Zwischendurch mal nach Oldenburg? Schwierige Frage. Auch wenn man hier jenen Fürsten wiederbegegnet, die man jüngst erst in Eutin getroffen hat. Nur ist Eutin ein idyllisches Fleckchen gegen das umtriebige Oldenburg in Oldenburg, immerhin einstmals ein eigenständiger Freistaat, seit 1946 Teil von Niedersachsen. Seit 1973 Universitätsstadt.
Richtig Geld verdient hat man früher mit dem Weserzoll, als man mit Schifffahrt im Norden noch richtig Geld verdienen konnte. Die Stadt war mal Festung – davon ist nicht mehr viel zu sehen. Sie war Regierungssitz der Oldenburger Herzöge. Das prächtige Renaissanceschloss steht mitten in der Stadt. Man kann es auch besichtigen, was Steffi Böttger bei ihrer Tour durch die 161.000-Einwohner-Stadt auch gemacht hat.
Aber durch diese Stadt ist sie mit schmerzenden Augen gewandert. Das ist ihr auf den vielen anderen Stadterkundungen zuvor so nicht passiert. Das Hässlichste an Oldenburg muss der Platz am Bahnhof sein. Da ist sie nicht die Erste, die erschrocken war. So ging es schon Volker Strübing („Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr“). Und der kam immerhin aus Berlin. Das will schon was heißen.
Dabei wollten die Oldenburger ja eigentlich mal etwas richtig Gutes: 1967 richteten sie die allererste flächendeckende Fußgängerzone Deutschlands ein, machten die ganze Innenstadt zur Flaniermeile – eine Idee, die in Leipzig vor 20 Jahren auf empörtesten Widerstand stieß. Nur war 1967 noch nicht die Zeit gekommen, dass man begriffen hätte, dass Innenstädte vor allem durch ihre gewachsenen Baustrukturen leben. Und so ist Steffi Böttgers Spaziergang durch die Stadt, den sie am Schlossplatz beginnt, auch eine Gang durch Verluste. Noch in den 1960er Jahren wurde im Kern der alten Stadt so Manches abgerissen, was heute fehlt. An dessen Stelle entstand, was in so vielen westdeutschen Städten entstand: Eine Ansammlung klotziger Einkaufstempel und nüchterner Bürobauten.
Da hat sich Steffi Böttger beim Fotografieren lieber so hingestellt, dass sie diese tristen Dinger nicht mit ins Bild bekam, lieber jene Gebäude zeigt, die für das Besondere in Oldenburg stehen – das einzigartige Rathaus auf dreieckigem Grundriss zum Beispiel, Prinzenpalais und Augusteum. Da Oldenburg lange Zeit Landesresidenz war, finden sich hier natürlich opulente Sammlungen, die heute in eindrucksvollen großen Museen gezeigt werden.
Und mit dem eindrucksvollen Degodehaus darf sich der Wanderer auch an eine Zeit erinnern, als ganz Deutschland vom Dreißigjährigen Krieg verwüstet wurde. In diesem Fachwerkbau lebte damals Hermann Mylius, dem es als Diplomat im Dienst des Grafen Anton Günther gelang, Oldenburg aus allen kriegerischen Handlungen herauszuhalten. Vielleicht wird das Haus mal wieder zum Pilgerort, wenn auch die naivsten Zeitgenossen mitbekommen haben, dass die großen Herren unserer Zeit gerade wieder dabei sind, für neue Kriege zu rüsten. Man beginnt ja, wenn man herumreist im Land, so langsam zu zweifeln am Verstand der Mächtigen, Ohnmächtigen und Möchtegern-Allmächtigen. Irgendwie greifen die gewählten Narren doch immer wieder auf die alten Narrenrezepte zurück, zeigen nicht ansatzweise das Format eines Mylius – Diplomatie, so scheint es, ist heuer eine nirgends mehr gelehrte Kunst.
Vielleicht, weil man diese Kunst erst so richtig erlernt, wenn man sich auch fürs Oldenburger Nationalgericht begeistern kann: Grünkohl mit Pinkel.
Vielleicht braucht man dazu auch die Nähe zur See, ein kühleres, nordisches Herz. Dass die Oldenburger anders ticken als die südlicheren deutschen Raufbolde, wird auch am Namen der Universität sichtbar. Denn seit 1991 trägt sie den Namen „Carl von Ossietzky“. Der war zwar ein geborener Hamburger, aber schon als angehender Journalist kritisierte er den preußischen Militärstaat und erlebte schnell, dass die All-Mächtigen in Sachen Militär nicht mit sich spaßen ließen: Sie zitierten den kritischen Burschen vor Gericht, ganz so, wie sie es heute mit Whistleblowern tun. Hat sich da was geändert? Man zweifelt dran. Immer mehr.
Vielleicht sollte man all die Städte, die so nach und nach in der Stadtführer-Serie des Lehmstedt Verlags erkundet werden, besuchen, bevor die Knobelbecher wieder regieren im Land und jede Beleidigung des Militärs mit Zuchthaus bestraft wird.
Man trifft Carl von Ossietzky in Oldenburg zwar nicht, dafür den Dichter Julius Mosen und den Philosophen Carl Jaspers. Eben diesen Jaspers, der die moderne „Massengesellschaft“ kritisierte wie kein anderer und schon vor 60 Jahren die Weltfremdheit der regierenden Staatsmänner kritisierte. Und noch ein Querkopf ist in Oldenburg unübersehbar: der Künstler Horst Janssen, dem ein ganzes Museum gewidmet ist. Kurz bevor Steffi Böttger zum Bahnhof kommt, den sie lieber nicht als Endpunkt der Tour wählt. Die lässt sie lieber am Stadthafen ausklingen, der noch an einstiges geschäftiges Treiben erinnert, von wo man aber auch wochenends eine Rundfahrt buchen kann. Und wenn man dummerweise in der Woche angekommen ist, kann man sich ja mit Jaspers in den großen Schlossgarten setzen und nachdenken über das schöne Wörtchen Freiheit, die er auch in den so gern als frei gefeierten westlichen Gesellschaften arg vermisste. Denn wirkliche Freiheit entsteht nur, wenn der Mensch sich seiner Vernunft bedient. Er hätte Bissiges und Deutliches gesagt zu den Orgien der öffentlichen Verdummung, die heute wieder gefeiert werden.
Aber er hatte ja bekanntlich schon 1967 von Deutschland die Nase voll, von Deutschland und den alten deutschen Undemokraten. Da wurde er lieber auf seine alten Tage noch Schweizer und ließ sich auch lieber dort begraben. Die Oldenburger haben ihn trotzdem nicht ausgebürgert. Im Gegenteil: Er hat sein Denkmal dort, ein fast bescheidenes, wenn man es mit den bombastischen Versuchen vergleicht, in jüngerer Zeit irgendwelche „Freiheits-und-Einheits-Denkmäler“ in deutschen Landen zu bauen. Es lohnt sich also, nach Oldenburg zu fahren. Und zum Abschied setzt man sich einfach auf die Wallstraße vor den Coffeeshop und pfeift sich einen ordentlichen Pott Kaffee rein. Um munter zu bleiben, bevor man wieder in den abendlichen Osten zurück muss.
Steffi Böttger Oldenburg an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2016, 4,95 Euro.
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