Bis zum 7. August war in der Städtischen Galerie in Wurzen eine ganz besondere Ausstellung zu sehen: „Ringelnatz ‚in Privathand‘“. Was eigentlich nichts Besonderes ist. Die meisten Ringelnatz-Bilder befinden sich in Privathand. Aber die Ringelnatz-Stadt Wurzen konnte in der kleinen Ausstellung einmal zeigen, was sonst nur die Sammler erfreut. Oder beschäftigt.

Denn Hans Bötticher, den die Welt als Joachim Ringelnatz kennengelernt hat, war ja kein Blümchenmaler, auch wenn er nie an einer Kunstakademie studiert hat. Man kennt ihn vor allem als Schöpfer scheinbar skurriler Seemannslieder und ironischer Balladen. Die so ironisch sind, dass sie es selten bis nie in die üblichen Sammlungen deutschen Humors schaffen. Denn der Mann hat das Leben genau beobachtet. Auch von der anderen Seite – von ganz unten, wo man die Dreckecken unterm bürgerlichen Sofa sieht und die versteckten Geheimnisse der angemalten Menschenfreunde. Da entsteht dann ein Humor, der die Waldvöglein-Kulisse zerfetzt und die betrunkenen Nachtwanderer zeigt, die Huren einer besoffenen Welt, die auf offener Bühne gegen die Hurerei wettern.

Er hat sie am Schlafittchen gepackt, diese Scheinheiligen. Und sie kamen doch in seine Lesungen, die er landauf, landab hielt. Denn Ringelnatz war ein Spiegel. Ein liebenswerter, einer, der den Betroffenen ins Gesicht sagte, was sie eigentlich für Lumpen waren, wenn kein Polizist zuguckte. Nicht besser als betrunkene Matrosen, die manchmal auf Landgang dürfen und dann die Sau rauslassen.

Und so hat er auch gemalt. Schon bei der Marine, wie Dr. Sabine Jung zu berichten weiß, die diesem kleinen Katalog eine ausführliche Würdigung des Malers Joachim Ringelnatz beigegeben hat. Darin erklärt sie auch, warum diese Bilder manchmal wie hingehauen wirken. Als hätte der Maler keine Zeit gehabt. Hatte er auch nie. Denn das Schicksal, das sich der ausgebildete Seemann wählte, war ein Künstlerschicksal, in dem er rasen und rackern musste, um ein bisschen Geld zum Leben zu verdienen. Gesund war es nicht. Deswegen ist er auch so früh gestorben.

Und teuer hat er seine Bilder auch nicht verkauft. Die Leute kauften trotzdem. Zumindest all jene, die wussten, wo sie diesen malenden Dichter und dichtenden Maler einzuordnen hatten. Denn tatsächlich war er Teil der rumorenden, in hundert Richtungen aufgesplitterten Moderne in Deutschland. Jung betont seine Nähe zum Dadaisten und Surrealisten Max Ernst. Beide liebten das Ausprobieren neuer Techniken. Das Surreale sowieso. Deswegen muss man aufpassen, bei Ringelnatz das Wort skurril zu verwenden. Nur weil seine Szenen, die er malt, auf den ersten Blick naiv, verspielt, ein bisschen lustig wirken, heißt das nicht, dass sie es auch sind.

Deswegen hieß die Ausstellung auch doppeldeutig „Auf den zweiten Blick“. Damit ist auch das genauere Hinschauen gemeint. Das der Katalog übrigens ermöglicht. Alle sieben Ringelnatz-Gemälde, die in Wurzen zu sehen waren, sind hier nicht nur abgebildet, sondern auch vorsichtig analysiert. Wer’s beim Anschauen übersehen hat, bekommt hier die sanften  Hinweise, worauf er beim Bildbetrachten achten sollte. Denn Ringelnatz malte auch, wie er schrieb – nur umgekehrt. Und mit Anspielungen.

Was in seinen Texten auf den ersten Blick richtig lustig wirkt und sich dann beim Reinhören meist als ziemlich tragisch erweist, zeigt sich bei seinen Bildern auf den ersten Blick als eine ziemlich beklemmende Inszenierung, die beim Lesen der Details erst ihre stille Freude am Leben offenbart. Wobei dieser Monent bei Ringelnatz immer ziemlich genau zu benennen ist: der Moment, wenn die Party vorbei ist und endlich die lärmende Musik verstummt ist und die besoffenen Dösbaddel endlich weg sind. Die meisten Menschen feiern und besaufen sich ja, um gar nicht erst in diesen Zustand der Ringelnatzschen Nüchternheit abzurutschen.

Was man da sieht, zeigen die sieben Bilder, die auch allesamt Bilder vom Verstecken sind. Von dem, was man in bunten Prospekten nicht sieht. Scheinbar exotisch die „Tanzenden Neger“, eine Replik auf ein Afrika, das auch der Seemann Bötticher nie gesehen hat. Scheinbar impressionistisch die „Parklandschaft“, in der man die kleinen Menschengruppen mit der Lupe suchen muss. Scheinbar beklemmend die „Beschaulichkeit“ der Ein-Zimmer-Wohntoilette, in der sich das Leben zweier Frauen abspielt. Scheinbar ruhig und harmlos die „Fabriklandschaft“, bei der man nicht weiß: Ist hier nur Sonntag? Oder ist gerade die Treuhand am Werk?

Wer die kleine Ausstellung verpasst hat – und in Leipzig wurde sie ja nicht beworben – der hat mit diesem Katalog die schöne Möglichkeit, auch den Maler Ringelnatz etwas besser kennenzulernen. Der in der Ausstellung dann auch noch mit einer Grafikmappe gewürdigt wurde, in der der Künstler Max Pretzfelder Ringelnatz-Gedichte illustriert hat. Beide haben unterzeichnet, Pretzfelder und Ringelnatz. Der Dichter kannte also diese Grafiken, die unterm Titel „Janmaate – Topplastige Lieder“ verkauft wurden.

Und auch das neunte Stück der Ausstellung war kein Einzelstück: einer von sechs bekannten Abgüssen der Porträtbüste „Joachim Ringelnatz“ von Renée Sintenis. Die Bildhauerin war mit Ringelnatz befreundet und die Büste gilt als eine der wenigen Ringelnatz-Plastiken, die dem Dichter tatsächlich gerecht werden und ihn nicht zur Karikatur machen. Was ja mit diesem Missverständnis zu tun hat, mit dem schon das Feuilleton der Weimarer Republik auf diesen malenden und dichtenden Seemann blickte: Man hielt ihn für einen etwas dadaistisch angehauchten Spaßvogel. Der er nicht war. Die Bilder, die er gemalt hat, zeigen tatsächlich den ironischen Ernst, mit dem er sich, die Welt und das Leben betrachtete. Im ironischen Blick wird die Tragik sichtbar, die den Sohn eines sächsischen Humoristen bis zum Schluss immer begleitete. „Seismograf seiner Zeit“ nennt ihn Sabine Jung.

Aber wie das so ist mit Seismografen: Die Leute registrieren die Zeigerausschläge, schreiben auch noch große fette Überschriften, wenn die Erde mal ein bisschen stärker wackelt. Aber sie verdrängen, dass der Vulkan tatsächlich ausbrechen kann, wenn sie jetzt nichts tun. Und die Weimarer Republik war ja nichts anderes als ein Tanz auf dem Vulkan. Ringelnatz ist 1934 gestorben, krank und arm. Aber die ganz große Sauerei hat er so nicht mehr miterlebt.

Auf den zweiten Blick Ringelnatz „in Privathand“, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2016, 9,90 Euro.

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