Im ersten großen Buch über ihren großen Kräutergarten hatte „Kräuterhexe“ Grit Nitzsche noch angekündigt, sie würde ihre Wunderwaffe gegen die grassierende Schneckenplage einsetzen. Doch das hat sie dann doch nicht übers Herz gekriegt und geht lieber nachts mit der Taschenlampe los, um hunderte fresslustiger Schnecken einzusammeln.
Denn ihr Kräuterhof in Lossatal, einem Ortsteil von Falkenhain, ist natürlich ein leckeres Obst- und Gemüseangebot, das die Schnecken aus der ganzen Umgebung anzieht. Was macht man da, wenn man den Garten doch extra angelegt hat, um ihn wirklich rein biologisch zu betreiben? Ohne all die Chemiekeulen, mit denen anderswo die Ernten vor Schadbefall und Mitköstlern bewahrt werden?
Man lernt, probiert aus. Und findet sogar duftende Wege, den Schnecken die Mahlzeit zu vergrämen. Denn wie das so ist in der Natur: Die nächtlichen Fressgäste mögen zwar alle möglichen leckeren Sachen – aber es gibt auch Dinge und Düfte, die sie gar nicht mögen. Da wird dann auch mal ein aromatischer Sud angesetzt, um den Mitessern die Mahlzeit zu vergällen.
Eigentlich ist ja nur ein Jahr vergangen seit dem ersten großen Buch über den Kräuterhof in Falkenhain, der nicht nur mit Grit Nitzsches Auftritten im MDR einige Bekanntheit erlangt hat, sondern auch besucht werden kann. Wer hier einen Kurs bucht, der lernt ziemlich schnell, dass man aus so einem Garten eine Menge mehr essen kann als nur die dicken Früchte. Für die Autorin wurde der eigene Garten zu einer echten Lebensschule, denn da sie von Vornherein auf Chemiekeulen und andere künstliche Hilfsmittel verzichtete, war der Umgang mit diversen Kräutern, Gemüse- und Obstsorten immer auch ein Ausprobieren, Herantasten und Ratsuchen. Denn zum Glück gibt es noch immer Gärtner, die wissen, wie man mit möglichen Schädlingen, schwierigen Böden und komplizierten Nachbarschaften umgeht, ohne zu extremen Mitteln zu greifen, die wissen, wie man mulcht, kompostiert, Jauche ansetzt, wie man eigene Samen gewinnt und Geerntetes haltbar macht.
Alles Themen in diesem neuen Buch, in dem sich Grit Nitzsche einmal grundsätzlich mit dem Gemüseaspekt ihres Hofgartens beschäftigt. Teilweise war davon schon im ersten Buch die Rede. Manches aber wurde auch nur angedeutet. Und natürlich hat sich das Projekt weiterentwickelt, kamen neue Sorten hinzu – darunter viele alte heimische Gemüsesorten, die man so im Supermarkt schon lange nicht mehr findet. Mal ganz zu schweigen davon, dass sie dort aus einer industrialisierten Produktion stammen und schon längst nicht mehr so schmecken, wie das im eigenen Garten Gewachsene schmecken kann.
Da schaffen es manche Rüben, Erbsen oder Beeren nicht mal mehr in die Küche, werden uralte Kindheitserlebnisse wach, als man noch Gärten plünderte und in der Überfülle der Geschmacksintensität gar nicht mehr aufhören konnte mit Mausen. Was nicht heißt, dass nichts mehr in die Küche kommt. Im ersten Band hat man ja schon gelernt, dass an den meisten Gemüsen viel mehr essbar und lecker ist, als man für gewöhnlich in Topf und Pfanne tut. Vom Stengel bis zur Blüte. Und so heißt denn ein ganzes Kapitel, nachdem man sich mit Dauergemüsesorten (gibt es tatsächlich), Ungeziefer (nicht nur die verfressenen Schnecken), Düngen und Mulchen (Schluss mit Beetumgraben, das richtige Mulchen macht es überflüssig) beschäftigt hat, „Gemüsespeise komplett: Blätter von Gemüse zum Aufessen“.
