Das ist so ein Buch, da fragt man sich: Warum gab es das noch nicht? Lag die Idee nicht auf der Hand? Wahrscheinlich muss man dazu mit DEFA-Filmen groß geworden sein, um überhaupt zu wissen, wie viel in diesen Filmen tatsächlich geschmaust und getafelt wurde. Gesoffen sowieso. Aber die hatten doch nix da im Osten, oder? Die ham doch gehungert?!
Haben sie auch. Ganz zu Anfang, genau wie die im Westen, als das ganze Land zerstört war und alle erst mal darangehen mussten, die Folgen eines durchgeknallten Großmotz-Reiches zu beseitigen. Was ostwärts, wie man weiß, länger dauerte. Denn hier gab es – wie Elke Pohl so beiläufig erklärt – natürlich keinen Marshall-Plan. Gleichzeitig wurden ganze Fabriken abmontiert und als Reparation in die Sowjetunion verfrachtet. Weshalb viele der ganz frühen DEFA-Filme natürlich auch von Hunger und kargen Mahlzeiten erzählen.
1946 wurde die DEFA gegründet – wie so Vieles: mit Parteiauftrag aus Moskau. Die Partei dort und die Partei in Ostberlin träumten tatsächlich den Traum, man könne eine Filmfabrik eröffnen, in der nur noch linientreue Filme produziert werden. Dumm nur, dass man dafür Drehbuchautoren, Regisseure, gute Schauspieler braucht. Lauter Leute, denen zutiefst zu misstrauen ist, weil die in der Regel kreativ, spielerisch und meist auch kritisch mit den Dingen umgehen.
Was einen kurz mal an eines der neueren Märchen denken lässt, die Ostdeutschen hätten die Wirklichkeit ihres Landes nur aus dem Westfernsehen kennengelernt.
Es ist schon erstaunlich, wie unverschämt über alle Zeitenwenden verdreht und gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Aus über 700 DEFA-Spielfilmen hat Elke Pohl 31 ausgewählt. Sie hätte auch 31 andere nehmen können. Die Auswahl ist groß. Und in Dutzenden könnte sie Filme aufzählen, die so kritisch waren, dass sie die Bonzen in Berlin zur Weißglut getrieben haben. Seit dem legendären 11. Plenum 1965 wurden Dutzende DEFA-Filme verboten und in den Giftschrank gesperrt, weil sie das „falsche“ Bild vom Leben in der DDR zeigten, nämlich nicht das, was sich die Bürokraten im ZK der SED wünschten. Wobei sie ja seit 1959 versucht hatten, den ungehorsamen Geistern beizubiegen, wie bitteschön das sozialistische Menschenbild dargestellt werden sollte.
Dummerweise nannten sie es Sozialistischer Realismus. Was dann diese ganzen Künstler wieder falsch verstanden, weil sie nun dachten, sie sollten die realen Konflikte im Reich der aufgehenden Sonne zeigen. Was sie auch taten. Manche reineweg genial (was auch gern vergessen wird). Mit den bekannten Folgen: eingestampften Buchtiteln, eingesperrten Autoren, einkassierten Filmen, Verrissen im „Neuen Deutschland“, Berufsverboten, Verleumdungskampagnen …
Deswegen haben wirkliche DEFA-Fans einige der besten Filme erst nach 1989 sehen können – so wie „Spur der Steine“, „Der geteilte Himmel“ (beide in diesem Buch vertreten) oder „Das Kaninchen bin ich“. Andere Filme waren dann nicht mehr zu verbieten, als sie durch die Schlupflöcher der Zensur geschlüpft waren. Denn die unberechenbaren Holzhammerschläge der Politbürokratie machten ja auch Autoren und Regisseure einfallsreicher. So etwas zwingt zur Camouflage. Will man den Personenkult in Berlin kritisieren, dreht man eben einen Film über den eingebildeten Herrn Goethe in Weimar („Lotte in Weimar“). Und wenn man die eingerissene Mangelwirtschaft hoppnehmen will, macht man so einen Film wie „Anton, der Zauberer“ oder – ganz zuletzt – „Zwei schräge Vögel“. Auch wenn der Film dann schon in die Wirren der Revolution geriet und in DDR-Kinos keine Wirkung mehr entfalten konnte.
