Drei Leipziger Dichter waren die ersten, die jeweils drei Monate als "poet in residence" in Dresden residieren durften: 2013 Carl-Christian Elze, 2014 dann Bertram Reinecke. Und im warmen Winter 2015 dann Andreas Reimann. Seine Gedichte aus diesen drei Monaten an der Elbe sind jetzt als Publikation erschienen. Und am Donnerstag, 14. Januar, liest er daraus in der Leipziger Stadtbibliothek. Mal so gesagt: ein Heidenspaร.
Was man ja sonst zu Gedichten eher selten sagt. Und in die Gilde der satirischen Dichter der Gegenwart wรผrde man den Dichter, dessen Werk mittlerweile die Connewitzer Verlagsbuchhandlung liebevoll betreut, auch nicht einordnen. Es sei denn, man schreibt satirisch so: satyrisch. Denn seine Gedichte leben nicht vom oberflรคchlichen Klamauk, auch nicht von Sprachspielereien. Im Gegenteil: Er ist ein echter Vertreter der alten und hochklassigen Sรคchsischen Dichterschule (das maรgebliche Sammelwerk dazu hat der Poetenladen 2010 mal verรถffentlicht: โEs gibt eine andere Welt: Neue Gedichte: Eine Anthologie aus Sachsenโ).
Die ist (zumindest in Leipzig) nicht so berรผhmt wie die Leipziger (Maler-)Schule. Aber das hat mit der Belesenheit oder doch wohl besser Nichtbelesenheit der heutigen Politik zu tun. Dichter sind nicht mehr gefรคhrlich. Kein Zensor passt mehr auf, was sie in und zwischen den Zeilen schreiben, ob sie anspielen, andeuten oder sich gar lustig machen รผber mรคchtige Mรคnner und ihre dummen Spielchen.
Warum ist Andreas Reimann noch kein Ehrenbรผrger von Leipzig?
Darf man das fragen?
Man muss. Denn es erzรคhlt eine Menge รผber den Klamauk einer neuen Elite, die gegen Kritik so abgebrรผht ist, dass sie auch nichts mehr lesen oder gar wahrnehmen muss. Das ist eine neue Tragik: In DDR-Zeiten musste Andreas Reimann immer wieder die Willkรผr der Mรคchtigen erleben, die sehr genau lasen, was er schrieb. Jahrelang durfte von ihm nichts publiziert werden, nahmen ihm die grauen Mรคnner genau das krumm, was richtig gute Lyrik ausmacht: das persรถnliche, unverwechselbare Sehen, die genaue, fein nuancierte Sprache und die Fรคhigkeit, im scheinbar Alltรคglichen, in Liebe, Lebenslust und Welterleben seinen Widerspruch deutlich zu machen gegen Missstรคnde, รbelstรคnde, die verordneten Unmรถglichkeiten.
Auf die Idee, so einen Mann, der fรผr sein Lebendigsein tatsรคchlich leiden musste, รผberhaupt einmal als Ehrenbรผrger vorzuschlagen, kรคmen die heutigen Zelebritรคten nicht mal im Traum. Warum auch. Haben sie seine Gedichte gelesen? Oder haben sie einen Schreck bekommen, als sie seinen Leipzig-Gedichtband โBewohnbare Stadtโ von 2009 in die Hรคnde bekamen? Erschrocken darรผber, dass so ein Leipziger Urgestein mit sehr skeptischem Blick dem Treiben und Wandel zuschaut oder gar der manifesten Selbstbeweihrรคucherung auf hoher Marketing-Ebene.
Vielleicht deshalb.
Man sollte es sich mit den Allmรคchtigen nicht verscherzen. Aber: Was bleibt dann zu sagen?
Nichts mehr.
So war es auch nicht erstaunlich, dass Reimann 2014 den Auswahl-Wettstreit fรผr das Amt des residierenden Dresdner Poeten gewann, als dritter Leipziger in Folge. (2016 wird es erstmals ein Bremer Autor sein). Vielleicht auch, weil die Dresdner diesen skeptischen Leipziger Blick auf die Residenzstadt eigentlich lieben. Er hat noch etwas Ermutigendes in einer Stadt, in der regierungsamtliche Brรคsigkeit ansonsten alles einlullt.
Und ganz bestimmt war man gespannt: Wie wird nun dieser Reimann das blattlose, winterliche Dresden beschreiben? Was wird er sehen, wahrnehmen, fรผr wichtig erachten? Wird er ein paar gepfefferte Zeilen auf die Menschheitsverรคchter bei montรคglichen Fahnenumzรผgen schreiben?
Das wรคre sein Ding nicht gewesen. Reimann ist ein stiller Beobachter, ein scheuer noch dazu. In Villengegenden fรผhlt er sich nicht wohl. Selbst das nobel sanierte Quartier, in dem er drei Monate zu Gast sein darf, beeindruckt ihn und verstรถrt ihn: โUnd frรถhlich macht / den gast ein gehรคuse, das hemmungslos prahlt / mit seiner bescheidenheit โฆโ (โKleine Bleibeโ). Wobei Reimann nicht der geschulte Dichter wรคre, wenn er nicht spielen wรผrde mit diesem Ausflug ins Mondรคne. Ist ja nicht so, dass Dichter in L. auf Rosen gebettet sind und mit schniekem Anzug auf den รผblichen Empfรคngen erblickt werden. Was schon immer so war. Die Gastfreundschaft eines Christian Gottfried Kรถrner, der seinerzeit Schiller in Leipzig ein Obdach bot, ist selten geworden. Und damit ist auch den hiesigen Poeten der Weg ins Ruhmeskabinett verwehrt. Denn da kommt man nur hinein, wenn man schon ein Schiller ist. Und zum Schiller wird man nur, wenn Leute wie Kรถrner das ermรถglichen. โEr ist kein schiller, folglich nicht geladen โฆโ
So wird ein Leben in L. zur Erfahrung von Oben und Unten. Da hat sich augenscheinlich Wesentliches nicht geรคndert im feudalen Sachsen. Und in Dresden findet Reimann dann auch einige der Grรผnde dafรผr, warum sich das Gnaden- und Mitleidlose montags auf der Straรe zelebriert. Denn es hat Grรผnde, die mit Abschottung, Verleugnung, รbertรผnchung und falscher Selbstgerechtigkeit zu tun haben.