Das ist dann eigentlich schon so langsam die Ouvertüre für den Hauptteil des Buches, in dem 27 Gemüsesorten näher vorgestellt werden – von der Herkunft über Anbaugeschichte, die gesundheitlichen Wirkungen bis hin zur Zubereitung und jeweils zwei, drei leckeren Rezepten samt Bild. Wer das Buch auf leeren Magen durchblättert, ist selber schuld. Oder hat in der Küche schon das Wichtigste liegen. Die Warnung zu medizinischen Wirkungen gibt’s natürlich auch vor dem Start, denn von Ratgeberbüchern, die die Gaben der Natur nur nach ihrer Heilkraft taxieren, hält Grit Nitzsche gar nichts. Denn wenn man anfängt, wichtige Nahrungselemente erst zu sich zu nehmen, wenn man schon krank ist, ist es zu spät (mal von einigen lindernden Tees und Umschlägen abgesehen). Denn normalerweise hält eine breit angelegte vegetarische Ernährung alle nötigen (Spuren-)Elemente bereit, die unser Körper braucht. Nicht weil die Natur auf unsere Bedürfnisse abgestimmt ist, sondern weil wir an die Angebote unserer natürlichen Umwelt angepasst sind und unser Körper von selbst weiß, was er jetzt dringend braucht. Denn genau darauf haben wir Appetit, werden aber von den Verführungen der Werbung meistens in völlig ungesunde, künstlich aufgepeppte Bereiche von Fertiggerichten gelenkt, die nur künstlich mit Aromen aufgedonnert sind, die eigentlich wichtigen Stoffe aber, nach denen unser Körper verlangt, oft gar nicht (mehr) enthalten.
Grit Nitzsche reißt das Thema kurz am Beispiel der Schokolade an. Womit sie natürlich zum langen, düsteren Winterkapitel kommt, wo uns in der Regel so ziemlich alles fehlt – von den frischen Vitaminen bis hin zum Sonnenlicht. Und so gibt es natürlich auch ein ordentliches Kapitel darüber, wie man sich Vorräte anlegt. Und zwar möglichst ohne Einkochen und Einfrieren, mit den einfachen Mitteln, die auch unsere Vorfahren nutzten, als sie Obst und Gemüse in Kellern und Vorratskammern über den Winter bringen mussten. Wenn man die richtigen Ratschläge beherzigt, funktioniert das. Höchstens ärgert sich der Großstädter, dass er keine Lagerräume hat. Aber auch Grit Nitzsche ist ja deswegen aus der großen Stadt ins ländliche Falkenhain gezogen.
Es gibt also durchaus gute Gründe, ein Leben in ländlichen Räumen zu wählen und dort uralte Daseinsqualitäten neu für sich zu entdecken. Nebst der ganzen Vielfalt von Gemüsesorten, die noch zu Urgroßmutters Zeiten in einem ordentlichen Bauerngarten nicht fehlten und auch dann da waren, wenn sich arme Schlucker andere Lebensmittel (beim Fleisch angefangen) nicht mehr leisten konnten.
Und so kommt selbst die legendäre Kohlrübe wieder zu Ehren, die Pastinake genauso wie Mangold, Buchweizen, Ampfer und Guter Heinrich. Man fragt sich beim Blättern eher, wo das alles in einem Garten unterkommt. Aber das erzählt die Autorin natürlich auch. Manchmal stehen die Pflanzen, wenn sie sich gut vertragen, hübsch beieinander, manchmal hängen sie auch prächtig und krumm im Gewächshaus herum. Der Garten sieht dann zwar wild aus und nicht so ordentlich wie bei anderen Leuten. Aber wenn man weiß, welche Behandlung und welche Bedingungen jede Pflanze braucht, wird so ein Garten wie zu einem dicken Lesebuch, voller Geschichten, Erfahrungen und Überraschungen. Manches wird noch ausprobiert, anderes auch mal bewusst „vergessen“. Und natürlich erzählt so ein Hofgarten dann von einem Reichtum, der uns in unserer technisierten Welt abhanden zu kommen droht – nebst dem alten Wissen um die Vielfalt und die Gesundheit einer wirklich naturnahen Ernährung. Manches, was einst als Arme-Leute-Gemüse galt, wird so zur neu entdeckten Kostbarkeit.
Und das in einer Zeit, in der sich gerade die Armen mit ihren Einkommen kaum noch gesund versorgen können. Grit Nitzsche spricht schon von einer Gegenbewegung. Und wahrscheinlich hat sie Recht. Denn um aus der Abhängigkeit der großen Nahrungskonzerne zu kommen, braucht es wieder das eigene Wissen um das Wachsen und Gedeihen unserer Nahrung. Es ist ein gewaltiges Wissensrepertoire, das hier nun nicht mehr brach liegt, sondern so nach und nach zurückgewonnen wird. Oft auch als mutiges Experiment mit immer neuen Kandidaten aus verloren geglaubten Welten. Und dann zeigen Steckrübeneintopf oder eine orange-grüne Möhrensuppe, was eigentlich wirklich wohltuende Küchenabenteuer sind.
Grit Nitzsche Mein geheimnisvoller Gemüsegarten, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2016, 16,95 Euro.
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