Was passiert eigentlich in einem Land, in dem nur noch das Geld zählt? Und die Gier nach immer mehr Geld? Wie viel Lebensfreude geht da verloren? Und wie viel Herzenswärme? Rainer M. Osinger ist einer von den Erzählern im Land, die noch fest daran glauben, dass das Gute am Ende doch gewinnt. Auch wenn es nur ein kleines, lebenslustige Mädchen ist. Aber wer sonst soll die Welt retten?

Was Osinger hier geschrieben – und illustriert – hat, schwebt wie so manches Märchen zwischen den Welten und den Zeitaltern, trifft den Ton der Erstleser, spricht die Herzen der Eltern und Großeltern an und ist vom Stoff her angesiedelt im Jugendbuchkosmos. Die Fabel sowieso. Die kennt, wer moderne Märchen liest, von der Struktur her (und die Fabeln in der dickschwartigen Fantasy sind auch nicht anders, nur weitschweifiger und oft brutaler): Ein einstmals blühendes und lebendiges Land wurde von einem Herrscher namens Idolos mit immer mehr Regeln, Verboten und Gesetzen überzogen, die ihm alle Farben entzogen haben.

Dass die Farben für vieles Andere mehr stehen, muss Osinger gar nicht groß erklären. Denn Farben stehen ja für Vielfalt und Schönheit, die stehen für verschiedene Weltsichten, Meinungen, Freuden, für das Offensein für Fremdes und Anderes … nicht zufällig gibt es eine Szene im Buch, in dem die grimmigen Wächter des Landes Flüchtlinge, die in Farlo Zuflucht suchen wollen, rabiat vertreiben. Man merkt: Es ist ein sehr gegenwärtiges Buch, in dem einiges, was derzeit die Weltgeschichte verändert, zusammenfließt. Denn die rüden Zurückweiser kennt man ja hierzulande sehr gut. Genauso wie die farblosen Bürger, die sich den Maximen des grimmigen Idolos angepasst haben. Und der hat seine Bürger darauf getrimmt, nur noch nach Reichtum, Geld und Besitz zu streben und nie zufrieden zu sein. Und alles, was am Scheffeln von noch mehr Reichtum hindert, ist schlecht. Und wer diese Jagd nach noch mehr Reichtum hinterfragt, wird zum Staatsfeind und landet in den Verliesen von Idolos.

Diese Hatz nach Geld und Reichtum zerfrisst das Land. Und macht vor allem die Menschen in Idolos’ Reich zu willigen Untertanen. Denn Propaganda wirkt: Wenn der allmächtige Herrscher den Menschen immer mehr Reichtum verspricht, wenn sie mitmachen bei seinen gigantischen Projekten, dann schert irgendwann keiner mehr aus. Schon gar nicht, wenn er dadurch riskiert, seinen Job als Lehrer oder Offizier zu verlieren. Es ist so eine kleine Geschichte darüber, wie ein Machtgieriger, wenn er nur den vollen Zugriff auf den Staat hat, ein ganzes Heer von braven Untertanen schafft, die auf seine Gnade und sein Wohlwollen angewiesen sind. Das geht ganz schnell. Dann funktioniert die Maschine und Spitzel, Verräter, Soldaten und Häscher marschieren los ohne zu fragen.

Befehl ist Befehl.

Hatten wir das schon mal?

Wir bekommen es gerade wieder. Als hätte Osinger beim Schreiben die ganze Zeit nach Russland, Ungarn, in die Türkei geschielt, was diese phantasielosen neuen Autokraten gerade anstellen, wie sie die störende Kompliziertheit einer offenen Demokratie Stück für Stück demontieren, auf Linie bringen, Opposition und Widerspruch hinausredigieren, bis sie das bekommen, wovon augenscheinlich nicht nur viele Lelos träumen: einen simplifizierten, starren und toten Staat. Einen, der Veränderungen, Mut und Phantasie nicht mehr zulässt und alle Menschen, die sich eine lebendige Welt wünschen, entlässt, bestraft, aussortiert.

