Manchmal geht es einfach darum, die Geschichten so zu erzählen, wie sie passieren. Ohne Skandal. Ohne Zeigefinger. Aus der Perspektive von Rahaf und ihrem Bruder Hassan, zwei Kindern aus Homs. Einer Stadt, die einmal geschätzte 800.000 Einwohner hatte, in Ostsyrien liegt und 2011 Hochburg des Protestes gegen den Diktator Baschar al-Assad war. Erst schickte er Panzer, später ging er mit Flak und Bomben gegen die Stadt vor.

So lange schon dauert der Bürgerkrieg in Syrien. Den die meisten Deutschen völlig ignorierten. Bis zu jenem Sommer 2015, als Angela Merkel ihren Satz sagte: „Wir schaffen das.“

Denn da kamen jene Flüchtlinge, die 2012, 2013, 2014 aufgebrochen waren, weil sich ihre Städte in Schutt verwandelt hatten, endlich in Mitteleuropa an, gab es die aufwühlenden Bilder aus Ungarn und in der Bundesregierung die Erkenntnis, dass man das Thema nicht mehr ignorieren konnte, dass man endlich handeln und helfen musste. Mehr hat ja Angela Merkel damals nicht signalisiert. Und es wirkte wie eine Botschaft aus einem wunderbaren Land auf all jene, die da schon unter zum Teil miserabelsten Bedingungen in Flüchtlingslagern in der Türkei gelebt haben. Von dort sind die meisten aufgebrochen, die seit Sommer 2015 bei uns ankommen.

Aber das ist nicht Kirsten Boies Geschichte. Die bekannte Kinderbuchautorin erzählt die Geschichte einer Familie aus Homs, die schon viel früher aufgebrochen ist. Zwei Jahre früher, also ungefähr in der Zeit, als Assad das Bombardement auf Homs forcierte. (Und weit vor dem Eingreifen der Russen, die Assad beim Bombardieren seit einem halben Jahr unterstützen.) Die kleine Familie von Rahaf und Hassan wählte die damals noch meist genutzte Route über Ägypten, das Mittelmeer und Italien.

Aber die Geschichte fängt natürlich in Homs an. Und Kirsten Boie muss gar keine Tricks oder Effekte anwenden, um den Alltag der Kinder zu beschreiben in einer eben noch voll funktionsfähigen Stadt – mit vielen Verwandten, Cousins und Cousinen ringsum, mit dem Schulbesuch, den Freuden des Alltags und den beginnenden Flugzeugangriffen, die nach und nach Teile der Stadt zerstörten und die Angst allgegenwärtig machten vor den Angriffen aus der Luft. Irgendwann entschließen sich die Eltern der Kinder, der drohenden Katastrophe zu entfliehen und den Weg übers Mittelmeer zu wagen. Damals – und das ist ja nun wirklich erst zwei, drei Jahre her – dominierten die Bilder von halb verdursteten Flüchtlingen, die es geschafft hatten, die italienische Küste zu erreichen, die deutschen Medien. Aber parallel gab es damals auch schon die vielen Berichte über ertrunkene Flüchtlinge, ganze Boote, die gekentert waren mit Dutzenden oder Hunderten Toten.

Das hätte auch dieser kleinen syrischen Familie passieren können, denn mit genau so einem mit Menschen vollgestopften Boot – ohne ihre letzten Habseligkeiten, ohne Proviant – sind sie unterwegs gewesen. Und erzählen kann Kirsen Boie die Geschichte natürlich nur, weil es die kleine Familie am Ende geschafft hat nach Deutschland. Mit erhellenden Momenten noch auf der letzten Etappe im Zug, als eine verbitterte Mitreisende ihre Bosheit laut werden lässt. Das könnte durchaus Deutschland sein. Aber sie erleben auch den Schaffner im Zug, der Verständnis zeigt, die schwierige Ankunft in Erstaufnahmeeinrichtung und erster Containerunterkunft. Und dann die ersten schweren Wochen, in der Rahaf die Schule besucht und noch kein einziges Wort Deutsch kann. Auch das so ein Moment, wo alles zu scheitern droht, gäbe es da nicht erneut so eine Situation, die alles wieder öffnet.

Tatsächlich ist es Boie mit dieser einfachen Geschichte gelungen, das ganze Drama der Gegenwart zu erzählen – und zwar konsequent aus der Perspektive der wirklich Betroffenen, der aus einem intakten Leben Herausgerissenen, heimatlos Gewordenen, die die ganze gefährliche Reise auf sich genommen haben in der Hoffnung, in Deutschland wieder ein Stück Heimat zu finden.

Jan Birck hat dazu Bilder gezeichnet, die die einzelnen Szenen dieser Reise stimmungsvoll einfangen. Bilder, die auch die Tristesse deutscher Asylunterkünfte nicht ausblenden und trotzdem die Kinder und ihre Eltern in ihrer ganz selbstverständlichen Suche nach einem neuen Ort, einer neuen Hoffnung zeigen, den Elementen ausgeliefert und den Schwierigkeiten einer Reise, die auch deshalb voller Gefahren ist, weil sich Europa von Anfang an abgeschottet hat.

Den Text von Kirsten Boie hat Mahmoud Hassanein ins Arabische übersetzt. Das steht dann gleich neben den deutschen Textpassagen, sodass das Büchlein auch wieder ein Buch ist für all jene Kinder, die jetzt nach ihrer langen Flucht in Deutschland gelandet sind. Manche werden ihre eigene Geschichte darin wiederfinden, die Ängste, als sie aus den vom Krieg zerstörten Städten flohen, die Not auf den Schiffen und die lange, unsichere Reise durch Länder, die sich für die Flüchtlinge nicht öffnen wollten.

Und im Anhang gibt es noch ein kleines deutsch-arabisches Wörterbuch, mit dem man die ersten Worte der jeweils anderen Sprache lernen kann. Ein Buch also, wie es jetzt gebraucht wird – als Türöffner und Brückenbauer. Und das mit einer Geschichte, die ihre ganze Schwere allein schon deshalb entfaltet, weil sie nur erzählt, was wirklich passiert ist.

Kein Wunder, dass dieses Büchlein schon jetzt Tausende Leser gefunden hat. Auch weil es einen Ton anspricht, der auch all jenen vertraut ist, die – ganz ohne Flucht – in dieser Zeit und diesem Land durch gute und schwere Zeiten gehen müssen; nie gibt es eine Garantie dafür, dass man seine Wünsche in Erfüllung gehen sieht. Aber der Antrieb, weiterzumachen und das Menschenmögliche zu versuchen, ist immer wieder derselbe: Die tiefe Zuversicht – bestimmt wird alles gut.

Kirsten Boie: Bestimmt wird alles gut, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2016, 9,95 Euro.

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Bereits gestern wurde im “Spezial” von MDR Figaro dieses Buch vorgestellt und es hat mich überrascht, dass der Klett Kinderbuchverlag es nicht nur kurzfristig, sondern überhaupt in sein Programm aufgenommen hat. Es ist sehr gut erzählt, keine Frage, die Autorin Kirsten Boie ist versiert, und die Abbildungen von Jan Birck, das zeigt bereits die Leseprobe des Verlages, sind sehr eindrucksvoll. Bisher hat Klett Kinderbuch eine sehr einseitige Linie verfolgt, die vor allem auf “schräge” Effekte aus war. Nun wird das Erzählerische, das Poetische entdeckt – und gibt Hoffnung, dass die Bandbreite des Verlages zu wachsen beginnt.

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