Das gibt es eher selten: Ein ganzes Buch zu einem spektakulären Bauprojekt. Zu spektakulären Bauten gibt es immer wieder welche. Auch Leipziger Bauwerke bekommen immer wieder eigene Bücher. Und auch die Kongresshalle hatte schon eins: 2011 arbeiteten Mustafa Haikal und Thomas Nabert die Geschichte des Gesellschaftshauses am Zoo auf. Doch seitdem ging ja die Modernisierung erst so richtig los.
Und darüber weiß natürlich niemand so viel wie die betreuenden Architekten von HPP Architekten, einem der renommiertesten Architekturbüros Deutschlands und mit einer repräsentativen Niederlassung auch in Leipzig ansässig. Mit der Sanierung und dem damit verbundenen Umbau des Hauptbahnhofs hat das Architekturbüro den Leipzigern schon einmal gezeigt, was man aus einem 100 Jahre alten Denkmal so alles machen kann. Im Grunde eine Revolution, wenn man sich daran erinnert, dass einige Leipziger sogar demonstrierten gegen Teile der Umbaupläne.
Auch im Vorfeld der Umbauten der Kongresshalle gab es Protest, als bekannt wurde, wie kreativ die Sieger des Architekturwettbewerbs von 2009 mit der Baumasse umgehen wollten. Die Aufgabe war im Grunde dieselbe wie beim Hauptbahnhof: So viel von der denkmalgeschützten Substanz zu erhalten wie möglich, aber den 1899 / 1900 in Windeseile hochgezogenen Gesellschaftsbau auch so sinnvoll umbauen, dass er möglichst viel Platz für ein modernes Kongresszentrum bietet. Wieder hatten sie mit einem Herzensbauwerk der Leipziger zu tun. Und die meisten Leipziger, die sich zu Wort meldeten, kannten den Bau natürlich nur in seinem Zustand, wie er zwischen 1946 und der Schließung 1988 / 1989 war: Hier hatten sie legendäre Gewandhauskonzerte erlebt, Aufritte von Schlagerstars, hatten Vorstellungen im Theater der Jungen Welt im Weißen Saal besucht, Jugendweihen gefeiert und Bälle gefeiert. Rund 2.000 Veranstaltungen fanden jedes Jahr in dem Bau statt, der 1943 und 1945 zwar Bombenschäden erlitten hatte, im Gegensatz zu den meisten anderen Veranstaltungsgebäuden der Stadt aber ab 1946 mit den damals verfügbaren Mitteln recht schnell wieder nutzbar gemacht werden konnte. Federführend war damals Stadtbaurat Walther Beyer, der an vielen Stellen improvisierte und für seine begrenzten Möglichkeiten augenscheinlich geniale Lösungen fand.
Dabei ging natürlich so manches historische Detail verloren. Später sorgten fehlende Reparaturen, Dauernutzung und am Ende auch noch der wilde Auftritt der bfb-Stiefelbrigaden dafür, dass weitere Teile der historischen Substanz verloren gingen.
Die Revitalisierung des Gebäudekomplexes war also zwangsläufig beides: Rettung oder – wie im großen Saal – aufwendige Rekonstruktion historischer Schönheit und die Installation moderner, flexibel nutzbarer Raumlösungen. Denn nur so ergab der 30-Millionen-Euro-Einsatz Sinn: indem – wie von Stadt, Zoo und Messegesellschaft gewünscht – ein multifunktionales Veranstaltungsensemble entstand. Nutzbar für Kongresse, Feste, Ausstellungen, kleine und größere Tagungen. Neben dem Großen Saal, der in reduzierter Form wieder die Jugendstil-Schönheit der frühen Jahre bekam, entstand eine völlig neue Ausstellungshalle direkt unter diesem Saal. Mit dem Weißen Saal wurde ein Stück echter Jugendstil-Schönheit der 1920er-Jahre rekonstruiert, während der Bach-Saal die barocke Schönheit seiner Entstehung in der DDR-Zeit behielt. Es entstanden völlig neue Gebäudeteile, teils als neue Raumangebote (Telemann- und Mahler-Saal), teils als Versorgungstrakt, denn die Messetochter Fairgourmet versorgt alle 14 Räume im Haus mit eigener Küche.
