Ein Bayer im Programm von Voland & Quist? Ein Berliner in Mรผnchen? Kann das gutgehen? Mit Benedikt Feiten hat der eigensinnige sรคchsische Verlag jedenfalls einen neuen Autoren im Programm, der auch neue Tรถne anschlรคgt. Das Leben der Kรผnstler ist in der bayerischen Metropole genauso prekรคr wie in der viel verleumdeten Hauptstadt Berlin. Und wenn der Hausbesitzer einen Rappel bekommt, gehtโ€™s genauso rabiat zur Sache.

Sein Held ist ein Musiker, einer jener Lebenstrรคumer, die sich eigentlich nicht abfinden kรถnnen mit ein paar bezahlten Auftritten auf Hochzeiten und in kleinen Kneipen oder den mรผhseligen Unterrichtsstunden fรผr angehende Musikusse. Irgendwann mal vor langer Zeit hat Mark ein Album produziert mit Liedern mit seiner Band. Ein Achtungserfolg, der ihm auch seine groรŸe Liebe einbrachte. Doch nun lebt er ein Leben voller Zweifel, Selbstvorwรผrfe, manchmal auch Verzweiflung. Denn den Traum von neuen Projekten hat er nie aufgegeben. Doch er findet den Zugang nicht. Das Leben dreht sich im Kreis. Und er spรผrt ja selbst, dass das nicht gutgehen wird. Dass eines Tages die Balkone gesperrt sind und der Vermieter seine Briefe schickt, sind ja nur erste Zeichen, dass das so mรผhsam verdiente Geld nicht mehr reichen wird.

Das Wรถrtchen Gentrifizierung fรคllt erst ganz zum Schluss. Aber Feiten schildert ziemlich anschaulich, was es fรผr Lebensabenteurer wie Mark und seine kleine Familie bedeutet, wenn die โ€žAufwertungโ€œ zuschlรคgt und aus bezahlbaren Wohnungen neue Luxuswohnungen werden sollen und eigentlich keine Instanz da ist, die diese Verdrรคngung verhindern kรถnnte.

Na gut, seine Ida hat er, die ihn immer wieder drรคngt, sich um eine Festanstellung zu bemรผhen, die auch die Wohnungsangebote durchforstet. Doch das will er gar nicht wissen. Denn dann mรผssten sie eigentlich die Stadt verlassen. Denn Gentrifizierung bedeutet immer, dass nur die dableiben kรถnnen, die sich das Rattenrennen der steigenden Mieten noch leisten kรถnnen. Zumindest eins bewirkt die drohende Verรคnderung: Mark lernt die verbliebenen Hausbewohner endlich besser kennen โ€“ mit Distanz. Natรผrlich. Er ist ein Grรผbler, so ein richtig deutscher Skeptiker und Distanzwahrer, der eigentlich so genau gar nicht wissen will, mit was fรผr Menschen er in einem Haus lebt. Die Geschichte hรคtte durchaus das Zeug zu einem dieser typischen deutschen Grรผbelromane, die auf den Nominiertenlisten fรผr die fetten Literaturpreise immer ganz oben stehen. Wahrscheinlich, weil sich die Mitglieder der Jurys in diesen Grรผbel-Schwergewichten immer wiedererkennen.

Aber irgendetwas geht in diesem Mark vor sich, erst recht, als er merkt, wie sein Wohnungsnachbar Jochen regelrecht aufdreht, weil er glaubt, den Hausbesitzer diskreditieren zu kรถnnen. Da wird Mark mehr geschoben als dass er selber schiebt. Fast unwillig. Ida wirft ihm sogar vor, dass er sich bei diesem Jochen mit einem Typ abgibt, der ihm doch eigentlich zuwider ist. Noch so ein Problem: Mark versucht zwar, Distanz und Anonymitรคt zu wahren. Aber gerade das macht ihn anfรคllig fรผr die seltsamen Eskapaden des angepassten Erfolgsmenschen Jochen.

Sein Ausbruchversuch aus dieser seltsamen Umschlingung aber ist dann das, was sich letztlich zur Hubsi-Dax-Geschichte entwickelt. Wer nicht klar und deutlich โ€žNein!โ€œ sagen kann, der muss sich was einfallen lassen, ausweichen und Alternativen suchen. Und das ist in Marks Fall die Erfindung eines Giesinger Originals namens Hubert Dax, ein Seelenverwandter Karl Valentins, eine legendรคre Gestalt aus dem Kneipen- und Bรผhnenmilieu, die anfangs nur ein Name ist aus einer alten Mieterliste, der aber die Phantasie anregt. Und nicht nur das: Fรผr Mark wird die Figur des Hubsi Dax zu einem anderen Ich, das ihn wieder dazu animiert, Lieder zu schreiben und das zu tun, was er fรผr sich selbst nicht mehr konnte.