Das erwischt den eifrigen Spaziergรคnger unvermittelt oben auf den von Villen besetzten Hรผgeln, jener Welt, รผber die Uwe Tellkamp so wortgewaltig, bildreich und dennoch eindeutig geschrieben hat. Da oben stehen nicht nur die Hรคuser, die beim groรen Stadtbrand verschont wurden. Da lebten und leben auch die Arrivierten, Reichen und Berรผhrungsscheuen in ihrer abgetrennten Welt. Eine Welt, die den Dichter unverhofft zu einem Vergleich animiert, der ins Auge sticht: โDie gรคrten vor der bergbewohner villen / (den abgeschmackten und den schรถngestalteten) / sind in berliner hรถhe zugemauert.โ
Das darf man sich ruhig noch zwei Mal durch den Kopf gehen lassen. Und sich auch fragen, was das mit Dresdener Politik und Weltverweigerung zu tun haben kรถnnte.
Reimann ist einer, der sieht die Details. Der sieht, wenn er sich die fein gepflasterten Gehsteige hinaufquรคlt, vorm inneren Augen die Pflasterklopfer, die diese Steinfluten auf Knien hineingehรคmmert haben in den Berg. Und er sieht die Bigotterie des Mรถchtegern-Volks, das sich da montags aus lauter heiligen Gemeinden rund um Dresden aufmacht, um Fahnen zu schwenken. Gibt es das Dorf wirklich, an dessen Ortseingang steht: โVorsicht! Hier wacht jesus christ!โ?
Es wird wohl so sein. Der stille, still erschrockene Dichter erwischt die Selbstgerechten in den kleinen Zeichen ihrer Verlogenheit. Selbst auf dem Trรถdelmarkt in der Markthalle. Der Leser muss Obacht geben, denn der verblรผffende Moment schรคlt sich aus dem stillen Schauen und Beschreiben so unverhofft heraus, dass es einen mit prustendem Lachen aus dem Sessel schmeiรt. Das ist der Satyr, der er immer war, der Lyriker, der die Oberflรคchlichen mit liebevoller Neugier beim Lรผgen und Betrรผgen ertappt. Und das auch noch sagt. Wie beilรคufig, freundlich hingesagt, als wรคre das nicht schwer.
Die โVerwendung der klassischen Formenspracheโ ist รผbrigens eine Grundvoraussetzung fรผr die Bewerbung um das kleine Stipendium. Damit betont der Verein โLiterarisches Dresdenโ auch, wie wichtig ihm die hohe Sรคchsische Dichterschule ist, die sich eben durch hohes Formbewusstsein auszeichnet und damit auch deutlich abgrenzt von Beliebigkeit. Und die Besten haben es immer vereint: die Beherrschung der klassischen Form in all ihrer Melodiositรคt und den frappierenden lyrischen Momenten. Wenn das zusammenkommt, flieรen Gedichte, รถffnen sich und entfalten einen dicht gepackten Reichtum, der auch noch trรคgt, wenn die Ereignisse des Tages lรคngst vergessen sind.
Ist das mit dem Satyr jetzt รผbertrieben? Nicht die Bohne. Reimann kennt seine antiken Motive, beherrscht sein Instrumentarium, das so sanft beginnt und dann trotzdem die entscheidenden scharfen Stiche vollfรผhrt. Nicht nur gegen die August-Glรคubigkeit der Residenzbewohner: โJa, glaubens sind die alten wie die jungen, / sie allesamt wรคrn seinem sack entsprungen. / Auch sei hier jรผngst kein staat kaputt gegangen, / denn unverwรผstlich ist die monarchie! โ โ (Was wohl nicht zufรคllig nach Lessing klingt.)
Wer diesen grimmigen und immer wachen Republikaner aus Leipzig erleben mรถchte, der hat am Donnerstag, 14. Januar, Gelegenheit dazu.
Veranstaltungstipp
Andreas Reimann prรคsentiert seinen neuen Gedichtband
Am Donnerstag, 14. Januar, liest der Leipziger Autor Andreas Reimann um 19 Uhr in der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz aus seinem Gedichtband โGrรผner Winterโ. Mit diesem bibliophilen Band prรคsentiert der Autor neue Verse, die er 2015 wรคhrend seines dreimonatigen Aufenthalts im Buch-Haus in Dresden Loschwitz schrieb. Die anmutigen aber auch aufstรถrenden Gedichte haben Dresden zum Gegenstand, die Landschaft und Gebรคude dieser Stadt. An seiner Seite wird der Leipziger Martin Hoepfner an der E-Gitarre die passende Begleitmelodie fรผr diesen Abend spielen. Der Eintritt ist frei.
Andreas Reimann Grรผner Winter, edition buchhaus loschwitz, Dresden 2015, 14,90 Euro.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher