Luther war da! Manche Städte und Dörfer in Mitteldeutschland verkünden das mit Stolz, Denkmal und Luthererinnerungstafeln. Und wenn er nicht da war? Dann suchen auch sächsische Städtchen nach Verbindungen. Gerade wenn man in einem so hin- und hergerissenen Landstrich lebt wie dem zwischen Mulde und Pleiße. Denn als die Reformation begann, war das eine mittendurch zerrissene Landschaft.
Schuld waren natürlich die Wettiner. Wer denn sonst? Die beiden Brüder Ernst und Albrecht, die es über 20 Jahre lang gepackt hatten, das Kurfürstentum Sachsen gemeinsam zu verwalten. Und dann bekamen sie beide 1485 den Rappel und teilten das Land. Nicht einfach mittendurch, wie es andere Fürsten taten, die einstmals mächtige Herzogtümer in immer kleinere Häppchen teilten, bis dutzende Zwergherrschaften draus wurden. Die beiden Brüder wollten brüderlich teilen, also schnitzte Ernst zwei ineinander verschlungene Landesteile zurecht, Leipzig und Dresden im einen Teil, Torgau, Wittenberg und Weimar im anderen. Und weil er glaubte, das würde das Land am Auseinanderfallen hindern, baute er in der Mitte noch eine Brücke quer durchs Land zwischen Pleiße und Mulde. Ein Landstrich, der dann ab 1517 regelrecht zwischen die Grenzen geriet, denn er gehörte zum ernestinischen Kurfürstentum, das von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen von Wittenberg und Torgau aus regiert wurde. Zumindest zum größeren Teil. Rechts und links aber grenzte das Gebiet an den albertinischen Teil, der vom bärtigen Georg regiert wurde, der nach der Leipziger Disputation 1519 zum heftigsten Gegner der Reformation wurde.
Teilweise regierten auch noch die Meißner Bischöfe hinein, die in Wurzen ihre Stammlande hatten, die Herren von Schönburg, die auch nach 1539 noch am alten Glauben festhielten, aber auch die Einsiedels, die – anders als ihr bärtiger Landesherr – die Reformation schon früh unterstützten.
Da mache mal einer was draus. Die Autoren dieses neuen Bandes in der Reihe „Orte der Reformation“ machen was draus. Denn dieses Zwischendrin ist natürlich ein gutes Anschauungsmaterial, um alle Facetten der Reformation in Sachsen im 16. Jahrhundert zu beleuchten. Die Autoren des Bandes können sich dabei immer entlang des sächsischen Teils des Lutherweges bewegen, womit dieses Heft natürlich eine echte Einladung ist, den sächsischen Lutherweg einmal aus eigener Anschauung zu erkunden. Einige Orte daran hat man ja schon in Einzelpublikationen kennengelernt: Leipzig zum Beispiel, Torgau und Grimma.
In diesem Band gibt es, gleich eine ganze reiche Ecke des wirklich stolzen Sachsens zu erkunden mit eindrucksvollen Städten wie Oschatz, Pegau, Wurzen, Rochlitz. Burgenland im wahrsten Sinn des Wortes. Denn dass hier (noch) so viele Burgen stehen, eindrucksvolle Zeugnisse des Mittelalters, hat seinen Grund in der Geburt des heutigen Sachsen. Denn im 12. und 13. Jahrhundert war überhaupt nicht klar, ob die Wettiner in dieser Gegend überhaupt jemals etwas zu Sagen haben würden. Damals versuchten die deutschen Kaiser noch, hier eigene Stammlande zu etablieren – mit Städten wie Chemnitz und Altenburg und einem kaiserlichen Besitz, der als Pleißenland lange Zeit Bestand hatte. Erst als sich die Kaiser verschuldeten und verpfändeten, bekamen die Wettiner die Oberhand und konnten sich das fruchtbare Ländchen unter den Nagel reißen.
Natürlich wird diese Geschichte vorweg erzählt, damit der Reisende schon einmal eine Vorstellung davon bekommt, in welche reiche Landschaft er hier gerät. Unerwarteterweise, muss man betonen. Denn große Teile dieser Landschaft wurden ja im 20. Jahrhundert durch den Braunkohlebergbau verwüstet und vernichtet. Das hat die Sicht auf diese Region über Jahrzehnte geprägt: künstliche Flüsse, riesige Krater, rußende Schlote.
