Die Zeit ist reif: Der Technikjournalist Ulrich Eberl veröffentlicht ein Buch über den aktuellen Stand der Roboterforschung und der Praxisanwendung von Künstlicher Intelligenz - und der Dresdner Jan Sebastian Kunkel veröffentlicht eine turbulente Geschichte über den möglichen Missbrauch der Technik, an der heute geforscht wird. Denn es gibt genug Menschen, die aus Machtgier bereit sind, jede verfügbare Technik zu missbrauchen.
In diesem Fall mal wieder so ein verrückter Professor, der es sich in den Kopf gesetzt hat, menschliche Gehirne miteinander zu verbinden. Die Neurowissenschaften sind ja mittlerweile so weit, ziemlich genau darstellen zu können, was beim Denken in unserem Gehirn passiert. Das ist möglich, weil es dabei immer um elektrische Vorgänge geht. Man weiß, wo welche Art Denkvorgänge und Emotionen im Gehirn „passieren“.
Ob es schon so weit ist, dass Menschen, die mit der bekannten EEG-Kappe auf dem Kopf an ein Computersystem angeschlossen sind, tatsächlich die Gedanken anderer Experiment-Teilnehmer „lesen“ können, wie es am 25. September 2015 auf der Website „Popular Science“ gepostet wurde, ist sicher eine Interpretationsfrage – auch die, ob man menschliche Gehirne so synchronisieren kann, wie es in diesem Buch der etwas seltsame Dr. Pilat macht. Vage erinnert die Story an „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“. Es geht um dasselbe Grundanliegen: Wo beginnt die moralische Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seines Tuns?
Augenscheinlich gibt es da nicht nur Grauzonen, sondern erweisen sich auch hochintellektuelle Forscher als käuflich, wenn das große Geld winkt. Und irgendwo im Hintergrund lauert auch hier das große Geld. Der Traum von Allmacht sowieso. Denn der Effekt, den Kunkel seinem Synchronisationsexperiment zuschreibt, ist eine deutliche Steigerung der Denk- und Kombinationsfähigkeit. Nicht nur durch die Vernetzung von Gehirnen entsteht eine Art neues „Superhirn“, das im Netz augenscheinlich mit eiskalter Überlegenheit agieren und auf wichtige Strukturen zugreifen kann. Auch die Gehirne der Probanden scheinen durch die Abstimmung nicht nur die kompletten Erinnerungen der jeweils Anderen aufzunehmen, sondern auch deutlich leistungsfähiger und entscheidungsfähiger zu werden.
So dass das „Frankensteinsche Monster“ – in diesem Fall zwei bullige, kahlköpfige Zwillinge, die Söhne des eifrigen Professors – auch wieder zwei starke Gegenspieler bekommt: die selbstbewusste Leevi und den bis über die Ohren verschuldeten Philosophiestudenten Malid, bei denen augenscheinlich etwas anders gelaufen ist als bei den bisherigen Experiment-Teilnehmern. Augenscheinlich sogar im letzten Moment, denn als Leevi und Malid nun zielstrebig und präzise beginnen, das Werk des machtgierigen Professors zu bekämpfen, haben die beiden finsteren Zwillinge schon begonnen, nicht nur das künstlich geschaffene Mindnet zu missbrauchen, sondern die Welt so richtig zu bedrohen.
