Der fehlte noch. Unbedingt. Denn 2015 war nicht nur das Jahr 1000 nach der Ersterwรคhnung fรผr Leipzig. Es war auch der 50. Jahrestag der legendรคren Leipziger Beat-Demo. Die fand am 31. Oktober 1965 statt. Es wird meist einfach ignoriert: Den Herbst 1989 hat auch die aufmรผpfige Musikszene der DDR mit vorbereitet. Darunter natรผrlich ein ganzer Haufen von Leipziger Musikern.
Und das Tragische ist natรผrlich, dass der Kultur- und Kunstsoziologe Thomas Renker fรผr dieses Buch viele der Groรen, die 30 Jahre lang Clubs, Kneipen und Kulturhรคuser zum Beben gebracht haben, SED- und FDJ-Funktionรคre zum Toben und die Stasi zur Weiรglut, heute nicht mehr befragen konnte, weil sie frรผh gestorben sind โ so wie Klaus Renft oder Peter โCรคsarโ Glรคser. Und natรผrlich geht es bei Renker auch kaum um Twist.
Denn Protest war in der DDR in allen Musikstilen zu hรถren, die im Lauf der Jahrzehnte auch den Westen bewegten. Die jungen Leute im Land wollten das hรถren. Und sie fรผllten die Tanzsรคle, wenn die โanderen Musikgruppenโ auf dem Programm standen. 1965 war auch Leipzig vom Beat-Fieber erfasst und dutzende Hรคuser waren beim jungen, lebenshungrigen Publikum dafรผr bekannt, dass hier eben nicht die Wunschmusik der Partei erklang. Aber die SED wรคre nicht die SED gewesen, hรคtte sie auf so viel Abtrรผnnigkeit nicht mit Repressionen reagiert. Sie verbot kurzerhand fast alle in Leipzig aktiven Beat-Gruppen. Und brachte die Jugendlichen der Stadt damit auf die Palme, die sich dann zu einer groรen Demo auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz verabredeten. Doch Polizei und Stasi hatten Wind davon bekommen und zerschlugen die Demonstration, noch bevor sie zustande kam.
Diese Demo gehรถrt ganz zwangslรคufig mit in die ganze Reihe von widerstรคndischen Aktionen, die dann im Herbst 1989 kulminierten, in einer Revolution, die schlicht kein Wunder war, sondern folgerichtig.
Und es war eben nicht nur die Kirche, in deren Rรคumen sich der Widerstand formierte โ auch wenn derzeit sehr christlich versucht wird, die Entwicklung von Opposition und Widerstand ganz im christlichen Haus zu verorten. Das fasst die Vielfalt der Protestformen im โreal existierenden Sozialismusโ schlicht nicht.
Und zur Wahrheit gehรถrt auch: Gegen die zunehmend aufmรผpfigere Musikerszene ging die Staatsgewalt seit den 1960er Jahren immer resoluter und rรผcksichtloser vor. Und wie sie das tat, das kรถnnen im Grunde alle 17 Autoren erzรคhlen, die Thomas Renker fรผr diesen Sammelband gewinnen konnte. Nicht alle sind selbst Musiker โ es sind auch Liedermacher und Schriftsteller dabei, die das Mosaik mit ihren Erfahrungen ergรคnzen. Auch das ist wichtig zu wissen โ dass es in der DDR kaum einen nicht durchherrschten und durchleucheten Raum gab. Und wer im eigenen Lebensumfeld glaubte, einfach frei von der Leber weg reden, singen und sagen zu kรถnnen, der bekam die Brutalitรคt der Mรคchtigen dann zumeist ganz unverhofft in anderen Lebensbereichen zu spรผren: in der Schule, bei der Berufswahl, bei der Armee, am Arbeitsplatz.