Und in diesem Buch schildern die Architekten, wie das Hausensemble Stück für Stück wiederhergestellt, um- und neugebaut wurde. Es wird von jenen faszinierenden Details erzählt, die mit denkmalpflegerischer Detailtreue wieder ihre alte Schönheit zurückbekamen. Es wird auch von den aufwendigen Verfahren berichtet, ursprüngliche Bauelemente nach alten Fotos zu rekonstruieren – was etwa wichtige plastische Details aus dem Weißen Saal oder eindrucksvolle Jugendstil-Plastiken im Großen Saal betrifft. Letzterer ist ja immerhin das Herzstück der ganzen Anlage, der prächtigste Saal, den man hier für bis zu 2.000 Gäste buchen kann. Doch die Beyer’schen Einbauten der 1940er-Jahre wurden sämtlich wieder entfernt, die Jugendstil-Üppigkeit der frühen Jahre aber wurde eher zurückhaltend wieder neu geschaffen. Wobei auf viele Details verzichtet wurde. Aus Kostengründen, schreiben die Autoren. Aber manchmal ist selbst so ein Verzicht ein Gewinn.
Denn ohne Frage wurde 1899 und 1990 beim Bau des Gesellschaftshauses mit architektonischen Details geklotzt und nicht gekleckert. Auf historischen Bildern wirken die Räume oft gewaltig bombastisch und überladen, fast wie Theaterkulissen für den ganz großen gesellschaftlichen Auftritt. Da wirkt die Schlichtheit der modernen Elemente, die heute das Ganze ergänzen, geradezu wohltuend. Und vor allem macht die Betonung der Übergänge auch deutlich, dass sich die Architekten sehr intensiv mit dem Stil-Mischmasch beschäftigt haben, den sie vorfanden. Der entstand ja nicht erst durch die Anbauten, Erweiterungen und Umbauten ab den 1920er-Jahren. Der steckte auch schon im Bauwerk von 1899 / 1900, einem der typischen Leipziger Vertreter des späten Historismus, als man sich schon nicht mehr darüber stritt, ob man nun Neu-Gotik als Baustil aufgriff, Neo-Renaissance oder Neo-Barock – im Gegenteil: Die Architekten – und in diesem Fall Heinrich Rust – bedienten sich einfach aus allen Stilepochen und schufen regelrechte Potpourries der Zeitepochen. Im Buch wird am Beispiel des Turmes kurz durchdekliniert, wie sich hier gleichsam Formen historischer Stadttore, Kirchtürme und Bergfriede mischten.
Die Autoren schildern nicht nur in knapper Form die durchwachsene Vorzeit, sie gehen sehr ausführlich auf jeden einzelnen Raum ein, schildern die Baubefunde, die Überlegungen und die Wege zur Neugestaltung der Räume. Querschnitte, Grundrisse und viele Bilder mit Gesamtaufnahmen und Details ergänzen die kurz gehaltenen Texte. So entsteht ein Buch für alle, die sich für ihr Leben gern mit baulichen Lösungen, handwerklichen Meisterleistungen und jener Welt beschäftigen, in der Architekten zu Hause sind. Denn diese Leute – so streng sie in ihren Maßzeichnungen sind – müssen ja Phantasie haben. Sie müssen sich schon weit vor Baubeginn ein Bild gemacht haben davon, wie all das später aussehen wird, was sie da konstruiert haben. Ein paar wenige Animationen aus der Planungsphase verdeutlichen diese Visionen. Und viele Fotos belegen nun, wie genau Licht- und Raumwirkungen mitbedacht wurden. Manche Räume möchte man sich eigentlich gar nicht mit Nutzung vorstellen, weil sie als fertiger Baukörper ihre ganze lichtdurchflutete Schönheit zeigen. Aber natürlich geht das nicht wirklich verloren, wenn Menschen die Räume füllen. Das ganze Bauensemble ist auf permanenten Wandel und die verschiedensten Nutzungen hin angelegt. Und es ist wohl wirklich genau das geworden, was sich die Bauherren gewünscht haben: ein deutschlandweit einzigartiges Kongress- und Veranstaltungszentrum in einem historischen Baukörper, der sich nicht versteckt, sondern der mit den modernen Bauteilen eine zwar teilweise nüchterne, aber sinnvolle Symbiose eingeht. Und obwohl der Zoo auf sein altes Zoorestaurant im ehemaligen Wagnersaal verzichten musste, hat er mit dem neu angebauten Palmensaal ein Restaurant bekommen, das auch in anderen Teilen des gastronomischen Leipzig Eindruck schinden würde.
Es ist ein Buch geworden, das im Grunde gleich zwei Wünsche erfüllt – den nach Baugeschichte und den nach architektonischem Detail-Wissen. Und es füllt natürlich die Lücke, wenn mal keine Führungen durchs Haus angeboten werden. Dann kann man hier selber auf Blätter-Exkursion gehen und kommt dabei zumindest visuell auch in Räume (etwa die Dichterzimmer im Turm), in die man als normaler Hausbesucher in der Regel nie kommt.
Falk Jaeger: Kongreßhalle am Zoo Leipzig, Jovis Verlag, Berlin 2016, 42 Euro.
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