Es lebt sich gefährlich in deutschen Pfarrhäusern. Nicht nur, wenn ein auf Krimis spezialisierter Verlag wie der fhl Verlag das Morden an heiligen Orten thematisiert. Auch im St. Benno Verlag hat man die Lust am Pfarrhaus-Krimi (wieder) entdeckt. Immerhin war das ja mal ein beliebtes Genre des englischen Kriminalromans. Nur dass diesmal nicht Miss Marple ermittelt.

Aber auch nicht der übliche Tatort-Kommissar mit traurigen Augen. Zum Glück. Man kann die Trauerklöße einfach nicht mehr sehen. Aber wer ermittelt dann? Der gemütliche Insel-Polizist Arno Rosenbroek, der kurz vor der Pensionierung steht und stolz darauf ist, dass es in seiner Dienstzeit auf Möwewind (der fiktiven Insel, auf der das alles spielt) noch nie einen Mord gab? Oder sein fitter Kommissaranwärter Klaus Leesen?

Eigentlich doch eher die Kinderpsychologin Svea Norden, die nach einer Lungenentzündung zur Kur auf Möwewind landet, wo nicht nur ihr alter Klassenkamerad Fritjof Harmsen auf sie wartet, sondern auch eine unausgesprochene Geschichte mit ihrer Zwillingsschwester Friederike, der evangelischen Inselpastorin.

Dass es der katholische Pfarrer Ansgar von Halen nicht leicht hat, merkt der Leser schnell. Denn auch auf Möwewind geht die Gier um – ein lukratives Gemeindegrundstück interessiert die Geschäftemacher der Insel. Sie sehen hier die Golddukaten fließen, wenn sie noch ein teures, exquisites Kurressort hinstellen, schön mit Direktzugang zum Meer. Und wo die Gier schon mal losgelassen, erscheint alles möglich. Nicht nur eine zusammengekaufte Abstimmung im Gemeinderat, die am Ende der charismatische Pfarrer durch einen Handstreich für sich gewinnt, just an dem Abend, an dem er sterben muss.

Scheinbar nur, weil er betrunken eine Kellertreppe hinunterstürzt. Grund genug für den Inselkommissar, die Sache als Unfall zu den Akten zu legen. Wären da nicht Svea und Fritjof, die den Todesfall gar nicht plausibel finden und auf eigene Faust beginnen zu recherchieren. Dabei machen sie eine Menge Leute scheu, treten auch den reichen Honoratioren gehörig auf die Füße, müssen aber auch bald feststellen, dass das Charisma des Pfarrers seine dunkle Seite hat. Auf einmal ist die gemütliche Insel gar nicht mehr so gemütlich. Und eigentlich sollte Svea ja ordentlich kuren – aber daraus wird nicht viel. Im Gegenteil, auf einmal landet sie in lauter durchaus brenzligen Situationen, macht so manche wilde Fahrt über die Inselstraßen mit und muss sich – genauso wie Fritjof – mehrfach korrigieren. Denn wer sich verdächtig verhält oder das falsche Alibi hat, muss nicht unbedingt der Täter sein. Auch dann nicht, wenn er – oder sie – genug gute Gründe hat, dem gnadenlosen Pfarrer Selbstgerecht ordentlich eins über die Rübe zu ziehen.

Man merkt: Die Autoren haben sich was gedacht, bevor sie sich an die Fabel setzten. Sie leben beide im Münsterland, sind Architektin und Theologieprofessor, lieben Krimis und haben sich gedacht: Krimis schreiben können wir auch. Wenn auch auf einer fiktiven Insel handelnd (die natürlich einer der schönen Nordseeinseln doch ein wenig ähnelt) mit einem durchaus ungewöhnlichen Personal, aber durchaus landläufigen Konflikten. Denn natürlich neigen Menschen, wenn sie das große Geld wittern, durchaus dazu, jegliches Gesetz zu übertreten. Wenn sie jahrelang von einem grimmigen Chef gepiesackt werden, natürlich auch. Aber die Dramatik in diesem Fall besteht darin, dass erstens beide Ermittlerduos – auch die beiden Inselpolizisten kommen letztlich nach einem zweiten mysteriösen Todesfall in die Gänge – versäumen, wirklich alle Verdächtigen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und verdächtig sind eine ganze Menge Leute. Aber augenscheinlich die falschen. Denn auch das müssen die vier Ermittler lernen bei ihrem Suchen in der Dunkelheit: Manchmal sehen gerade die finstersten Typen überhaupt nicht wie Ganoven aus. Im Gegenteil: Sie wirken wie Strahlemänner. Kennt man das irgendwie?

Irgendwie schon. Krimis wagen sich ja manchmal etwas zu thematisieren, was ansonsten im wohlanständigen Tagesgeschäft meist hinter Noblesse, Etikette oder blanker Show versteckt wird: dass der Mensch, der sich öffentlich so bieder gibt, oft genug ein ausgekochter Bösewicht ist, manchmal aber auch ein emotionales Wrack oder – wie es die Leser nach vielen aufregenden, verspielten, schönen, bunten Kapiteln erfahren – einfach ein Psychopath, der seine Vorstellung, wie andere Menschen zu funktionieren haben, in seinem Kopf trägt. Und gerade wenn es um menschliche Beziehungen geht, entstehen so erst die wahren Tragödien.

In diesem Fall geht es beinah schief. Matthias Claudius ist nicht schuld daran, auch wenn der Mond die erste Szene des Dramas beleuchtet. Aber die beiden Autoren beziehen sich in ihrer Anspielung eher nicht auf die ersten Zeilen des Gedichtes, die meistens alles sind, was der Mensch so kennt, sondern eher auf die dritte Strophe, wo es heißt: „Wir stolzen Menschenkinder / Sind eitel arme Sünder / Und wissen gar nicht viel …“

Das kann dann, wenn man erst mal merkt, was man in der ganzen Jagd nach dem Mörder übersehen hat, zu einer gewaltigen Schrecksekunde werden … erst recht, wenn die Insel im Lauf der Geschichte immer größer zu werden scheint und die Distanzen, die das klapprige Auto von Fritjof, dem Organisten, zurücklegen muss, immer größer werden.

Aber vielleicht schrumpft die Insel ja wieder für den nächsten Teil der Serie, den die beiden schon mal angekündigt haben. Den Titel haben sie schon, diesmal nicht von Claudius, sondern von Wilhelm Hey: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen?“ Die Frage ist nur: Muss wieder ein Seelsorger dran glauben in dunkler Nacht? – Das Leben als Pfarrer wird – zumindest in Krimis aus Deutschland- immer gefährlicher.

Andrea Timm; Christhard Lück Der Mond ist aufgegangen …, St. Benno Verlag, Leipzig 2016, 12,95 Euro.

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