Ein Klassiker ist wieder da. Mit „Jüdische Spuren in Leipzig“ hat Bernd-Lutz Lange natürlich einen Klassiker geschrieben und 1993 im Forum Verlag Leipzig veröffentlicht. Mit seiner Spurensuche zur jüdischen Vergangenheit hat er das Thema wieder ins Bewusstsein der Stadt zurückgeholt. Der aufgefrischte Titel passt natürlich gut ins Programm des Passage-Verlages.

Hier sind schon die Titel von Andrea Lorz zuhause: „Strebe vorwärts – Lebensbilder jüdischer Unternehmer in Leipzig“ oder „Schuhaus H. Nordheimer“, Ellen Bertrams „Menschen ohne Grabstein“, Elke Urbans “Jüdische Schulgeschichten“ oder Andrea Dilsner-Herfurths „Hedwig Burgheim“.

Es war wirklich viele Jahrzehnte fast völlig aus der Erinnerungskultur der Leipziger verschwunden, wie reich jüdisches Leben in Leipzig einmal war, bevor die Nationalsozialisten mit Boykott, Vertreibung und systematischem Morden begannen. Eigentlich könnte man einen noch viel dickeren Stadtführer draus machen, wenn man auch nur allen wichtigen Leipziger Persönlichkeiten, Unternehmern, Künstlern, Wissenschaftlern mit jüdischen Wurzeln auf die Spur kommen wollte. Aber das wäre dann schon ein Werk für Spezialisten.

Bis heute hat das Buch im Taschenformat seine wichtigste Botschaft behalten: Das Wesentliche ist zu entdecken. Und es ist unübersehbar, wenn man es wieder sehen will. Damals vor 23 Jahren oft genug in einem recht heruntergekommenen Zustand. Aber das Ringen engagierter Leipziger um eine würdevolle Erinnerung hatte ja schon vor 1989 begonnen. So entstanden die Gedenksteine an der Gottschedstraße und am Partheufer.

Andererseits wurde seitdem viel gebaut, saniert, kamen viele neue Mitglieder in die jüdische Gemeinde. An die 1938 zerstörte Synagoge erinnert heute eine eindrucksvolle Gedenkstätte. Es lag also auf der Hand, noch einmal nachzuschauen, was aus all den Orten der Erinnerung geworden ist – bei manchen steht auch heute noch das Wort „ehemalige“, weil sie nicht wieder für den einstigen Gebrauch hergestellt wurden, manchmal auch neue, wichtige Nutzungen erhalten haben. So, wie es der einstigen Israelitischen Schule ging, wo heute die Deutsche Zentralbücherei für Blinde ihre Heimstatt hat. Aus dem einstigen Israelitischen Altersheim wurde das als Kulturstätte genutzte Ariowitsch-Haus. Wer erinnert sich nicht daran, wie schwer sich einige Nachbarn taten, diese Nutzung zu akzeptieren?

Andere Gebäude in der Stadt erinnern an das florierende Wirtschaftsleben, in dem jüdische Unternehmer eine wesentliche Rolle spielten: das einstige Kaufhaus Bamberger am Augustusplatz genauso wie die Kroch-Siedlung in Gohlis (und natürlich das Kroch-Hochhaus an der Goethestraße) oder die Villa Ury (deren Besitzer einst das berühmte Kaufhaus Ury am Königsplatz betrieben).

Aber das Bändchen erinnert auch daran, dass Leipzig tatsächlich einen Nobelpreisträger hat, der sogar hier geboren wurde: Sir Bernard Katz. Was einen natürlich nachdenklich macht: Gibt es eigentlich schon das große Buch, das den Leipzigern erzählt, welche Rolle Intellektuelle mit jüdischen Wurzeln im geistigen Leben der Stadt vor 1933 spielten? In der Wissenschaft, der Medizin, der Musik, der Literatur?

Das Eitingon-Krankenhaus hat sich im Bewusstsein der Leipziger erhalten. Bei anderen Gebäuden ist die Geschichte neu zu erzählen, wie bei den Schussheimschen Wohn- und Altersheimen in Wahren. Ein Extra-Kapitel ist jenen Häusern gewidmet, in denen die Nazis einst die jüdischen Mitbürger der Stadt zusammenpferchten, bevor diese auf die Todestransporte verschickt wurde: die „Judenhäuser“. Reichen da eigentlich ein paar einfache Gänsefüßchen, um die Perfidie des nazistischen Vernichtungsprogramms und die verwendete Wortwahl zu beschreiben? Braucht das nicht langsam wieder viel deutlichere Zeichen in einer Zeit, in der neuer Hass und neue Ausgrenzung Furore zu machen scheinen?

Leipzig hat dieser Hass der Menschenfeinde immer geschadet – wirtschaftlich in einer Milliarden-Dimension. Und er hat die Stadtgesellschaft ärmer gemacht, über viele Jahre auch geistloser. Denn natürlich verengen sich die Dimensionen einer Stadt, wenn sie Mitbürger beginnt auszugrenzen. In Leipzig wusste man eigentlich, was man da zerstörte. Eine kleine Plastik am Alten Rathaus zeigt, dass die Stadtbürger sehr wohl um die Bedeutung der jüdischen Handelsleute wussten. Der Brühl war einst der Welthandelsplatz für Pelze. Doch nur wenige Inschriften an den Häusern erinnern daran, dass hier einmal das Zentrum der jüdischen Händler in Leipzig war – von Egon Erwin Kisch einst sehr lebendig geschildert.

Was man mit diesem von Bernd-Lutz Lange und Andrea Lorz auf den neuesten Stand gebrachten Buch bekommt, ist eine Art Topografie der wichtigsten jüdischen Lebens- und Wirkungsorte in Leipzigs Geschichte und Gegenwart, erweitert um die recht junge Geschichte der Stolpersteine, die nun auch vor den Wohnhäusern der einst Vertriebenen und Ermordeten an ihr Schicksal erinnern. Der Leipziger Synagogalchor wird gewürdigt und man erfährt, welche Quellen zur jüdischen Geschichte man in Leipziger Bibliotheken findet. Ein Personenregister deutet im Grunde nur an, wie viele Persönlichkeiten aus jüdischen Lebenswelten Leipzig prägten und prägen, selbst eine Auswahl von Straßennamen mit jüdischen Persönlichkeiten kann nur ein Ausschnitt sein. Und natürlich fehlt auch eine Zeittafel zur Geschichte nicht, denn die Geschichte der Juden in Leipzig ist zwar lang – aber auch immer wieder unterbrochen durch lange Phasen der Verfolgung, Vertreibung und Ausgrenzung.

Und wer die Texte zu den einzelnen geschilderten Orten liest, der merkt natürlich bald, dass es hier nicht nur um die Geschichte einer kleinen, abgesonderten Gruppe von Menschen geht, sondern um einen wesentlichen Teil Leipziger Selbstverständnisses als moderne und weltoffene Stadt. Die Wunden, die hier einer nur scheinbar durch ihren Glauben abgesonderten Gruppe geschlagen wurden, sind Wunden, die die ganze Stadt getroffen haben. Und die immer wieder aufreißen, wenn Hass und Überheblichkeit die Regie im politischen Alltag übernehmen. Dann leidet nie immer nur eine Minderheit und die Stadt wirft es immer weit zurück in die obrigkeitlich verordnete Provinzialität.

Bernd-Lutz Lange; Andrea Lorz Jüdische Spuren in Leipzig, Passage-Verlag, Leipzig 2016, 10 Euro.

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