Vor zehn Jahren ging es in Halle ein bisschen hin und her, war man sich nicht so recht schlüssig, ob man in der Saalestadt nun eine Straße nach Felix Graf Luckner, dem "Seeteufel", benennen sollte. Hat er denn nicht die Stadt 1945 vor der Zerstörung gerettet? Ein Gutachten ließ damals die heiße Luft aus der Luckner-Legende. Und in erweiterter Form gibt es die Spurensuche in Luckners Leben jetzt auch als Buch.

Die Autoren sind dieselben, die 2005 das Gutachten verfassten, auf dessen Grundlage der Hallesche Stadtrat dann entschied. Man wollte dann doch erst mal keine Lucknerstraße. Die Felix Graf Luckner Gesellschaft arbeitete derweil weiter, um ihrem Helden ein Plätzchen in Halle zu verschaffen. Zu einem Denkmal ist das noch nicht gereift, aber zu einer Erinnerungstafel. Was so ganz falsch nicht ist. Denn ohne Luckner hätte die Rettung Halles vor dem angekündigten Bombardement durch die Amerikaner im April 1945 wohl nicht so geklappt. Aber der zentrale Platz in der Geschichte gehört ihm eigentlich nicht. Es war eine echte Team-Arbeit, in der – anders als in Leipzig seinerzeit – auch die wichtigsten Vertreter des NS-Regimes, vom Gauleiter bis zum Oberbürgermeister, zumindest passiv mitwirkten, die Zerstörung der Stadt zu verhindern. Dazu kamen engagierte Bürger, die ihrerseits die NS-Größen immer wieder drängten, mit den Amerikanern über eine kampflose Übergabe der Stadt zu verhandeln. Huhold, Hülse, Baltersee, Rheins und Gehlen hießen einige von ihnen. Und sie bereiteten die Kontakte mit den Amerikanern nicht nur vor, sie sorgten nach dem entscheidenden Gespräch ebenfalls dafür, dass der Hallesche Kampfkommandant auch von den Ergebnissen erfuhr, denn Luckner war nach dem entscheidenden Ausflug zu den Amerikanern augenscheinlich völlig betrunken.

Er war – so schätzen es die beiden Autoren ein – dennoch ein Glücksfall für Halle, denn mit seinen jahrelangen Vortragsreisen und seiner Bekanntheit als “Seeteufel” war er nicht nur in Halle eine bekannte Person, er war auch in Amerika kein Unbekannter, denn seine Vortragsreisen hatten den Mann auch über mehrere Jahre in die USA geführt. Er war fit im Englischen und er war als Selbstdarsteller auch problemlos in der Lage, mit den amerikanischen Militärs so souverän zu kommunizieren wie seinerzeit mit der NS-Führung. Eine schillernde Gestalt, das, was man heute einen echten Prominenten nennen könnte. Aber ganz bestimmt kein Widerstandskämpfer.

Da es vor allem um Luckners Rolle in Halle geht, spüren die beiden Autoren dem Grafen vor allem in der Zeit von 1919 bis 1945 nach. Aber um diesen Mann zu verstehen, der im Grunde ein Leben lang von seinem Ruf als einstiger Freibeuter zehrte, müssen sie natürlich auch die Vorgeschichte kurz anreißen mit Luckners zielstrebigem Weg, Offizier in der deutschen Kriegsmarine zu werden, was ihm dann im Ersten Weltkrieg auch gelang, als er mit einem motorisierten Segelschiff zu einer geheimen Mission als Seeräuber auf den Meeren unterwegs war, letztlich ein kurzes Kapitel von kaum zwei Jahren, aber ein Stoff, aus dem Luckner später seine Vorträge und Bücher bastelte, die seine Bekanntheit begründeten und ihn 1933 auch zu einem akzeptablen Sendboten des neu installierten NS-Regimes machten, zu deren Vertretern Luckner augenscheinlich beste Beziehungen knüpfte. Beziehungen, die ihm später auch halfen, einem Prozess zu entgehen. Vorgeworfen wurde ihm aber keine Widerstandsarbeit, sondern “Unzucht mit einem achtjährigen Kinde”, “Blutschande” und – dann vor der Befragung fallen gelassen – Devisenvergehen und das Unterlassen von NS-Propaganda, obwohl er genau dafür Geld vom NS-Regime bekommen hatte, damit er das Schiff “Seeteufel” ausrüsten und zu Vortragsreisen um die Welt fahren konnte.