Und da viele der hier Schreibenden noch blutjung waren, als sie dem Ruf der Musik folgten, kรถnnen sie auch sehr detailliert erzรคhlen, wie wenig anfangs genรผgte, um in die Mรผhlen der Mรคchtigen zu geraten. Lange Haare, Jeans, Reisen nach Prag, ein paar falsche Fragen โ und schon war man eine Akte beim MfS, beschรคftigten sich allerlei offizielle und geheime Bรผrokraten mit einem und ein vรถllig legaler Ausflug in die CSSR konnte mit einer Verhaftung an der Grenze enden und einer Reise durch Verhรถrrรคume, Knastzellen und immer neue Schikanen, die nichts anderes zum Ziel hatten, als den Ertappten endgรผltig zu kriminalisieren.
Und wo in den 1960er Jahren die reine Freude am Beat, am Blues und am Rock dominierte, haben sich auch Teile der Musikerszene in der DDR zunehmend radikalisiert, nahmen begeistert die neuen Trends in Punk und Metal auf und nahmen in den 1980er Jahren immer seltener ein Blatt vor den Mund und setzten sich auch von den โAngepasstenโ ab, auch wenn selbst die angepassten Musiker und Bands dem zunehmenden Gefรผhl der Lethargie, des Eingesperrtseins und der Tristesse Ausdruck gaben.
Viele der von Thomas Renker Angesprochenen haben freilich die Brรผche in ihrem Musikerleben erst nach 1990 richtig einordnen kรถnnen, als sie Zugang zu ihren Akten bekamen. Was vorher vielleicht geahnt werden konnte, entpuppte sich jetzt als eine systematische Durchsetzung auch der kompletten Musikerszene der DDR mit รberwachern. Mit Betonung auf โauchโ: Die alleinherrschende Partei wollte รผber alles und jeden die volle Kontrolle haben. Und wo Verbote (wie das von 1965) sichtlich nicht funktionierten, versuchte man die Sache wenigstens zu steuern. Wer in der DDR offiziell auftreten wollte, brauchte eine Einstufung und musste dafรผr regelmรครig vor einer Einstufungskommission vorspielen, in der nicht die Musikkompetenz den Ausschlag gab, sondern die parteiliche Einschรคtzung.
Was nicht ausschloss, dass in den Jurys Leute saรen, die so schizophren waren wie das ganze Land: begeistert von der gehรถrten Musik und gleichzeitig Zutrรคger der Macht.
Im Grunde sind diese sehr persรถnlich und in einem wohltuend freiherzigen Stil geschriebenen Texte auch eine sehr farbenfrohe Zustandsbeschreibung eines Landes, in dem der Versuch, die volle Kontrolle auszuรผben, mit der Erkenntnis zusammenprallte, dass ausgerechnet das Kontrollierte das Lebendigste und Beste war, was dieses Land zu bieten hatte. Man begegnet den schlimmsten Feldwebel-Typen, die sich in Deutschland schon jeder Macht angedient haben, man begegnet Untertanen und falschen Fuffzigern โ man begegnet aber auch Armeeoffizieren, die im Privatleben aus der verordneten Rolle ausbrechen, Funktionรคren, die strafversetzt wurden, weil sie zu menschlich reagiert hatten, aber auch hilfreiche grauen Schatten, die versuchen, die eisigen Eskapaden ihrer KollegInnen zu reparieren.
Natรผrlich erfรคhrt der Leser auch von den vielen Verรคnderungen, die die Musikszene in der DDR vorangetrieben haben. Auf kaum einem Feld war in diesem Land so viel Bewegung. Und auf kaum einem hechelten die Mรคchtigen den Verรคnderungen so hilflos hinterher wie auf diesem. Was wohl einer der Grรผnde dafรผr ist, dass die Zugriffe in den 1980er Jahren zunehmend ratloser wurden. Das Muskelspiel der 1970er Jahre, bei dem nicht nur Musikerkarrieren zerstรถrt, sondern auch Menschen regelrecht kaputtgemacht wurden (nicht zufรคllig empfanden viele Kรผnstler Bettina Wegners Lied โSind so kleine Hรคnde โฆโ als punktgenaue Beschreibung des erlebten unmenschlichen Zustands), das war dann in den 1980er Jahren schon deutlich zurรผckgenommen. Man versuchte mit vermehrten Ausreisegenehmigungen โden Dampf aus dem Kesselโ zu lassen.
