2016, das ist Shakespeare-Jahr. Am 23. April 1616 ist der berühmte Dichter und Dramenautor in Statford-upon-Avon gestorben. Und bis heute werden seine Dramen um Könige, Verschwörer, Verliebte und Betörte auf den Bühnen gespielt. „Romeo und Julia“ kennt jeder, „Hamlet“, „Macbeth“ und „König Lear“ sowieso. Aber war er eigentlich ein Liebes-Dichter?

Klar war er das. Seine Sonette handeln von fast nichts anderem. Und in seinen großen Lustspielen „Ein Sommernachtstraum“, „Der Widerspenstigen Zähmung“, „Viel Lärm um nichts“ oder „Ende gut, alles gut“ geht es eigentlich auch nur um Liebe, Tändelei, Verwirrung und Verführung. Alles hübsch durcheinander, damit es spannend bleibt bis zum Schluss und Zuschauer und Schauspieler ihren Spaß haben. Und da sich alle eifrig Mühe geben, das Ding zu erklären, das sich eigentlich nicht erklären lässt, hat Karen Lark natürlich ein riesengroßes Arsenal von möglichen Zitaten, in denen sich alles um Liebe dreht. Von kurz bis lang, von höfisch bis romantisch.

Auch so kann man ganz beiläufig sichtbar machen, dass diese Stücke zuallererst für den theaterverliebten englischen Hof gedacht waren, den Shakespeare natürlich kannte, egal, ob als geheimnisvoller Aristokrat, der den Namen als bildstarkes Pseudonym benutzte, oder als echter Shakespeare, der Mitglied der berühmten Theatertruppe The King’s Men war. Da sollte man wohl wissen, was am Hof akzeptiert wird und was nicht.

Natürlich streiten sich die Wissenschaftler bis heute. Eine Version ist so faszinierend wie die andere.

Nur eines bleibt: Egal, ob Aristokrat oder Schauspieler – in diesem Shakespeare steckte ein Genie, das immer selten ist. Und dazu gehört auch, ein Publikum mit verwirrend wilden Damen zu ganzen Orgien des Lachens zu verleiten, selbst dann, wenn sich vor aller Augen eigentlich eine Tragödie entwickelte. Oder umgekehrt. Denn eigentlich sind sowohl „Othello“ als auch „Romeo und Julia“ auf den Kopf gestellte Komödien, in denen die ganze Narretei menschlicher Leidenschaften gezeigt wird – nur endet es für die Hauptdarsteller tödlich. Und Generationen von Zuschauern fühlen sich gemeint und betroffen, weil sie das alles auch schon einmal selbst erlebt haben. Am eigenen Leib, in ähnlicher Verzückung, Verblendung, wildem Überschwang.

Natürlich fällt auf, dass sich die Herausgeberin vor allem auf die großen „Liebesdramen“, Lustspiele und Sonette beschränkt hat, die großen Historiendramen lieber außen vor gelassen hat, obwohl es auch dort rührende Liebesszenen gibt. Auch wenn dort weniger das Tändeln, Hoffen und Umwerben im Mittelpunkt steht, sondern das tragische Verstricktsein. Frauen werden dort als Königinnen, Königsmütter, Prinzessinnen zum Spielball der Politik, müssen gerade in den großen Königsdramen hilflos zusehen, wie ihre Kinder, Geliebten, Väter ermordet werden. Kaum etwas hat eine derart große Wucht und Verzweiflung wie die langen Trauerklagen der Frauen in diesen Shakespeare-Dramen. Liebe ist immer ganz großes Drama. Erst recht, wenn sie derart brutal zerstört wird im Machtgerangel der Männer, seltener der Frauen. Aber man kennt ja auch die von Machtgelüsten getränkte Liebe der Lady MacBeth. Shakespeares Botschaft ist eigentlich ziemlich eingängig: Wenn Politik ins Spiel kommt, wird jede menschliche Regung korrumpiert.

Oder das Irrationale der Leidenschaft verändert auch Politik ins Irrationale. Oder beides begegnet sich – wie in Verona – in unvereinbarer Radikalität.

Aber – und das wird in den von Karen Lark ausgewählten Sprüchen und Versen deutlich – Liebe selbst schwelgt geradezu in Übersteigerung, Überhöhung. Und hier ist Shakespeare natürlich ganz und gar barocker Dichter, der das Spiel mit den Worten aufs Genaueste beherrschte. Manche Liebes-Dialoge sind eigentlich zugeschliffene Wort-Fechtereien zwischen zwei Liebenden, die es einander unbedingt sagen wollen, aber sich hüten, die Sache selbst zu benennen. Dadurch entstehen natürlich beeindruckende Bilder, manche ironisch, manche mit schwelgerischer Liebe zum Übertreiben. Aber für Shakespeares Zeit galt ja auch: So ein Gefühl konnte man gar nicht genug übertreiben. Die vollkommene Blamage aber immer mit eingeschlossen. Liebe als Glutfeuer und als verbrennende Eifersucht, am Ende auch „Verrückt vor Liebe“. Da entdeckt sich heute noch so mancher wieder in Shakespeares Versen – und nicht immer in denen, in denen er gern gelandet wäre. Die Lust am barocken Verwirrspiel ist zwar verschwunden. Die Leiden und Leidenschaften, die den Stoff dazu hergaben, sind es nicht. Im Gegenteil: Noch heute schinden Regisseure daraus abendfüllende Filme – gern mit tragischem Ausgang. Denn kein Gefühl entfaltet so viele Emotionen wie der Untergang einer Liebe.

Shakespeare kannte das alles. In diesem Bändchen ist nur ein kleiner Teil seines Liebes-Kosmos zitiert, der romantische und verspielte. Fürs große Drama muss man halt doch ins Theater gehen. Oder lässt sich auf eine Tändelei ein. Man weiß ja, wie das ist mit den Julias oder den Romeos. Und oft genug merkt man gar nicht, wie aus der Liebe Zauberglanz auf einmal ein Drama auf Leben und Tod geworden ist. Und trotzdem funktioniert das immer wieder, Generation um Generation. „Glaub, Lieber, mir, es war die Nachtigall.“

Natürlich. Der Vorhang hebe sich. Und was nicht aufzuhalten ist, das nehme seinen Lauf …

Karen Lark (Hrsg.): Shakespeare für Verliebte, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2016, 5 Euro.

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