Noch ein Katzenbuch. Oder eigentlich ein Orgelbuch. Eigentlich ist es ein Kinderbuch über die Liebe zur Kirchenmusik. Und zu Katzen. Und ein Wunschbuch der Autorin sowieso, die sich im Abspann für älter gibt, als sie ist. Aber das kann an den Büchern liegen, die sie sonst so liest. Dicke Bücher, die man am besten liest, wenn einem eine Katze auf dem Schoß liegt und so tut, als schliefe sie.
Wunschbuch ist es in mehrerlei Dingen. Mit einer Freundin zusammen hat Gabriele Krön schon seit Jahren davon geträumt, mal ein Buch zu schreiben. Wunschbuch ist es aber auch, weil die Autorin – selbst Musiklehrerin und Chorleiterin – das tiefe Bedürfnis hat, von der Schönheit der Musik zu erzählen – und von den Freuden des Musikmachens. Deswegen stecken im Helden der Erzählung, dem Organisten Bachmeier, auch nicht nur Musiker und Chorleiter, die die Autorin bewundert hat, sondern auch ein gutes Stück ihrer eigenen Leidenschaft für Gitarre und Blockflöte. Die Welt der Orgel musste sie sich auch erst erobern, es ist ja nicht ihr Instrument. Aber sie bewundert dieses gewaltige Instrument aller Instrumente. Richtig überschwänglich, deswegen steckt ein Stück der Autorin auch in der befellten Hauptheldin der Geschichte, der Katze Clarabella, die die „Königin der Instrumente“ geradezu anhimmelt.
Das ist der Preis des Hineinschlüpfens: Wie viel von der Autorenbegeisterung überträgt man auf das Tier? Obwohl man doch weiß, dass Katzen eigentlich vor nichts und niemandem Respekt haben? Und in Orgelgehäusen bestenfalls mal auf Mäusejagd gehen – womit diese Geschichte ja dann auch anfängt. Denn so kommt die anfangs namenlose Katze nicht nur zu einem Namen, einem Job und einem Besitzer, so verschafft sich die Autorin auch Raum, von der Orgel zu schwärmen, die im Original im schönen Niederbayern steht, auch wenn man bei der wonnigen Erwähnung Bachs beinah auf Leipzig getippt hätte.
Aber Bach berauscht seine Zuhörer überall. Und er gehört auch zum Repertoire des Herrn Bachmeier und dann auch seiner Schülerin, zu der er kommt, wie der Organist zum Kinde: Sie steht eines Tages mit ihrer Mutter vor der Tür, die in regelrechtem Schrecken lebt, das Kind könnte kein normales Kind sein, wenn es nicht wie die anderen 10-jährigen Mädchen lieber shoppen geht. Stattdessen hat die Kleine schon Blockflöte und Klavier gelernt und will nun auch die Orgel spielen …
So etwas gibt es tatsächlich: Kinder, die ganz beharrlich das tun, was sie besonders fasziniert. Und nicht das, was alle Welt behauptet, dass es „cool“ sei. Aus solchen Kindern werden in der Regel ernsthafte und erfolgreiche Künstler, Forscher, Erfinder, Musiker. Also lauter Leute, auf die echte Gewinnmaximierer mit größtmöglicher Verachtung herunterschauen.
Und nach denen später, wenn sie gestorben sind, Plätze und Straßen benannt werden. Weil dieses Ernsthafte in der Regel dazu führt, dass wir alle klüger, reicher und lebendiger werden. Das merkt man meistens erst später, in etwas höherem Alter, wenn es einen zum Schreiben zwingt wie die Autorin. Denn am Ende ist es gar nicht die Geschichte der Katze Clarabella, um die es geht, sondern die von Lena, die so unverhofft vor Herrn Bachmeiers Tür stand und mit ihm gemeinsam ihren Weg geht. Mit der ernsthaften Konsequenz einer 10-Jährigen, die viel faszinierender ist als diese Orgel, mit der sich Clarabella unterhält.
Aber das gehört alles zusammen. Denn Gabriele Krön möchte auch gern ihren Frust ein wenig loswerden über die oberflächlichen Musikmacher, die es auch in der Welt der Kirchen und Orgeln gibt, die nicht mal wissen, wie sie Register in Zusammenklang bekommen, über verstimmte Orgeln fluchen, aber eigentlich nur oberflächlich sind, auch rücksichtslos. Es ist auch die Ernsthaftigkeit der Autorin, die sich in der Ernsthaftigkeit Lenas spiegelt. Und damit erzählt sie natürlich auch wieder eine Gegengeschichte zum Heutigen, eine, die davon erzählt, dass die eigentlichen Weltentdeckungen dort stattfinden, wo sich Menschen ernsthaft einer Passion widmen und nicht einfach mal Musikmachen lernen, um irgendwen zu beeindrucken. Wen auch immer.
Denn die andere Seite der passionierten Musik ist natürlich die Fähigkeit, Musik auch zu verstehen. Die immer seltener wird, auch weil selbst Kultusminister keinen Sinn mehr dafür haben, dass man manche Dinge erst einmal lernen muss, sonst erschließt sich Vieles nicht. Sonst triumphieren Dilettantismus und Billigheimerei. Eben weil sie so „niederschwellig“ und anspruchslos sind. Das hat sicher seinen Platz – aber die wirkliche musikalische Erlebnisfähigkeit, die Fähigkeit, wirklich hinhören zu können, die geht verloren. Eine Gesellschaft, die nicht mehr zuhören kann, wird eine kakophonische. Wir sind gerade mittendrin.
Und Nichtzuhörenkönnen bedeutet eben in der Regel auch, dass sich die in Lärm aufwachsenden Kinder selbst nicht mehr hören können. Und sich auch nicht mehr zuhören. Und damit verpassen sie fast alle ihre Passion, ihre Talente und den Ansporn für einen wirklich eigenen Weg durchs Leben.
Und so ist das eigentlich eine Geschichte über Passionen und darüber, dass man sie leben und für sie auch kämpfen muss. Als Dank gibt es dann zu Weihnachten frisch gejagte Mäuse vor der Tür. Denn für eine Katze ist in einem passionierten Leben immer noch Platz irgendwie. Irgendeiner muss die Geschichte ja dann erzählen als hochbetagter Stubentiger. Für alle, die vergessen haben, wie das bei Lena mal anfing, bevor sie als Organistin berauschende Erfolge feierte.
So eine Geschichte ist das. Eine, die sich jetzt in die Katzenbuch-Reihe des St. Benno-Verlages gemogelt hat, obwohl sie eigentlich in die Reihe mit den Passionen gehört.
Gabriele Krön Clarabella, St. Benno Verlag, Leipzig 2016, 8,95 Euro.
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