Das Land, von dem Dieter Moselt in dieser satirischen Erzählung berichtet (zumindest hat er sie so klassifiziert), liegt irgendwo in Europa, auch wenn der Name Miracolandia eher an die phantastischen Erzählungen des Barock erinnert, an Shakespeare oder Swift. Aber dieses Miracolandia liegt mitten in Europa und es regiert ein kleiner, eitler Narziss namens Baerenlustkoenig.

Die Geschichte scheint in einem ein klein wenig zurückliegenden Kapitel der europäischen Geschichte zu spielen. In einer Zeit, in der die machtgierigen kleinen Männer noch problemlos Präsident werden konnten, ohne dass es gleich den Kontinent zerfetzte. Auch wenn die wacheren Bewohner des Kontinents schon zu Recht alarmiert waren, denn diese Männer demonstrierten ja schon mal für alle, was sie mit den Ländern anstellen würden, wenn sie erst mal alle Machtbefugnisse in Händen hätten. Da muss man nicht erst ins heutige Polen, nach Ungarn oder in die Türkei schauen.

Das haben ganz andere Typen schon vorgemacht, wie man eine Demokratie unterhöhlt, sich die Presse kauft (wenn man nicht schon ihr Besitzer ist), nicht nur Ministerposten mit unterwürfigen Erfüllungsgehilfen besetzt, sondern auch Posten in Polizei und Justiz. Die Populisten von heute kommen ja nicht frisch aus der Werkstatt. Die Geschichte der Parteien, in denen macht- und öffentlichkeitsgierige kleine Männer die Strippen zogen und ziehen, ist ja viel länger. Und sie haben alle gezeigt, wie man Politik zum Zirkus machen kann, wenn man nur laut, unverschämt und rücksichtslos genug vorgeht.

Gelernt haben die etablierten Parteien in Europa daraus nichts. Auch nicht, welche Steilvorlage sie bieten, wenn sie sich von den Pöbeleien dieser Leute treiben lassen, Kompromisse eingehen und vor allem die eigentlichen moralischen Werte aufgeben.

Was diese Leute dann anrichten mit dem Land, das sie quasi in Geiselhaft nehmen, hat Dieter Moselt versucht, sich anhand einer Konstellation auszumalen, wie sie vor einigen Jahren in Europa herrschte. Wir verraten jetzt mal nicht, welches Land und welchen dreisten Alleinherrscher er sich da als Schablone genommen hat – er hat seine Erzählung ja nicht ohne Grund eine „satirische“ genannt und im Vorspann beteuert, dass alles nur Erfindung ist und gar keine konkrete Person der Gegenwart sich gemeint fühlen dürfte.

Aber herausgekommen ist im Grunde eine Dystopie, so etwas, was Kurt Vonnegut in seinen düstersten Erzählungen gemacht hat, der für die USA ganz ähnliche Abstürze in finstere diktatorische Zeiten befürchtete. Die Rezepte, zu denen diese Machtgierigen greifen, sind sich allesamt ähnlich. Zumeist beginnen sie damit, die Gesetze in ihrem Sinne umzuschreiben, die Gerichte zahnlos zu machen – und dann werden die Medien gleichgeschaltet, werden kritische Zeitungen mundtot gemacht und die öffentlichen Sender auf Parteilinie getrimmt. Alles pure Gegenwart.

Und die Leute, die das auch in Deutschland machen wollen, sind längst unterwegs.

Es ist also ein Büchlein passend zur Zeit. Das Drama entspinnt sich um die telegene Nachrichtensprecherin Irene Brando, die lange versucht hat, sich dem System Baerenlustkoenigs anzupassen, der sich der Einfachheit halber schon mal King nennen lässt. Erzählt wird aus der (ratlosen) Perspektive des Rentners William Martin, der mit den Brandos befreundet ist, aber hilflos zusehen muss, wie Irene immer mehr verzweifelt. Höhepunkt ist dann der Tag, da sie endlich aufhört, den Schwindel mitzumachen und in die Kamera sagt, um was für einen Lug und Trug es sich handelt – wissend, dass sie danach nicht nur ihren Job los ist und mit der Rache des Kings zu rechnen hat. Man darf sich ruhig auch an Bradburys „Fahrenheit 451“ erinnert fühlen.

Wenn sich die Leute durchsetzen, die da mit Inbrunst „Lügenpresse“ brüllen, wird es keine andere oder bessere Presse geben. Dann wird es gar keine freie Presse mehr geben. Und das einzige Warninstrument der Demokratie wird verschwinden. Bradbury hat es ja in seinem Roman bis zum Verbot aller Bücher getrieben – da waren die Bücherverbrennungen der Nazis noch relativ frisch in Erinnerung.

Aber das Reich des King ist ganz ähnlich angelegt. Und William Martin ist wohl nicht ganz zufällig völlig desillusioniert und pessimistisch, sieht auch jene durchaus unheiligen Allianzen, die die kleinen, machtgeilen Männer schließen, wenn sie erst mal die Macht in Händen halten. Und er sieht, wie sie systematisch daran gehen, auch die stabilisierenden Systeme der Gegenwart zu demolieren. Es ist also auch kein Zufall, dass die Zerstörung der EU beiläufig mit thematisiert wird. Martin hat sich also aufs Schlimmste eingerichtet und ist am Ende nur Beobachter der Tragödie. Ein durchaus bekannter Vorgang, wenn die Zerstörer erst einmal das Klima eines Landes zermürben: Viel zu viele geben auf, verlieren die Hoffnung und ziehen sich auf die Position „Ich kann ja doch nichts ändern“ zurück.

Und dann werden sie von den wilden Kampagnen der Machtgierigen erst recht überrollt, werden zur Spielmasse.

Der ganze Titel lautet übrigens „Wer die Wahrheit sagt … braucht ein verdammt schnelles Pferd“. Der Spruch wird Konfuzius zugeschrieben. Da haben sich die machtgierigen Prinzen und Kaiser in China nicht wirklich von den kleinen Alleinherrschern Europas unterschieden: Wer ihnen die Wahrheit ins Gesicht sagte, musste damit rechnen, postwendend ins Jenseits befördert zu werden.

Andererseits ist es schon weit gekommen, wenn Journalisten mit solcher Rache rechnen müssen, wenn sie den Mächtigen auf die Füße treten. Und wenn sie dann allein dastehen in einer Welt, in der alle ihre Köpfe einziehen aus Angst, aufzufallen. Das hatten wir alles schon mal. Aber es arbeiten einige Leute daran, dass das alles wieder kommt.

Dieter Moselt Wer die Wahrheit sagt, Einbuch Buch- und Literaturverlag, Leipzig 2016, 9,90 Euro.

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