Da hat sie sich wohl nicht entscheiden können, die kreative Autorin aus Berlin, welchen Titel sie nun wählt für ihr Buch. Und nun ist dieser Zwitter draus geworden: Ein durchgestrichenes "Zurück nach Lima" und ein "Der vergiftete Prinz". Warum tun sich Autorinnen so schwer, eindeutige Überschriften für ihre Liebesgeschichten zu finden?

Der vergiftete Prinz kommt eigentlich gar nicht vor in dieser Geschichte über einen berühmten schwedischen Autor und die Liebe seines Lebens, nur als Traumfigur in einem Text, der irgendwie der großen geheimnisvollen Sie zuzuordnen ist, die an dieser Stelle einen Traum erzählt. Und da dieser Traum gleich in Nachbarschaft zur großen Abschiedszene erzählt wird, könnte der vergiftete Prinz der Autor selbst sein, der der eindrucksvollen Künstlerin heillos verfallen ist. Vielleicht in Liebe. Wahrscheinlich in Liebe.

Liebe ist ja bekanntlich alles Mögliche – manchmal auch eine Obsession, eine Sucht, ein Gift. Es gibt ja Leute, die sind richtig froh, nicht mehr verliebt zu sein. Endlich befreit von diesen ganzen Erwartungen, Abhängigkeiten, Sensibilitäten, den Hoffnungen und Unmöglichkeiten. Und das Schlimmste an diesen wirklich aufwühlenden Beziehungskisten ist ja: Sie sind voller Tretminen, Fallstricke und Gefahren. Ja kein falsches Wort, keinen falschen Zungenschlag, und die Geliebte packt die Koffer und rauscht davon.

Natürlich nicht auf Nimmerwiedersehen.

Deswegen irritiert das “Prinz” so sehr, denn die eigentliche Prinzessin ist diese launenhafte Sie, an die der sterbende Schwede in seiner Wohnung in Lima am Ende noch einen dicken Brief schreibt, vollgepackt mit seinen Erinnerungen und Texten über die große Liebe seines Lebens. Irgendwie soll sie noch einmal alles wissen und erfahren.

Dabei weiß er ja, dass sie alles weiß. Davon erzählt ja nun ausgerechnet das hübsche Textbruchstück auf Seite 72: “Na, haben wir es vergeigt?”

Aber jawollo, ratzekahlo, kompletto.

So ist die Liebe: ein launiges Spiel. Bis es in die Hose geht. Bis sie einen Satz so versteht, wie sie ihn im Moment unbedingt verstehen will, und den er so nicht wirklich gemeint hat. So beginnen Paartragödien: Er sagt. Sie interpretiert. Er streitet ab. Sie mutmaßt. Er versucht zu beschwichtigen. Sie wird immer heftiger. Denn jetzt will sie es wissen, jetzt will sie den Angebeteten runterholen vom Sockel und ihm zeigen, was Konsequenz bedeutet. Richtig echte weibliche Konsequenz. Wie bei Julia und wie die ganzen Biester aus der Weltliteratur alle heißen: Türenschlagen, Kofferpacken, Abrauschen und Verschwinden.

Und dann gerettet werden wollen. Oder doch lieber nicht.

Es ist erstaunlich: Ja, dies ist ein ganz aus weiblicher Perspektive geschriebener Liebesroman. Ein sehr emotionaler und sensibler, sehr poetisch, man merkt, dass die Autorin die poetischen schwedischen Autoren genauso liebt wie die heißblütigen Lateinamerikaner. Ihre Geschichte schwebt zwischen den Welten und Landschaften. Ein bisschen wie in den Geschichten von Isabel Allende, ein bisschen fragmentarisch wie bei Italo Calvino.

Und dann?

Dann inszeniert sie ihren Abschied und verschwindet. Und zwar so, dass er sie nicht mehr finden kann.

Und er fängt sein Leiden und seine Sehnsucht in Texten ein, Erinnerungsfragmenten, Traumstücken. Manche sind aus ihrer Perspektive geschrieben, so dass irgendwie eine doppelte Geschichte dieser Liebe draus wird. Doch da auch noch die Erinnerungsstücke aus ihrer Vorgeschichte folgen, kriegt man am Ende so eine Ahnung, was ihm da passiert ist. Und was Männern, die lieben, immer wieder passieret. Ging ja auch Heine schon so. Da sind zwei unabhängige Geister aufeinander getroffen und haben sich sofort verstanden, geliebt und vereint. Das ist eigentlich der Traum, der ganz große, den Viele träumen und nur wenige erleben.

Und der nicht dauern darf, sonst wäre es ja kein Traum mehr, sondern etwas völlig anderes.

Vielleicht hätte der große L. Sternberg einfach mal ihren Bruder fragen sollen, wie das Mädchen in seiner Kindheit so war. Aber wer fragt schon die Brüder der Geliebten? Und schon gar nach den Geschwisterkriegen der Kindheit?

Und: Was nützt das denn, wenn man das ausgewachsene Wesen liebt und genau weiß, dass man sich eigentlich keinen Fehler leisten darf?

Das ahnt der große Schriftsteller zwar, aber dafür hat er ihr ja ihre Freiheit zugestanden. Was nur wenige Männer tun. Die meisten sind besitzergreifend – Frauen übrigens auch. Oder doch eher kontrollsüchtig?

Das ist auch egal: Diese beiden sind es nicht. Und es gibt auch schon vor dem knallenden Verschwinden der eigensinnigen Künstlerin die Momente, in denen er nicht weiß, ob sie wieder zum Treffen kommt. Er ahnt zumindest, dass er sie verlieren kann – plitzplauz und von eben auf gleich.

Das ist schwer auszuhalten.

Und so wie man die Geschichte lesen kann, hat er es am Ende auch nicht wirklich ausgehalten und hat bis zu seinem Tod darunter gelitten. Weswegen es nun diese Fragmente einer großen Liebe gibt, die am Ende nicht daran scheiterte, weil zwei sich hier aneinander aufgerieben haben und kaputtgenervt, wie das eher der Normalfall ist in vielen Beziehungen. Die beiden haben ihre Liebe gelebt und sogar die Zuschauer beeindruckt (und wohl auch dazu beigetragen, dass ein paar Leute ihre eigenen verfahrenen Beziehungen beendet haben).

Und nur wenn man seine Liebe tatsächlich so lebt – im Wissen darum, den Anderen wirklich zu meinen, dann ist auch das möglich, was hier passiert: Die Sache gründlich zu vermasseln.

So gesehen: eine sehr romantische Geschichte. Aber auch sehr weiblich. Ja, so sind sie wirklich. Konsequent, dass es manchmal richtig weh tut – und zwar beiden.

Und was hilft das den männlichen Lesern? Vielleicht hilft als Trost, es könnte eine reineweg erfundene Geschichte sein. Auch das wird unterwegs als Möglichkeit angeboten, nichts als ein erfundener Roman, als eine rein fiktive Liebe.

Wenn man nicht wüsste, dass das gar nichts daran ändert, weil sich die (erfundenen) Protagonisten in der Wirklichkeit oft genauso verhalten. Mit allen Folgen für Leib und Leben. Und die, die das nie erlebt haben, verstehen auch nicht, warum man so etwas gründlich vermasseln kann.

Ankalina Dahlem Zurück nach Lima.Der vergiftete Prinz, Merlin Verlag, Gifkendorf 2015, 22 Euro.

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