An der spannendsten Stelle hört es auf. Könnte man sagen. Aber im Grunde ist dieser Comic aus der Werkstatt von Jaromir 99 auch so etwas wie eine Ouvertüre für ein ganzes Projekt „Zátopek 2016“. 2016 sind ja bekanntlich wieder Olympische Spiele. Und Emil Zátopek ist bis heute einer der berühmtesten Sieger dieser Spiele. Logisch, dass die Tschechen auf den Burschen richtig stolz sind. Und zwar nicht nur wegen der Lauferei.
Denn – und das kann rein chronologisch nicht in diesem Buch stehen – Emil Zátopek war auch einer der namhaften Akteure des Prager Frühlings. In der Uniform eines Offiziers der tschechoslowakischen Armee, der er war, sprang er auf einen sowjetischen Panzer und forderte die Soldaten auf, wieder nach Hause zu fahren. Vorher schon hatte er das „Manifest der 2000 Worte“ unterzeichnet. Später wurde er zur Strafe in ein Uranbergwerk zur Strafarbeit geschickt, war dann als Müllmann tätig, bevor er 1974 rehabilitiert wurde.
Man liest das alles auf Wikipedia. Und überlegt: Hätte es das auch in der DDR geben können? Einen weltberühmten Sportler, der sich für Reformen im Land eingesetzt hätte? Und der dann – trotz Strafe – dennoch wieder rehabilitiert worden wäre?
Da war eine ganze Menge anders im einstigen „Bruderland“ im Süden der DDR. Auch wenn Vieles vertraut wirkt, beklemmend vertraut. Denn als die Kommunisten 1946 die Macht in der CSSR übernahmen, benahmen sie sich nicht anders als ihre Genossen im Norden. Was auch Emil Zátopek zu spüren bekam. Denn 1948 wurde sein Trainer Jan Haluza verhaftet und in einem Schauprozess zu sechs Jahren Zwangsarbeit in den Uranbergwerken von Jáchymov verurteilt. Schon vor dem 2. Weltkrieg hatte Haluza den jungen Zátopek zu einem Weltklasseläufer aufgebaut. Die Erfolge des 26-jährigen Zátopek bei den ersten Nachkriegsspielen in London kamen also nicht von ungefähr.
Dabei fing 1922 alles ganz beschaulich in der kleinen Stadt Kopřivnice an, wo der kleine Emil wie wild durch die Straßen wetzte, um für ein paar lauffaule Erwachsene Schinken zu holen. Als junger Mann landete er dann in Zlin in der Schuhfabrik von Tomáš Baťa. Ein paar Jahre lang hieß Zlin dann Gottwaldov, nach jenem Hardliner Klement Gottwald, der die Nachkriegs-CSSR auf stalinschen Kurs brachte. Das haben die Tschechen wohl auch nicht vergessen, also lassen es Jan Novák und Jaromir 99 einfach weg, wenn sie von Emil Zátopeks Weg zum Sport erzählen. Der nicht leicht war. Denn Sport treiben konnte er nur neben der Arbeit bei Baťa. Und der scheint – wenn man die Bilder von Jaromir 99 so betrachtet – ein rechter Kapitalist gewesen zu sein, wie man ihn sich vorstellt.
So einer, wie es sie auch nördlich gab – in Sachsen und anderswo. Was verblüfft bei den Bildern dieses Jaromir 99, ist diese Vertrautheit. Das war schon in den dicken „Alois Nebel“-Bänden so: Die Atmosphäre, die Heimeligkeit, die Mentalität dieser Geschichten erinnern nur allzu sehr an die Atmosphäre, wie man sie auch in der südostdeutschen Provinz erlebt – das traute Provinzielle geht Hand in Hand mit einem stillen, manchmal bissigem Humor und unbedingtem Arbeitsfleiß. So eine Type wie Zátopek hätte es auch im Osten Deutschlands geben können. Nur 1948 noch nicht. Da durften die Deutschen allesamt noch nicht wieder mitspielen. London wurde zur ersten Sternstunde für Emil Zátopek. Und dann hörten die Triumphe und Rekorde einfach nicht mehr auf. In Helsinki 1952 wurde er sogar dreifacher Olympiasieger.