So wie jene Filme, die die prüde Moral des ZK der SED konterkarierten, wie „Sieben Sommersprossen“, der zu einem der Riesenerfolge im Osten wurde. Genauso wie zwei Jahre später „Und nächstes Jahr am Balaton“, im Grunde der Film, der 1980 schon alles vorwegnahm, was im Sommer 1989 geschah.
Im Grunde ist Elke Pohls Buch eine kluge Hommage an dieses Filmunternehmen, das eigentlich gar nicht hätte funktionieren dürfen, wenn man den in Moskau geborenen Gründungsgedanken nimmt. Da hätten dann eigentlich nur Filme vom Typus „Thälmann, Sohn seiner Klasse“ entstehen müssen, vielleicht noch „Nackt unter Wölfen“. Aber selbst dieser Film, der so sehr den Gründungsmythos der SED verkörpert, wirkte schon damals nicht wegen seiner geschönten Botschaft vom standhaften Kommunisten, sondern durch seine Schauspieler und den zutiefst menschlichen Grundton.
Natürlich reichen auch 31 Filme nicht, um auch nur annähernd zu zeigen, was für eine Vielfalt in den Potsdamer Studios produziert wurde. „Jakob, der Lügner“ kann man genauso vermissen wie „Der Untertan“ oder „Lewins Mühle“. Aber das hätte auch die Intention des Buches gesprengt. Das Buch über die wegweisenden Filme der DEFA muss jemand anders schreiben. Es ist eigentlich an der Zeit. Auch weil dieser Filmschatz – wie so Vieles – nach 1990 beinah verloren gegangen wäre. Da waren ja bekanntlich die großen Abräumer und Geschichtskorrektoren am Werk – sind sie bis heute. Gerettet wurden die Filme in der DEFA-Stiftung. Selbst verbotene Filme konnten teilweise aus überlebenden Kopien rekonstruiert werden.
Es ist kein Zufall, dass Elke Pohl vor allem Filme ausgesucht hat, die von den selbstbewussten Frauen im Osten erzählen. Die keine Legende waren, auch wenn sie mit den Propaganda-Bildern der SED nichts zu tun hatten. Denn Emanzipation wurde zwar gepredigt – aber die Wirklichkeit war für diese gut gebildeten Frauen im Osten ganz genauso wie heute ein Leben im Zweischicht-System: sie waren werktätig, wie das damals hieß, hatten aber in der Regel noch den kompletten Haushalt am Hals. Und sie hatten Träume. Vielleicht hatten auch nur die Drehbuchautoren Träume. Aber dann hätten Filme wie „Paul und Paula“ nie so einen Erfolg gehabt. Sie trafen den Nerv dieses Landes und die eigentliche Sehnsucht: die nach einem ehrlichen und gleichberechtigten Leben. Einem Leben, in dem sich die Vorstellungen von Selbstverwirklichung verbinden mit einer echten Partnerschaft.
Mit „Bis dass der Tod euch scheidet“, „Eine sonderbare Liebe“ und „Die Alleinseglerin“ hat Elke Pohl auch noch später entstandene Filme aufgenommen, die das Thema behandeln, aber andere filmische Lösungen gefunden haben. Nicht ganz so traurige, aber eigentlich doch hoffnungslosere. Denn auch im Alltag der jungen Menschen war längst erlebbar, dass die großen Träume dieser Gesellschaft nicht aufgingen.