Heute sieht man – mitten im Leipziger Neuseenland – die Kühltürme des Kraftwerks Lippendorf von weitem. Und wer in der Luthergeschichte bewandert ist, der assoziiert das nicht mit Kohle, sondern mit dem wahrscheinlichen Geburtsort Katharina von Boras in Lippendorf. Den Ortsnamen gibt es zwar noch, das eigentliche Lippendorf aber ist verschwunden. Die Erinnerung daran nicht: Südlich von Leipzig wird die Erinnerung an Katharina, an Luther (der ihr hier ein eigenes Gut kaufte) und die wichtigsten Akteure der Reformation gepflegt. Es gibt etliche Lutherdenkmäler, das witzigste wahrscheinlich in Borna. Es gibt einen Erlebnispfad auf den Spuren Katharina von Bornas. Man sollte auch den Abstecher ins Kloster Nimbschen bei Grimma nicht aussparen, aus dem Katharina einst mit tätiger Hilfe aus Wittenberg floh.
Leißnig mit der berühmten „Kastenordnung“ liegt genauso an der Wegstrecke wie Colditz, dessen prachtvolles Schloss einst von Luthers Landesvater Friedrich dem Weisen ausgebaut wurde und das Kenner in Lucas Cranachs d. Ä. Gemälde „Das Goldene Zeitalter“ wiedererkennen.
Natürlich wird auch noch einmal extra erzählt, wie buntscheckig die Reformation in dieser Region zwischen Pleiße und Mulde ablief, welche reiche Kirchengeschichte heute noch in Dörfern und Städten zu besichtigen ist. Man begegnet den Einsiedels auf der noch immer eindrucksvollen Burg Gnandstein und dem einst mächtigsten Herrscher an der Weißen Elster: Wiprecht von Groitzsch. Die Burg Kriebstein bei Waldheim darf natürlich genauso wenig fehlen wie Luthers Zwischenstopp 1522 in Borna, als er eiligst von der Wartburg (wo er als Junker Jörg versteckt war) gen Wittenberg eilte, um die dortigen Unruhen zu beschwichtigen.
Man begegnet ihm also wirklich auf dieser Tour und lernt dabei eine Menge über Landes- und Reformationsgeschichte. Auch über die vergeblichen Versuche des bärtigen Georgs in Dresden, das Eindringen des lutherischen Glaubens in seinen Landesteil mit aller Gewalt zu verhindern. Da liefen dann seine Landeskinder (so wie die Leipziger) am Wochenende lieber ein paar Kilometer über die Landesgrenze, um im ernestinischen Teil die evangelischen Gottesdienste zu erleben. Die Zeit war einfach reif.
Und vielleicht ist sie es jetzt wieder. Zumindest für alle, die eine Region voller Burgen und Geschichte einmal ausgiebig erkunden wollen, auch wenn man im üblichen Marketing mit dem Begriff „Burgenland“ meist wenig anfangen kann. Wer einmal da war, schwärmt nur noch von Burgen und weiß, warum Luther sein berühmtestes Lied mit „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ begann. Er hat etliche dieser Burgen selbst besucht und von droben herabgeschaut auf einen Landstrich, in dem sich auch in seiner Zeit einige der buntesten Schlachten und Prügeleien abspielen sollten – vom Fladenkrieg bis zum Schmalkaldischen Krieg. Er wusste eine feste Burg zu schätzen. Zumindest für eine Weile.
Der Band ist im Grunde nichts anderes als eine 80-seitige, reich bebilderte Einladung, dieses Land zwischen den Flüssen einmal selbst zu besuchen, am besten immer auf dem Lutherweg, mit Fahrrad, wenn es geht und mit viel Zeit für Burgen, Schlösser, Kirchen, auch wenn man manchmal nur von draußen gucken kann, weil es drinnen noch keine zu besichtigenden Angebote gibt – wie eben beim Schloss Colditz oder beim im Siebenjährigen Krieg verwüsteten und berühmt gewordenen Schloss Hubertusburg.
Arnold Liebers; Matthias Weismann Zwischen Pleiße und Mulde, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016, 9,90 Euro.
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
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Arnold Liebers; Matthias Weismann Zwischen Pleiße und Mulde, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016, 9,90 Euro.
Wollte mir das Buch gerade kaufen, leider vergriffen (2021)