch nicht im lutherschen Sinn.
Aber auch diese Schrift wurde โ wie eigentlich alles, was Luther schrieb โ zu einem Bestseller. Erstmals setzte sich รผberhaupt ein kluger Kopf mit all diesen Fragen auseinander, die letztlich zur Grundierung moderner Gesellschaftsentwicklung wurden, selbst wenn Luther manche Hรผrde noch nicht รผbersteigen und alte Traditionen selbst nicht verlassen konnte. Natรผrlich nicht. Er war der Mann im รbergang, der ehemalige Mรถnch, der aus eigener leidvoller Erfahrung wusste, wie wenig Heil die alten Kirchenriten boten und wie wichtig ein anderes, aufrechteres Verhรคltnis des zweifelnden Menschen zu seinem Dasein war. Erst wenn man so dastand, konnte man sich auch รผber den Berg vรถllig neuer Fragen Gedanken machen, die es so vor 1517 gar nicht gegeben hatte.
Auch Vogt deutet es an einigen Stellen an: Luther hat ja gar nicht vorgehabt, die Kirche umzustรผrzen, er wollte die alte Kirche nur von Fehlentwicklungen befreien โ reformieren eben. Aber siehe oben: Selbst der gutwilligste Vertreter der Sache scheitert, wenn die Hierarchie sich mit Feuer und Schwert wehrt gegen jede Verรคnderung. Und gar Bibeln verbrennen lรคsst, wie es einige der Altmรคchtigen taten. Denn zur Herrschaftsgrundlage der alten Kirche gehรถrte nun einmal auch, dass nur die Priester das Wort Gottes verkรผndeten โ die Bibel selbst blieb den Glรคubigen in der Regel ein Buch mit sieben Siegeln. Bis Luther kam und das Werk in eine Sprache รผbersetzte, die bis heute zรผndet.
Deswegen ist auch Luthers โSendbrief vom Dolmetschenโ von 1530 mit drin in Fabian Vogts kurzweiliger Reise durch Luthers Werke, genauso wie einige wichtige Schriften zur Messe, zum ehelichen Leben (von dem Luther, als er das Werk 1522 verfasste, ja bekanntlich noch gar keine eigene Erfahrung hatte), zur Schulgrรผndung in den Stรคdten und โ na logo โ โVon den guten Werkenโ. Auch das Buch hat er 1520 geschrieben, dem entscheidenden Jahr, in dem er sich selbst auch schriftlich Klarheit darรผber verschaffte, wohin denn die Reise รผberhaupt ging. Und auch darรผber, dass er nicht nur Gelehrte รผberzeugen musste, sondern auch all die Menschen, die noch immer auf Marienwallfahrten pilgerten und Heilige Reliquien anbeten, weil sie eine Hรถllenangst hatten und zutiefst verzweifelt waren, weil ihnen die alte Kirche immerfort einredete, dass ihnen das Himmelreich รผberhaupt nicht sicher sei.
Da musste auch Luther noch einmal richtig erklรคren, dass Papst und Bischรถfe รผberhaupt nichts zur Gnade und Erlรถsung der Menschen tun konnten, sondern jeder Mensch im Stand der Gnade geboren wurde. Man konnte sich nicht freikaufen, egal wie viel Geld man der Kirche spendete, auch wenn das selbst den grรถรten Gaunern und Verbrechern so versprochen wurde. Auch das gilt bis heute โ auch auรerhalb aller Kirchen und Religionen. Dass Luther damit auch an eine Wurzel der neuen Gesellschaft, die sich da anbahnte, rรผhrte, wusste er ganz bestimmt. Denn die Kirche, die er anprangerte, benahm sich ja wie ein Schuldeneintreiber und Schuldner-Macher. Da steckte schon die ganze vertrackte Arroganz der modernen Kreditgeber und Inkassounternehmen drin. Wer seine Bรผrger zu Schuldnern macht, der macht sie zu Sklaven. Haben wir da etwas gegen das moderne Staatsverstรคndnis im Lande Deutschland gesagt? Natรผrlich.
Gerade weil Luthers Antworten und Fragen so aktuell sind, lohnt sich die Beschรคftigung mit dem Mann, auch wenn er logischerweise nicht auf alles eine Antwort geben konnte. Was aber augenscheinlich so mancher Luther-Kritiker verlangt. Als kรถnnte man die heutige Denkverweigerung ausgerechnet dem einen Burschen aufhalsen, der sich nach Krรคften bemรผht hat, den alten Firlefanz auseinanderzuklamรผsern.
Man sieht: Selbst dieser โeiligeโ รberflug รผber zwรถlf der wichtigsten Lutherschriften zeigt schon, wie relevant der Professor aus Wittenberg noch heute fรผr gesellschaftliche Diskussionen ist, die unsere Zeit dringend braucht, die aber nicht stattfinden, weil sie neben dem ganze Gequake, Getalke und Gepoltere einer denk- und lesefaulen Politik keinen Platz mehr finden.
Es geht noch immer um den aufrechten Menschen, der erst mal sein eigenes Verhรคltnis zu sich (und Gott) klรคrt, sich um klare Sprache, menschliche (christliche) Werte und ein Leben bemรผht, so, dass man erst einmal die paar Gebote beherrscht, die die Bibel mitgibt. Daran halten sich nรคmlich die Meisten nicht. Schon gar nicht die, die sich um Macht und Reichtum balgen. Daran hat sich nichts geรคndert. Und man hat selbst bei diesem komprimierten Extrakt aus Luthers Schriften das wohl richtige Gefรผhl, dass dieser Dr. Martin Luther auch heute lauter Streitschriften schreiben wรผrde โ mit spitzer Zunge und deutlichen Worten: gegen Heuchler, Pharisรคer, Ablasshรคndler, Scheinheilige und Unfriedfertige, um nur ein paar Spezies aufzuzรคhlen, die das Leben in der Welt immerfort zur Plage machen.
Fabian Vogt Luther fรผr Eilige, Edition Chrismon, Leipzig 2016, 10 Euro.
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