Aber auch 1939 war Luckner noch viel zu bekannt, ein Aufsehen erregendes Verfahren gegen den Mann wollte auch die NS-Führung nicht riskieren, versuchte den Mann nur irgendwie zu privater Zurückhaltung zu verdonnern.

Mit der Einschätzung der Persönlichkeit dieses Mannes kennen Sperk und Bohse kein großes Pardon. “Opportunismus, Eitelkeit, Profilierungssucht, Selbstdarstellungsdrang und Geltungsbedürfnis” attestieren sie dem gebürtigen Sachsen. Sicher alles Eigenschaften, die man braucht, wenn man sein Leben derart zur Legende machen und mit vollen Vortragssälen und Büchern richtig Geld verdienen will. Und sicher auch von Nutzen, wenn man mit Leuten wie Heydrich, Himmler, Hitler und Funk Umgang pflegte. Wobei Vieles aus dem Leben Luckners nicht mehr wirklich rekonstruierbar ist, weil die nötigen Unterlagen fehlen. Hat der Mann nur aus Neugier Kriegsgefangenenlager und eines der frühen Konzentrationslager besucht? Und wie oft bekam er einen Termin direkt bei Hitler?

Vieles am Leben dieses Mannes ist reine Legende, zu großen Teilen von ihm selbst gewoben als echtes Seemannsgarn, mit dem er Zuhörer und Leser unterhielt. Zu dieser Legende gehörte dann auch seine scheinbar einzigartige Rolle im April 1945, an der dann auch in späteren Jahren noch eine emsige Luckner-Fangemeinde mitwob. Das nahmen die beiden Historiker dann 2005 schon in ihrem Gutachten recht gründlich auseinander, betonen aber auch, dass sich damals durchaus jeder, der mit “dem Feind verhandelte”, in Gefahr brachte. Das wussten auch die Amerikaner, die Luckners Haus nach der Übergabe von Halle besonders bewachten und den Mann ziemlich bald davon überzeugten, lieber in den Westen überzusiedeln. Das erinnert dann doch frappierend an heutige Zeiten, in der ein zunehmend radikalisiertes “Volk” sich wieder ähnlich gewalttätig gegen alles äußert, was in den hochgeschwemmten neuen und alten Chauvinismus nicht hineinpasst.

Andererseits kennt man auch heute diese unvergleichlichen Schaumschläger, die sich ihre eigenen Legenden basteln und damit erstaunliche Erfolge feiern. So betrachtet, war Felix Graf Luckner durchaus ein Prototyp der Moderne, in seinen Nachfolgern und Nachahmern sicher ebenso wirksam in seinem unbedingten Opportunismus. Denn nur so verkauft man sich ja jederzeit immer wieder aufs Neue an ein Publikum, das gern deftige Piratengeschichten hört, wenn die Zeiten eher mau oder grau sind. Ein Bedürfnis, das der Mann wie kein anderer zu bedienen wusste.

Das Buch zeigt ihn in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und man denkt die ganze Zeit beim Lesen an einen begnadeten Schauspieler wie Hans Albers in seiner Rolle als Baron Münchhausen im 1943 gedrehten UFA-Film. Da hätte man sich Luckner durchaus vorstellen können in einer der vielen reich kostümierten Nebenrollen.

Alexander Sperk, Daniel Bohse: Legende, Opportunist, Selbstdarsteller. Felix Graf Luckner und seine Zeit in Halle (Saale) 1919 – 1945, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2016, 12,95 Euro.

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