Aber schon das war ja Eingestรคndnis genug fรผr einen unaushaltbar gewordenen Zustand, der nicht nur mit zunehmend verrottenden Infrastrukturen und permanentem Mangel an professionellem Musikerbedarf einherging.
Natรผrlich legen viele der hier sprechenden Musiker den Schwerpunkt auf die staatlichen Schikanen. Das sitzt als Stachel tief im Fleisch und kann auch nicht wirklich abgegolten werden. Aber natรผrlich bleibt trotzdem auch viel Raum fรผr die Schilderung des musikalischen Lebens, den unerwarteten Erfolgen in tiefster Provinz, der Begegnung mit einem Publikum, das genauso sehnsรผchtig nach anderen Tรถnen und voller Trรคume war. Man staunt als Leser eigentlich eher darรผber, mit welchem Tempo diese Zeit eigentlich gerast ist, obwohl man doch das zugehรถrige Land in der Erinnerung nur noch als erstarrt und ergraut vor Augen hat. Ein nur noch aus Provisorien zusammengeflicktes Gebilde, in dem die Staatsmacht mit ihrer unbรคndigen Erziehungswut nur noch als fremd und hรถhnisch erlebt werden konnte. Zumindest von all denen, die mit ihrem gar nicht ausgefallenen Wunsch nach einem freien und offenen Leben ziemlich schnell mit der Staatsmacht aneinander gerieten.
Wer wollte, konnte einen Teil dieser aufmรผpfigen ostdeutschen Musikgeschichte schon 2006 in der Ausstellung โRock!โ im Zeitgeschichtlichen Forum sehen. Bernd Lindner, der im Buch รผber den โAm Fensterโ-Moment schreibt, war damals Kurator der Ausstellung. Dass Leipzig in dieser Geschichte der ostdeutschen (Jugend-)Musik immer wieder auftaucht, hat natรผrlich auch mit der Musikausbildung in dieser Stadt zu tun. Die wichtigsten Musiker haben hier allesamt eine professionelle Ausbildung erhalten.
Und dass das ganze triste Land mit seinen Wohn-, Arbeits- und Ausstattungsproblemen mitbeleuchtet wird, ist ja folgerichtig. Das Gefรผhl, wie es im City-Song โAm Fensterโ schlieรlich zum Klassiker wurde, war ja allgegenwรคrtig. Ein Gefรผhl, das in dieser Form rund 25 Jahre lang fast vergessen war.
Man darf durchaus erschrecken, wenn jetzt grimmige Politiker wieder von Zรคunen, Mauern und Grenzen schwadronieren und graue Menschen fรผr eine Art โHeimatโ demonstrieren, die penetrant an genau das erinnert, wogegen die lebendigsten Musiker des Ostens einst angesungen haben. Freiheit ist nicht teilbar. Und sie ist auch keine Gnade, die mรคchtig gewordene Parteifunktionรคre einfach gewรคhren kรถnnen oder verweigern. Der Rock und Blues der DDR haben schon immer รผber die engen Grenzen so einer Welt hinausgereicht. Das Einzige, was diese Musik heute kaum noch auszuhalten macht, ist ihre tiefe Traurigkeit. Aber auch das klingt als Wehmut in vielen dieser sehr persรถnlichen Geschichten mit. Denn irgendwann bleibt nur noch die Trauer รผber das Verunmรถglichte, wenn ringsum alle Auswege verbaut sind.
Es heiรt da und dort, die Friedliche Revolution hรคtte keine Lieder gehabt.
Das brauchte sie wohl auch nicht. Denn alles, was gesagt werden musste, war vorher schon gesungen worden. Und es galt, was auch Gorbatschow so ungefรคhr gesagt haben soll: Wer zu spรคt kommt, den bestraft das Leben.
Thomas Renker (Hrsg.) Eingemauerter Twist, Passage-Verlag, Leipzig 2015, 14,50 Euro.
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