Dass die Geschichte um den โ€žvergessenenโ€œ Musiker auf einmal zum Stadtteilgesprรคch wird, dabei helfen nicht nur Ida und Marks Musikerfreunde und die neuen Bekanntschaften im Haus. Die Geschichte gewinnt ein Eigenleben. Fast scheint es so, als kรถnnte die Existenz dieses Hubsi Dax auch das Haus vor dem Abriss bewahren. Aber nur fast. Denn die eigentliche Wandlung passiert nicht da drauรŸen, sondern im schon fast verzweifelt mutlos gewordenen Gitarrenlehrer Mark, der auch schon kurz vor dem Ende seiner Beziehung steht, weil auch Ida dieses ewige Warten auf ein Wunder nicht mehr aushรคlt. Nicht die diversen Fahrradstรผrze und blauen Augen, die es im Verlauf der Geschichte auch gibt, sind eigentlich die Wendepunkte, die irgendwann auch den Leser aufatmen lassen. Denn was Feiten hier als Marks Mutlosigkeit schildert, ist ja nichts anderes als die latente Verzweiflung einer ganzen Gesellschaft, die ihre Bรผrger in eine wilde Jagd nach Erfolg treibt. Aber Mark sieht es recht klar: Wenn sich der Erfolg nicht in Reichtum ummรผnzt, dann spรผrt man schnell, wie das als Misserfolg und Scheitern ausgelegt wird. Es zรคhlt nur das Geld.

Die Trรคume von einem anderen, ehrlicheren Leben, die stecken die meisten Menschen irgendwann weg, verbannen sie in kleine Nischen ihrer Existenz oder schaffen sie zum Trรถdelhรคndler. Mark sagt es sich zwar so nicht, aber sein Zรถgern und Zaudern hat auch damit zu tun, dass er seine Trรคume eigentlich nicht begraben mรถchte. Es sind seine eigenen Erwartungen, die ihn niederdrรผcken. Bis zu dem Tag, an dem er Hubsi Dax zum Leben erweckt und merkt, wie diese schrรคge Figur aus einem lรคngst vergangenen Mรผnchner Milieu auch seine Mitstreiter begeistert und in die Welt tritt, als hรคtte es diesen schrรคgen Kauz tatsรคchlich gegeben. Und als hรคtte sich ein ganzer Stadtteil nach dieser Erinnerung gesehnt.

Und bevor die Sache zu schรถn wird, bremst Feiten natรผrlich. Denn so einfach ist es auch im heutigen Mรผnchen nicht, die Welt zu retten. Nicht mal ein Haus.

Was Feitens Geschichte natรผrlich von den Texten der Berliner Autoren bei Voland & Quist unterscheidet, ist das Fehlen dieser ganz speziellen Berliner groรŸschnรคuzigen Gelassenheit, die das Hangeln von einem prekรคren Zustand zum nรคchsten nicht als ein selbstverschuldetes Dilemma begreift โ€“ auch wenn die Burschen oft geradezu genรผsslich ganze Tage und Jahre der Faulheit und der Niedergeschlagenheit schildern, was natรผrlich auch eine Strategie ist, die zunehmende Angst zu bรคndigen, dass der Preis der Nichtangepasstheit immer ein Zustand der knappen Kassen ist.

In Mรผnchen ist das so augenscheinlich nicht mehr denkbar. Den Zwang, sich zu fรผgen, hat Mark verinnerlicht. Das macht es fรผr ihn nicht besser. Umso leichter fรคllt es ihm dadurch aber, ein gut Teil seiner eigenen Ansprรผche in die Geschichte von Hubert Dax zu verwandeln.

Am Ende bleibt nur die Frage: Hat es ihm geholfen? Oder war es sein letztes Aufbegehren? Denn die Gentrifizierung geht auch in Mรผnchen unbarmherzig weiter. Aus alten Arbeitervorstรคdten werden neue mondรคne Quartiere mit Latte-Macchiato-Cafรฉs und Bio-Lรคden.

Oder โ€“ was ja auch mรถglich ist โ€“ hat er sich eingerichtet in einer schizophrenen Welt, in der der Mensch sich teilt in einen, der sich fรผgt und anpasst und eine Figur aus dem Reich der Phantasie, die stellvertretend die alten Trรคume lebt und in Musik verwandelt? Das bleibt natรผrlich offen. Aber selbst wenn es so ist, hat dieser Mark mehr fรผr sich bewahrt und wiedergefunden, als den meisten Lebenstrรคumern vergรถnnt ist.

Tipp: Am Mittwoch, 9. November, um 20 Uhr, liest Benedikt Feiten im Horns Erben in der ArndtstraรŸe.

Benedikt Feiten Hubsi Dax, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 18 Euro.

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โ€œOder โ€“ was ja auch mรถglich ist โ€“ hat er sich eingerichtet in einer schizophrenen Welt, in der der Mensch sich teilt in einen, der sich fรผgt und anpasst und eine Figur aus dem Reich der Phantasie, die stellvertretend die alten Trรคume lebt und in Musik verwandelt?โ€

Diese Reaktion auf gesellschaftliche โ€œZwรคngeโ€ kennt der gelernte Ossi auchโ€ฆ.

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