Dass ihr dieses Thema einfach wichtig ist, macht Pohl auch mit der Aufnahme des Märchenfilms „König Drosselbart“ deutlich, wo es ja bekanntlich um die Zähmung einer widerspenstigen Prinzessin geht. Filmporträt reiht sie an Filmporträt, geht auf die beliebten Schauspieler ein (von Manfred Krug bis Angelica Domröse), erzählt von den begnadeten Regisseuren und Drehbuchautoren. Filmbilder ergänzen die kurzen Texte, dazu gibt es kleine Ausflüge in die sich entwickelnde Ess- und Trinkkultur des Ostens. Und dann gibt es zu jedem Film ein Rezept, manchmal direkt zu einem der Gerichte, die in der Filmhandlung eine zentrale Rolle spielen, manchmal eher als Ergänzung zum Film – zum Beispiel dann, wenn außer Bier- und Schnapsflaschen nichts anderes auf dem Tisch stand. Aber gerade die einfachen Rezepte, die so typisch für das Improvisieren auch in den ostdeutschen Küchen waren, erzählen ja die oft genug genauso rustikale Filmhandlung weiter. Gehungert wurde im Osten bald auch nicht mehr. Das Land produzierte gerade die Grundnahrungsmittel in einer solchen Menge, dass es sichtlich auch aufs Lebendgewicht der Werktätigen durchschlug.
Auch wenn sich Mancher wohl nur noch mit Grausen an die Speiseverpflegung in diversen Kantinen, Mensen und anderen Großverköstigungen (wie im Ferienlager) erinnert. Was nicht heißt, dass solche proletarischen Konfliktlösungen wie Buletten, Szegediner Gulasch, Berliner Kartoffelsuppe oder Makkaroni mit Tomatensoße nicht auch im heimischen Alltag ihren Platz hatten. Auch das gehört zur dokumentarischen Seite dieser DEFA-Filme: Sie zeigten tatsächlich eine Menge vom Alltag der Menschen.
Ob die heutige deutsche Filmproduktion mit ihrer Besessenheit vom Leben der Schickeria das ebenso kann, darf bezweifelt werden. Tatsächlich macht diese Reise durch 40 Jahre Filmgeschichte eher Hunger auf diese DEFA-Filme, von denen etliche zum Besten gehören, was deutsche Filmkunst im 20. Jahrhundert produziert hat. Und die Ergänzung mit den Rezepten macht auch noch kulinarisch erlebbar, wie handfest zumindest die Arbeit der Regisseure im Osten war. Man bekommt, je weiter man blättert, ein regelrechtes Knurren im Bauch, weil man erst in dieser Dichte merkt, wie dünn die bunte Suppe nach 1990 tatsächlich geworden ist und wie selten die Filme, die wirklich derart einfühlsam ans hiesige, irdische Leben gehen.
Mit all seinen Konflikten, Träumen, Hoffnungen – und vor allem: mit echten Frauen, nicht diesen ewigen strebsamen Puttchen aus der Vorstadtvilla, die einem vorgesetzt werden als Ideal aller Karrieren.
Ehrlich? Das kann es nicht wirklich sein. Aber wie das ausgeht, wenn eine ganze Nation sich fortwährend über sich selbst belügt, das wissen wir ja eigentlich. Und wir hatten augenscheinlich auch die bissfesteren Filme im Osten. Manche sogar voller Humor, wie man ihn aus der heutigen Verbissenheit gar nicht mehr kennt.
Bevor wir uns jetzt grämen, mixen wir uns lieber einen selbst gemachten Eierlikör, wie ihn Elke Pohl auf Seite 53 in ihre Liebeseclairs füllt. Manches muss man einfach selber machen, egal, wie viel Zeug im Laden rumsteht und so aussieht, als wär’s was. Veräppeln können wir uns auch selber. Mit Borsdorfer Apfeltorte zum Beispiel, die es auf Seite 120 gibt, als Finale zu „Sieben Sommersprossen“.
Elke Pohl Das DEFA-Film-Kochbuch, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2016, 16,95 Euro.
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
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