Es ist schon ein echter Brocken, den sich der einstige MDR-Figaro-Mann Michael Hametner da vorgenommen hat: Kรผnstler im Lauf von ausgedehnten Interview-Serien zu portrรคtieren. Mit Sighard Gille hat er es schon gemacht. 2015 hat er mal bei Matthias Weischer angerufen. Der lud ihn dann tatsรคchlich ein zu 15 Gesprรคchsrunden in seinem Atelier an der Baumwollspinnerei.
Er gehรถrt zu den bekanntesten Vertretern der Neuen Leipziger Schule, einem Label, das seit zehn Jahren nicht nur im Feuilleton allgegenwรคrtig ist, sondern auch Galeristen verzaubert. Dabei fing das alles mal mit einer gewaltigen Krise an der Hochschule fรผr Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig an: In den 1990er Jahren drohte der Malerklasse dort die Degradierung bis zur Bedeutungslosigkeit. Es fanden regelrechte Schlachten statt um den Erhalt dieser scheinbar vรถllig รผberholten Kunstmacherei mit Pinsel und Palette und die neue Dominanz der neuen Medien. Die HGB stand tatsรคchlich kurz davor, ihr wichtigstes Aushรคngeschild zu verlieren, denn die anspruchsvolle Malerausbildung gehรถrte hier seit 30 Jahren zum Wesenskern. Mit ihrer Betonung der klassischen, gegenstรคndlichen Malerei feierten einst Leute wie Heisig, Mattheuer und Tรผbke in den 1970er Jahren Furore โ auch im Westen, wo fรผr sie der Begriff der โLeipziger Schuleโ geprรคgt wurde und spรคter auch auf ihre Schรผler angewendet wurde.
Das galt dann Mitte der 1990er Jahre auf einmal fรผr รผberholt. Neue Besen kehren gut, sagt man ja gern. Neues Leitungspersonal wollte die HGB einfach komplett entkernen (seinerzeit ja auch in der Sanierung der Leipziger Denkmale eine beliebte Methode) und dann frisch mit den gerade modernen neuen Kunst-Formen fรผllen. Mittendrin dann ein Mann, der auf stille, beharrliche Weise fรผr den Erhalt der Malerklasse kรคmpfte: Neo Rauch. Mit Erfolg, wie man weiร, auch wenn er nach den wildesten Schlachten doch lieber auf die Professur verzichtete. Aber junge Kรผnstler wie der im westfรคlischen Elte geborene Matthias Weischer kamen so mit einer hohen Schule der strengen Malerausbildung und des gegenstรคndlichen Denkens in Kontakt, die bis heute wirkt.
Das braucht nicht immer groรe Preise, um den Durchbruch zum Erfolg zu schaffen. Aber oft helfen die โ wie auch bei Weischer der Kunstpreis der LVZ. Denn natรผrlich schaffen sie die Aufmerksamkeit in einem Markt, der in den letzten 15 Jahren immer weiter รผberhitzt ist. Das wird in einem Nebensatz auch erwรคhnt, denn Weischer arbeitet zwar ein bisschen abgeschieden in der Leipziger Kunststadt โ aber mit den Mechanismen, wie Vermarktung funktioniert, hat er sich seit seinen Absolvententagen recht intensiv beschรคftigt โ so wie etliche andere seiner Kollegen aus dem kurzzeitigen Projekt Produzentengalerie LIGA in Berlin auch.
Das waren auch im Gille-Buch die spannenderen Stellen, ging es mal um Dinge, รผber die im Kunst-Feuilleton eher seltener geredet wird โ um die Funktion des Marktes, Preisbildungen, die Arbeit von Galeristen und die Fรคhigkeit der Kรผnstler, damit umzugehen. Denn natรผrlich kann der Medienrummel um einen Verkaufserfolg auch negativ durchschlagen โ die kรผnstlerische Arbeit vรถllig blockieren oder den Kรผnstler in Sackgassen fรผhren. Malt man eigentlich fรผr den Markt oder fรผr ein imaginรคres Publikum? Oder muss man sich โ so wie Weischer โ fast mรถnchisch in die Arbeit knien und den Leinwรคnden etwas abringen, was mit dem letzten Pinselstrich tatsรคchlich zu etwas Rundem wird? Und an wem misst man sich?
Gelten dieselben Regeln wie in der Literatur? Irgendwie kann Hametner ja nicht anders. Jahrelang hat er das โLese-Cafรฉโ bei MDR Figaro gemacht, einen Literatur-Talk, hat versucht, den Motiven und Arbeitsweisen von Autoren auf die Schliche zu kommen. Auch da schon kam die sanfte Angepasstheit der Autoren zur Sprache, die gelernt haben, solche Auftritte als Werbung fรผrs eigene Buch zu verstehen โ da bleibt man friedlich, antwortet gesittet und lรคsst mรถglichst keine Emotionen gucken.
Warum sollte es bei Malern anders sein?
Was Hametner gelingt, ist natรผrlich, dass er Weischers Art, seine Bildwelten zu schaffen, recht nahe kommt. Einkreisend, vortastend, immer wieder neu ansetzend. Die Geduld des befragten Kรผnstlers ist bemerkenswert. Nur gegen Ende zu merkt man, dass er dann doch auf einige Fragen, die augenscheinlich in immer neuen Formulierungen immer wieder kommen, kรผrzer und knapper antwortet. Irgendwann fรคllt auch einem fleiรigen Maler nichts mehr ein, wenn er immer neu mit den Berรผhmten seiner Zunft verglichen wird und sich irgendwie positionieren soll.