Und Osinger erzählt dabei, wie sehr das auch in den scheinbar noch freien Ländern des vom Reichtum besessenen Westens der Fall ist, auch wenn er das gar nicht extra betont. Denn die Trumps und Konsorten kommen ja nicht aus dem Nichts. Sie sind die Vertreter einer Geisteshaltung, die nur den blanken Reichtum und die blanke Macht akzeptieren, nichts anderes. Und die sich schon immer echauffiert haben über dieses ganze bunte Gewimmel, das sie so verachten: Andersdenkende, Andersliebende, Andersgläubige, Anderslebende und – nicht zu vergessen – Andersfarbige.

Sie wollen eine ganz simple Welt. Die vielen Konsumenten der von Herrschern und Reichen durchfuchtelten Fantasy wahrscheinlich auch. Eine farblose Welt, in der ein Menschlein wie Falidal sich nicht mal verständlich machen kann, weil die Farblosen und Eingepassten sich hinter dem Panzer des offiziell Gewünschten verstecken und ansonsten immerfort schon im Weiterennen sind, weil sie – oha, das kennt man irgendwie – keine Zeit haben, mächtig zu tun haben. Also eigentlich nicht herauskommen aus einer Tretmühle, in der sie weder zum Nachdenken kommen noch zum Erkunden eigener Möglichkeiten.

Das vergessen viele Menschen ja schnell, dass es im Leben ja vielleicht ganz andere Dinge geben könnte, als die Hatz nach immer mehr Geld, andere Erfüllungen einer Sinnsuche, wichtigere Ziele. Falidal hat insofern Glück, als dass sie mit dem Jungen Pius, der ebenso erfahren hat, wie rigoros er von der Gruppe der Anderen ausgegrenzt wurde, und dem Kater Animus zwei Freunde hat, die ihr helfen, den Weg zu wagen zum berühmten Minister Klein, von dem alle sagen, er habe sich dem Regime des finsteren Idolos noch nicht untergeordnet.

Soll es geben, auch in der richtigen Welt. Nur haben solche Menschen in der Regel keinen Zugriff auf die Macht. Deswegen ist das hier auch ein Märchen. Im Märchen gibt es immer einen guten Geist irgendwo, einen, den man um Hilfe rufen kann gegen das farblose Böse in der Welt. Was die Geschichte zu einer Mutmacher-Erzählung macht. Vielleicht ein wenig zu sehr auf den großen guten König (respektive Minister) hin geschrieben, der alles wieder gut macht. Das funktioniert im Märchen. Aber in der Wirklichkeit werden diese guten Minister mit dem Vorwurf des Landesverrats an die Wand gestellt und erschossen.

Ja, Landesverrat. Da sind sie ganz fix, diese Idolosse.

Vielleicht liegt die wichtigere Botschaft darin, dass Falidal nicht allein bleibt. Auch unterwegs bekommen die drei Freunde Hilfe. Sogar von einem Fuchs, man staune. Aber genauso wird es auch in jenen Ländern kommen, die jetzt wieder unter die Fuchtel aufgeblasener Idolosse geraten sind: Es wird wieder mit den Kleinen beginnen müssen, die die Erinnerung an die Farben bewahren und sich gegenseitig stärken. Auch wenn sie vielleicht erst wieder eine Chance bekommen, wenn alle Wälder abgeholzt und der Gier geopfert sind. Auch diese Facette der blinden Gegenwart spielt hinein.

Aber wir haben ja wirklich die Wahl – die zwischen einer grauen Welt der Autokraten und hoffnungslosen Opportunisten und einer anderen, lebendigen Welt der Farben und der Vielfalt. Man wird es den untertänigen Holzfällern nie beibringen können, dass gerade das echter Reichtum ist und Gesellschaften Leben einhaucht. Dazu sind zu viele Bürger von Farlo zu sehr vom Reichtum und Besitz besessen und würden auch noch ihre letzten Überzeugungen für Geld verkaufen, wenn ihnen nur ein schöner neuer Traum in Chrom dafür verkauft wird. Oder ein Pöstchen im Reiche Idolos’.

Rainer M. Osinger Falidal und die verlorenen Farben, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2016, 9,60 Euro.

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