LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 31Mainstream – wer von uns hat diesen Kampfbegriff nicht schon einmal gebraucht? In der Diskussion, um sich abzugrenzen von der vermeintlich falschen Ansicht, dem falschen Argument, der falschen Haltung. Gerade gegenwärtig ist eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft zu beobachten, eine Triplizität des Umgangs mit den großen Themen der Politik.
Die einen meinen, sie seien „das Volk“, fühlen sich benachteiligt und wissen nicht warum, die anderen sind es vielleicht und schauen sich nach Sachwaltern ihrer sozialen Interessen um; und dem Rest, dem geht es gut, der will, dass alles so bleibt, wie es ist. Ohne Geschrei und öffentliche Willensbekundungen. Oder gar Visionen für ein Land. Visionen hat Uwe Krüger auch keine aus dem Ärmel zu schütteln. Das ist auch nicht seine erstrangige Aufgabe.
Der 38-jährige Medienexperte und promovierte Journalist zeigt in seiner neuesten Analyse die Gründe für eine verfestigte Vertrauenskrise zwischen dem bezahlten, arrivierten und etablierten Nachrichtenjournalismus und dem Publikum, der Öffentlichkeit auf. Um es gleich vorweg zu schicken: Dieses Buch ist gut, es wird gebraucht. Auf 144 Seiten zeigt Krüger nach einer kurzen prototypischen Fallanalyse („Ukraine-Krise“) plus empirischer Erhebung, wie das Staatsschiff die vierte Gewalt als schnelles Beiboot an sich bindet. Oder sich eskortieren lässt. Und dabei ankern beide oftmals in seichten, flachen Gewässern. Krüger verweist auf die ursprüngliche Aufgabe des Journalisten in der funktionierenden Demokratie, warnt andererseits davor, das neue „Feindbild Journalist“ gefunden zu haben.
Die „Lügenpresse“ ist Teil unserer Gesellschaft, eines Teils von uns, der unter ständigem Optimierungszwang und damit Anpassungsdruck steht; „Distanzierte Nähe“, kritisch reflektierende Blicke auf die Schiffseigner – sprich: die regierenden Eliten unseres Landes – zu werfen, interessenbedingte „blinde Flecke“ der Mächtigen sehen … – all das ist Teil von wirklich aufgeklärt-investigativem Journalismus.
Und: „Wo Verantwortungsverschwörungen mit den Trägern politischer Macht bestehen, gilt es, sich daraus zu lösen und einen eigenständigen Diskurs über die gesellschaftlichen Probleme zu führen“, schreibt Krüger. Er benennt die Symptome einer mit den politischen oder vielmehr wirtschaftspolitischen Eliten des Landes verflochtenen journalistischen Meinungsmache, stellt Ursachen fest und – muss keine Vision aus dem Ärmel schütteln. Ursachen. Bisweilen kann deren Aufzählung bereits Teil der Lösung sein. Bei Krüger erhält man diesen Eindruck. Wahrnehmungsverzerrungen der öffentlich-rechtlichen Medien in der Russland-Berichterstattung, welche sich im Kern in einem engen „Meinungskorridor“ drängen – jeder von uns weiß, was gemeint war. Nichts ist zufällig, meint Krüger, denn die „Themen“ werden platziert, gesetzt, durch Verbindungen zu konspirativen Tagungspolitikerkreisen gesucht und gefunden.
„Die Symptome einer mit den wirtschaftspolitischen Eliten des Landes verflochtenen journalistischen Meinungsmache.“
Medien beobachten sich oftmals dabei selbst, wie Krüger bestätigt, und es entsteht ein „Mainstream“ an Meinungen. Wer abweicht, ist im PR-Geschäft tot. Verbindungen, Verflechtungen, Filz von Schreibern und Beschriebenen, von Machern und Mit-Machern beschädigen logischerweise den Glauben an eine Gewaltenteilung, an eine Kontrolle der Herrschenden durch eine unabhängige Gewalt. Dabei differenziert Krüger durchaus zwischen den soziokulturellen Milieus. Doch ist seine These nach dem Motto „Gleich und gleich gesellt sich gern“ – die medienpolitischen Verantwortungsträger zögen die eigene „Familie“ nach – empirisch haltbar und überhaupt relevant? Die Mittelschicht geht zur Mittelschicht und will solche sein. Ja, und was sagt uns das? Warum ist der (abhängige) Journalismus zum „Index der politischen Debatte“ verkommen? Warum schaut der schreibende, bloggende, twitternde „Meinungsmacher“ nicht hinter die Kulissen der Macht, sondern macht, was sie ihm vormacht?
Nicht nur als „Alpha-Journalist“, wie Krüger namhafte Redakteure namhafter Magazine nennt, recherchiert er immer weniger, übernimmt einen Diskursansatz, der vorgegeben ist. Muss er das? (An dieser Stelle hätte ich mir die Frage gewünscht: Arbeiten diese Vorgänge nicht gerade den Feinden der Demokratie zu und legitimieren scheinbar das Argument der „Lügenpresse“?)
Als „Verantwortungsverschwörung“ kritisiert Krüger das, der Journalist mit eigener Haltung sucht vielmehr auf dem schmalen Grat von staatlicher Loyalität und hinterfragender Mündigkeit die Balance. Fordert sie und sich dabei heraus. Nur geht das in besagter Verflechtung von eigenem Interesse, dem der Verantwortlichen des „Blattwerks“ und – nicht zu vergessen – dem der „Sponsoren“ überhaupt? Noch dazu in Konkurrenz zu virtuellen Nachrichtenquellen? „Früher berichtete man noch vor Ort. Heute reicht der Bericht vom Ort.“ So Krüger sinngemäß.
Sinkende Abonnentenzahlen und Werbeeinnahmen verschärfen die Lage. Mindestens 5.000 ausgebildete Journalisten warten schreibend auf einen festen Job. Ist es dann nicht verständlich, fragt Krüger, dass „für viele im journalistischen Fußvolk“ die Anspruchsschwelle ihrer Beiträge so hoch ist wie die einer Doku im Privatfernsehen? Das sind keine „Wahrnehmungsverzerrungen“. Das sind Tatsachen. Und: Wer möchte keine gesicherte Existenz und verbannt dafür ein „Copy-and-paste“- Denken aus seinem Handlungsmuster? Gibt sich Mühe, um es altmodisch zu sagen? Kann man das fordern? Krüger gibt sie sich. Abseits vom „Mainstream“ fordert kritische Aufklärung. Und zeigt Haltung dabei.
Uwe Krüger Mainstream, C.H. Beck München, 2016, 14,95 Euro.
Dieser Artikel erschien am 13.05.16 in der aktuellen Ausgabe 31 der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier zum Nachlesen für die Mitglieder in unserem Leserclub.
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