Und dabei hat dieser Weischer tatsรคchlich etwas zu sagen, etwas, was man so im vom Genie besessenen Kunst-Feuilleton eher selten bis nie findet. Darauf kommen die beiden im elften Gesprรคch, das Hametner mit der Frage nach dem Zweck kรผnstlerischen Tuns einleitet, und das dann ziemlich folgerichtig bei Stichworten wie Chaos und Ordnung landet und dem Sinn von Kunst รผberhaupt. Und es ist Weischer, der dabei auf die Kunstzerstรถrung der selbsternannten Gotteskrieger in Palmyra zu sprechen kommt und den eigentlichen Grund fรผr diese systematische Zerstรถrung von Kultur. Und damit sprengt er eigentlich den engen Pfad der Gesprรคche und erklรคrt, warum die freien Gesellschaften des Westens nicht nur den groรen Kunstkanon der Weltgeschichte brauchen, um sich immer wieder ihrer selbst zu vergewissern, sondern auch den freien Kunstmarkt.
โMalerei und Kรผnste sind immer ein Gradmesser fรผr die Freiheit einer Gesellschaft. Gesellschaften, die die Freiheit der Kunst einschrรคnken, haben keine Perspektive, weil sie nicht auf Verรคnderungen eingestellt sind.โ
Oder Verรคnderungen auch nicht aushalten. Darum geht es ja in Diktaturen immer: Sie versuchen, tabula rasa zu machen und damit auch alle Maรstรคbe zu vernichten fรผr Verรคnderung, Fortschritt, Alternativen. Sie machen sich selbst zum Nonplusultra und sind im Grunde im Moment ihrer absoluten Herrschaft schon tot.
โWelche Gesellschaft will so leben! Welche Gesellschaft kann so leben!โ, sagt Weischer. Und erklรคrt Hametner dann, was auch in der heutigen Diskussion des Westens immer wieder vergessen wird: Malerei und Kunst sind fester Bestandteil der Zivilisation. Sie machen den Reichtum aus, auf dem Zivilisation aufbaut โ genauso wie das sich mehrende Wissen der Ingenieure.
โIch glaube, dass gerade Bilder fรผr das Gedรคchtnis ungeheuer wichtig sind. Ich glaube, wenn es das Gedรคchtnis nicht gรคbe, kรถnnte es kein Bild davon geben, was kommt.โ
Und das in heutigen Debatten รผber den Preis von Kultur.
Im zwรถlften Gesprรคch berรผhren die beiden das Thema noch einmal kurz. Es ist die spannendste Stelle im Buch. Gerade weil hier Elementares zur Sprache kommt und eben nicht versucht wird, die Arbeit des Kรผnstlers zu ergrรผnden. Die kann man tatsรคchlich nur einkreisen. Am Ende passiert beim Malen eben doch viel mehr, als man mit Worten beschreiben kann. Was gut so ist. Denn nur so darf auch der Betrachter dann ab und zu auf schรถnste Weise frappiert sein โ nicht nur รผber die technische Finesse des Bildes, sondern auch รผber Bildlรถsungen, auf die er selbst nie gekommen wรคre und die trotzdem beeindrucken.
Der Band ist reich bestรผckt mit Reproduktionen von Bildern des Kรผnstlers, insbesondere jenen, รผber die stellenweise recht ausfรผhrlich gesprochen wird. Da erlebt man dann auch beim Lesen, dass auch der so akribisch vorbereitete Interviewer wohl aus einem vรถllig anderen Erfahrungsschatz und Bildrepertoire heraus geguckt haben muss. Nicht nur wenn zwei Maler ein Motiv malen, kommen zwei vรถllig unterschiedliche Bilder heraus. Auch wenn zwei Betrachter ein Bild sehen, sehen sie es mit vรถllig unterschiedlichen Augen. Man versteht sehr gut, warum Weischer รถfter betont, dass das allein Hametners Interpretationen sind, wenn der fragt und nachhakt und wissen will.
Aber so geht es eigentlich immer: Jeder sieht nur, was er gelernt hat zu sehen. (รbrigens auch so ein Aspekt zu den Kulturzerstรถrern der Vergangenheit und der Gegenwart: Sie halten Vielfalt und Komplexitรคt fรผr etwas nicht Auszuhaltendes. Aber das wird im Buch nicht thematisiert.) Und wer nicht geรผbt ist, die reichen Motive unserer Kultur zu erkennen, der fรผhlt sich natรผrlich auch nicht zu Hause in einer Welt der Bilder und Geschichten, die nun einmal unsere Zivilisation ausmachen. Der neigt dann fast zwangslรคufig zu radikalen, vereinfachenden und fundamentalistischen Weltauslegungen. Und zu Bilderzerstรถrung und Bรผcherverbrennung.
Da ahnt man schon, warum Weischer so hartnรคckig mit verschiedensten Perspektiven, Details und mit Hintergrรผndigkeiten spielt, die dazu einladen, etwas lรคnger vor seinen Bildern stehen zu bleiben. Die fertigen Antworten haben im Grunde tatsรคchlich nur immer die, die die Welt als simple Schwarz-Weiร-Schablone betrachten.
So verstecken sich die eigentlich schรถnen Abschweife in den Gesprรคchen 11 und 12, obwohl sie eigentlich der Beginn von Allem sind. Auch fรผr die Hartnรคckigkeit, mit der Weischer seinen Weg sucht und sich hinarbeitet auf Figuren, die irgendwann einmal seine eindrucksvollen Ecken und Bรผhnen betreten werden.
Michael Hametner Auf der Bรผhne, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2016, 24,95 Euro.
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