Da alles so präzise abläuft und Kunkel auf diverse romantische Abschweife, lange Erklärungen und ähnliche Ausflüge verzichtet, spitzt sich die Sache ziemlich schnell zu und strebt auf einen Showdown im Mindnet zu, der dann nicht mehr (wie der Auftakt der Geschichte) in Dresden stattfindet, sondern im „Sleepy Lion“ in Leipzig. Da treffen die beiden Protagonisten nicht nur mit vier ganz besonderen Typen aus dem Kosmos der Internet-Verrückten zusammen, es tauchen auch noch ein paar toughe Vertreter des BND auf, die eher an die coolen „Men in Black“ erinnern und Typen, wie man sie sich bei FBI oder CSI vorstellt, aber nicht beim Bundesnachrichtendienst. Aber vielleicht gibt es ja dort tatsächlich diese gut trainierten Leute, die auch sofort reagieren können, wenn sie mitkriegen, dass eine Sache so gewaltig stinkt, dass sie sofort mit voller Technik ausrücken müssen, um in Leipzig dabei zu sein. Und zwar nicht nur als Zuschauer. Denn hier muss jetzt ziemlich schnell ein bisschen Technik aufgebaut werden, damit der große Kampf der Gehirne tatsächlich ausgetragen werden kann.
Dabei ist das sogar erst der Auftakt zu mehr. Die BND-Leute sammeln zwar am Ende alle Technik wieder ein – vielleicht in der Hoffnung, dass damit die Gefahr durch das Mindnet gebannt ist. Aber das existiert ja weiter. Und die Überlebenden des Showdowns (ja, es gibt auch noch ein bisschen Tragik) sind durch ihr gemeinsames Erlebnis auch so etwas wie Verschworene geworden. Was ja die altbekannte Geschichte ist. Ist die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet, bekommt keiner mehr wieder hinein, was einmal heraus gekrochen ist.
Und wie man in Ulrich Eberls Buch nachlesen kann, treiben Regierungen, Forschungsinstitute und große Unternehmen, die neue Geschäftsfelder wittern, die Arbeiten an der Künstlichen Intelligenz überall auf der Erde voran. Teilweise auch in Staaten, von denen man weiß, dass die Regierenden nur zu bereit sind, das neue Spielzeug auch sofort in ihrem Interesse zu missbrauchen. Und da geht es fast immer um Entmündigung, Kontrolle und die Jagd auf all jene, die den gerade Regierenden unbequem sind.
Und nicht ganz grundlos hat Kunkel seine finsteren Zwillinge ja ganz in der Nähe dieses herrschsüchtigen deutschen Kraftmeiermilieus angesiedelt, das derzeit nicht nur in Sachsen wieder so tut, als sei es die allwissende Alternative zu einer als unbequem und verstörend empfundenen offenen Gesellschaft. Und diese Typen sind, wie man ja ebenfalls sehen kann, nur allzu bereit mit ebenso finsteren Typen in anderen Ländern zu paktieren. Man trifft sich nicht im Topos gleicher Kultur oder gleicher Sprache, sondern im Topos der Machtbesessenheit, der sich so leicht verbindet mit dem Wunsch nach absoluter Kontrolle. Dem sich so viele Menschen bereitwillig unterordnen. Das verblüfft schon. Ist aber – auf der philosophischen Ebene – auch Thema im Buch. Denn wer sich mit der Kontrolle über alle anderen die absolute Macht und damit die absolute Freiheit verschafft (das ist das alte Frankenstein-Dilemma), der zerstört natürlich für alle anderen jegliche Freiheit. Der schafft eine neue Hierarchie, in der ein zentrales „Superhirn“ alle anderen steuert. Das erinnert zu Recht an die großen Dystopien der „Big Brother“-Welten.
Nur dass ein Teil dieser Fiction heute schon verwirklichbar scheint, vielleicht nicht so, wie es Kunkel für technisch machbar hält. Wahrscheinlich würden bei einer Synchronisation menschlicher Gehirne ganz andere Katastrophen passieren. Aber die Warnung ist berechtigt und spielt, wie man bei Eberl liest, in der Forscher-Gemeinschaft rund um die Künstliche Intelligenz bislang noch kaum eine Rolle.
Wohin sich das entwickeln könnte, das deutet Kunkel zumindest an, indem er seine überlebenden Helden am Ende der Geschichte ins nächste Abenteuer fahren lässt, das dann wahrscheinlich auch in Leipzig handelt.
Jan Sebastian Kunkel Mindnet, Idea verlag, Palsweis 2016, 10 Euro.
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