Es hätte durchaus ein furioser Comic über einen Sportler werden können, der einfach immer weitermacht und sich von niemandem aufhalten lässt. Aber das ist es zum Glück nicht geblieben. Auch wenn der Autor der Story diesmal nicht Jaroslav Rudis heißt, sondern Jan Novák. Aber nach den Spielen von London bleibt auch ihm nichts anderes übrig, als die zunehmende Distanz des erfolgreichen Sportlers zu den machtbesessenen Funktionären sichtbar zu machen. Nicht nur seine Liebe zur Speerwerferin Dana Ingrova wird zum moralischen Problem für die Parteiwächter, später versuchen sie auch am talentierten Trainingskameraden Zátopeks, Stanislav Jungwirth, ein Exempel zu statuieren. Doch da spielt Emil nicht mehr mit, sorgt beinah für einen Eklat für die selbstgerechten Bonzen – und holt dann trotzdem den Dreifach-Triumph von Helsinki.
Es ist also eigentlich alles angelegt, was später im Leben des von den Tschechen gefeierten Emil Zátopek motivisch immer wieder auftauchen sollte. Mitsamt der atmosphärischen gesellschaftlichen Kulisse dieser Zeit. Die durchaus auch immer wieder ihre düsteren, beklemmenden Momente hat. Hätte dieser Bursche nicht auch noch den Marathon gewonnen (den er in Helsinki tatsächlich zum ersten Mal lief), wer weiß, was die Funktionäre mit Zátopek gemacht hätten. So aber wurde er zu einem Helden in einem Land, das im Jahr 1968 erstaunlich viele starke Charaktere hatte, die bereit waren, einen völlig neuen Weg – ohne die alten Stalinisten – zu gehen. Aber gegen die sowjetischen Panzer kamen sie nicht an. Erst 1989 erfüllte sich ihr Traum – wenn auch völlig anders, als gedacht.
Verständlich, dass der Name allein heute noch einen Klang hat. Auch weil er für einen Sport steht, wie er heute kaum noch denkbar ist, wo nun seit Jahren gedopte Sportler die großen Wettkämpfe dominieren und ruinieren und diejenigen Sportler, die sich im harten Training einfach immer nur geschunden haben, um zu den Besten aufzuschließen, ohne Glanz und Gloria bleiben. Das sehen auch die Sportjournalisten so, die Zátopek 2013 zum „größten Läufer aller Zeiten“ gewählt haben.
Mit dem Sieg in Helsinki endet dieses Buch natürlich im Moment des größten Triumphes. Ein Mann, der sich zu immer besseren Leistungen geschunden hat, war ganz oben angelangt. Trotz all der Widrigkeiten, die sein Heimatland in den zehn Jahren davor gebeutelt hatten und weiter beuteln sollten. Sport- und Zeitgeschichte fließen ineinander. Und der Held der Geschichte hätte durchaus einer der vielen willfährigen Stars werden können, die sich den Mächtigen andienten. Aber schon die Jungwirth-Geschichte zeigt, dass dieser Zátopek nicht alles mit sich machen lässt und für Dinge, die er für wichtig erachtet, bereit ist, sich einzusetzen. Natürlich auch für seine Liebe. Denn wohin kommen wir, wenn uns die Narren in den Ämtern vorschreiben, was opportun und erwünscht ist und was verboten? Natürlich: wieder in so triste Zustände, in denen Parolen an heruntergewirtschafteten Fabriken prangen, aufrechte Männer in Bergwerken schuften und die Bonzen sich den Reichtum der Gesellschaft aneignen.
Ist das so weit weg?
Bestimmt nicht. Die Typen gibt es alle noch. Sie hängen ihr Mäntelchen in den Wind und spielen auch mal Demonstrant, wenn’s sein muss. Das ist da unten in Tschechien nicht anders als hier oben in Sachsen. Oder umgekehrt. Auch deshalb feiern die tapferen Tschechen ihren Zátopek. Den unermüdlichen, der sich lieber selber schindete, um besser zu werden. Gewissermaßen auch ein Mutmacher für alle, die sich nicht kleinkriegen lassen wollen von den Bonzen und Funktionären und Absahnern ihrer Zeit.
Jan Novák, Jaromír Švejdík, Zátopek, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 24,90 Euro.
Erscheinungstag ist der 29. März.
Keine Kommentare bisher