Dass sie eigentlich nicht alle in so ein kleines Mini-Buch passen, das ist Hagen Kunze sehr wohl bewusst. Wer wirklich auch nur die berühmtesten Sachsen in einem Buch versammeln wollte, der müsste schon an ein großes und dickes Format denken. Im Mini bleibt die Auswahl immer subjektiv. Aber auch das zeigt ja, dass dieses Ländchen was zu bieten hatte: Könige, Musiker, Erfinder.

20 Personen passen rein – mit Bild und kurzem Text. Und nicht jedes kleine deutsche Ländchen würde auch Kandidaten für eine Rubrik Menschenfreunde zusammenbekommen. Hahnemann und Schreber finden hier ihr Plätzchen, was sicher da und dort einen kleinen Aufschrei ergeben dürfte: Schreber mit seinen recht martialischen  Korrektur-Vorschlägen für Kinder? In gewisser Weise schon, betont Kunze. Manchmal werden Personen und ihr Anliegen wirklich erst verständlich, wenn man sie aus ihrer Zeit heraus begreift. Auch wenn Schreber natürlich nur indirekt für die Kleingärten mit seinem Namen verantwortlich ist.

Aber auch Luthers Katharina hat Kunze hier untergebracht – womit er natürlich den Rahmen sprengt und nach Sachsen-Anhalt schaut. Dafür ist Luther nicht drin. Da bleibt Kunze eigenwillig. Sein Bedürfnis, auch manchen nicht so oft Gefeierten ein Plätzchen zu verschaffen, ist unübersehbar. Und richtig. Denn wer sich allein auf Typen wie August den Starken konzentriert (der natürlich drin ist), begreift gar nichts – außer die residenzliche Königstreue der Dresdener. Und der Rest? Der findet sich eher in durchaus schrägen Gestalten wieder – in Karl May etwa, dem berühmtesten Autor aus Sachsen gleich neben Lessing und Erich Kästner. Wer liest, weiß, was für eine völlig unkönigliche Welt das eigentliche Sachsen ist, das arbeitsame, fischelante, umtriebige, das mit Fleiß und kritischem Kopf immer auch Neues probiert. So wie Wagner und die Neuberin.

Und wer hätte den Typus der Sachsen je so prägnant gefasst wie Lene Voigt? Sie ist drin. Das freut die Leipziger. Und Gerd Fröbe ist auch drin, der berühmteste Volksschauspieler aus Sachsen. Und um zu beschreiben, warum er so auswählt, zitiert Kunze extra einen Preußen, einen der besten und aufmerksamsten: Theodor Fontane. “Die Sachsen verdanken das, was sie sind, nicht der Gemütlichkeit, sondern ihrer Energie.”

Denn wenn ein Ländchen so zwischen die Fronten der großen Mächte gerät, wie das Sachsen seit Adam Ries (der ist auch drin, natürlich) immer wieder passierte, dann kann man mit Waffen und gedrillten Armeen nicht reüssieren, dann kann man sich nur mit Fleiß behaupten, den Handel fördern und den Unternehmergeist (dafür stehen Namen wie Böttger und Benz, aber auch eigentlich Friedrich Eduard Bilz). Man könnte hunderte Weitere nennen. Deswegen ist Kunzes Büchlein eher ein Lockangebot für Neugierige, eines, das wirklich neugierig macht, denn was man vermisst, muss man suchen. Der Name Liebknecht fällt zumindest, auch wenn in diesem Fall August Bebel wichtiger war. Im Kopf rattern da sofort die Namen, wer noch alles fehlen würde, wenn das ein vollständiges Lexikon der wichtigen Sachsen hätte werden sollen. Die Leipziger werden nicht nur Bach vermissen, wo doch Wagner, Clara und Robert Schumann im Buch sind.

Aber Kunzes Auswahl funktioniert gerade deshalb: Er lässt so pfiffig weg, dass der Leser selber merkt: Ja, für Große Sachsen ist dieses Format eindeutig zu klein. Dieses Ländchen sprengt eigentlich alle Buchdeckel, ist von innen viel größer, als es von außen aussieht.

Und es fällt ebenfalls auf: Eigentlich hätte der Autor auch August den Prächtigen weglassen können. Denn der Bursche ist trügerisch, sein vergüldetes Königtum übermalt die ganze sächsische Geschichte und sorgt bis heute dafür, dass alle Welt glaubt, das echte Sachsen sei im Dresdner Barock zu finden. Und nur dort.

Was auch mit einem oberflächlichen Marketing und einer feudalen Tourismuspflege zu tun hat. Was auch regelmäßig dazu führt, dass Städte wie Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Freiberg oder Meißen fast unsichtbar werden hinter der Dresdner Coselei und Augusterei. Während der Dresdner Moritz eher untergeht, obwohl er (wie einst Otto der Reiche) für Sachsen und seinen Aufstieg deutlich mehr getan hat als der titelsüchtige August. Hagen Kunze erwähnt immer wieder, wo es angebracht ist, die sächsischen Fürstenschulen, die Moritz gegründet hat (bevor er sich in einer blödsinnigen Schlacht gegen Albrecht von Brandenburg hat aufspießen lassen) und aus denen reihenweise kluge Köpfe hervorgegangen sind, vorgesehen eigentlich für die professionelle Verwaltung des Landes, aber immer wieder sind auch hochkarätige Erfinder, Wissenschaftler, Schriftsteller daraus hervorgegangen. Womit Kunze das andere Feld nennt, das Sachsen seit Moritz’ Zeiten stark gemacht hat: Bildung.

Und da schaut man wieder in dieses königsvernarrte Dresden von heute und bekommt das große Jammern, weil auch das Thema unter den Hammer der politischen Makler gekommen ist. Gülden angemalt wird die Sache nicht besser. Nein, man wünscht sich wirklich nicht noch weitere Auguste in Sachsen, dafür den einen oder anderen Moritz.

Hagen Kunze Große Sachsen, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2015, 5 Euro.

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