Irgendetwas passiert immer, wenn sich ein Dutzend mordlustiger Leute zusammenfindet und darรผber nachdenkt, was man so zu Weihnachten anstellen kรถnnte. Oder mit nervigen Drรผckerkolonnen, mit sรคchsischen Provinzen, in Kirchen oder an anderen unheimlichen Orten. Klar: รœber diverse blutige Mordmethoden denken sie auch nach. Aber da ist noch etwas.

Das schleicht sich so unterschwellig rein, wenn man die erste Geschichte liest รผber Manni, den frisch aus der Haft Entlassenen, der sich den Kopf zermartert darรผber, wie er in der ungeschรผtzten Welt da drauรŸen irgendwie wieder Tritt fassen kรถnnte. Schon da merkt man, dass in der Runde der Autorinnen und Autoren rund um den fhl-Krimi-Stammtisch in den letzten Jahren etwas passiert sein muss. Etwas, was die Runde zum Nachdenken gebracht hat irgendwie. Das schรถne Drauflosmorden mit allerlei Giftpflanzen, mit bรถser Schadenfreude oder dรผsterer Hintergrundatmosphรคre โ€“ schรถn und gut. Da entstehen dann schnell lesbare Bรคndchen mit allerlei flotten Mรถrdchen. Aber das beiรŸt sich nicht wirklich mehr fest, das grรคbt sich nicht ein und das berรผhrt die Leser auch nicht mehr dort, wo es richtig weh tut.

Und es sorgt nicht fรผr diese Besorgnis, die sich beim Lesen aufbaut, diese Besorgnis, ohne die Literatur nun mal nicht auskommt: Geht das denn gut?

Und das hรถrt mit Eva Lirots Manni nicht auf, der sich alle Mรผhe gibt und doch am Ende froh ist, wieder zurรผckzudรผrfen. Das geht mit der kleinen Diebin in Andreas M. Sturms Weihnachtsmarktgeschichte โ€œDie Waffen der Frauenโ€ weiter, die eine hรผbsche Professionalitรคt entwickelt hat, ihre Geschรคfte zu erledigen, aber in Lebensgefahr gerรคt, als sie einem Ganoven aus der ganz schweren Kriminalitรคt ins Gehege kommt. Und auch dem vรถllig heruntergekommenen Gisbert von Koch in Hughues Schlueters โ€œDer schรถne Scheinโ€ wรผrde man eher ein paar vernรผnftige Entscheidungen fรผrs Leben wรผnschen und nicht dieses Hasardspiel um tolle Immobilienkรคufe โ€“ weiรŸ man doch eigentlich, dass einem da die Haifische alle รผber sind, dass man solche Geschรคfte nur mit eiskaltem Herzen durchziehen kann, sonst geht es erbรคrmlich in die Hose.

Das geht munter so weiter in diesem Bรคndchen, nur da und dort mogelt sich doch wieder eine jener genรผsslich gebastelten bรถsen Geschichten hinein, in denen es nur um den Plot geht, das diebische Vergnรผgen am kuriosen Fall. Aber diese Geschichten dominieren nicht mehr. Mal ist es das Opfer, mit dem man mitzittert und hofft, es gerรคt nicht in den Schlamassel, mal der Tรคter. Mal ist nicht zu entscheiden, ob der Tรคter nicht eigentlich selbst Opfer ist oder Engel, selbst in der durchaus obskuren Geschichte um den Boutique-Besitzer Weihnacht, der mit dem Herrn Lichtlein die Rettung in verkรคuferischer Not sieht, denn eigentlich lรคuft der Laden ja nicht mehr. Da wird ein vergeigter Weihnachtsverkauf schnell zur Katastrophe. Und man spรผrt auch hier, dass auch die kleinen Hรคndler, die Trรคumer und Arbeitslosen sowieso mittlerweile lรคngst das Gefรผhl haben, in diesem Land auf brรผchigem Eis zu leben. Jeder Fehler kann zum Absturz fรผhren. Und nicht mal ein ererbtes Unternehmen bietet Sicherheit, wie Kalle in Martina Arnolds โ€œDrunter und Drรผberโ€ erfahren muss. Auch er ein Typ, der eigentlich nicht mehr in den Geist unserer Zeit passt, in der eiskaltes Kalkรผl รผber alles geht und Mitgefรผhl bestraft wird โ€“ wenn nicht von eisigen Mรถrdern, dann vom noch eisigeren Markt.

Oder von der Konkurrenz, die sich in heutigen globalisierten Zeiten gern so benimmt wie einst die italienische Mafia: Es wird geklaut und beschissen. Wie in Frank Kreislers โ€œWeihnachtslichtโ€.

In diesem Fall ist der Tod zwar nicht Kalkรผl, passiert aber doch.

Und in mindestens zwei Geschichten โ€“ Franziska Steinhauers โ€œWรผnscheerfรผllerโ€ und Patricia Holland Moritzโ€™ โ€œOut of Orderโ€ โ€“ wird ganz tief hinabgetaucht, wird eigentlich thematisiert, wie sich die Gnadenlosigkeit an der Oberflรคche unserer Gesellschaft in der Gefรผhllosigkeit ganz unten auswirkt, austobt in von Tyrannen beherrschten Familien, in gelebter Angst und ohne Hoffnung auf Hilfe. So wird โ€“ auch wenn das alles frei erfunden ist โ€“ doch ein Stรผck Wirklichkeit sichtbar, der Kellerbestand unserer Gesellschaft, in der eine Menge von Geld besessener Leute nur zu bereit sind, auch noch die letzten Sicherungen rauszuschrauben und die Heizung auszudrehen. Kostet ja alles nur โ€œunserโ€ Geld, wessen auch immer.

Und wer wรผsste das besser als der aus Lateinamerika geflohene Kyle in Anne Mehlhorns Geschichte โ€œDer letzte Auftragโ€, der ja erlebt hat, wie billig ein Menschenleben wird, wenn ein Land den kriminellen Banden ausgeliefert ist. Es ist fast eine Geschichte zur randalierenden deutschen Tagespolitik, in der Leute sich zu Wortfรผhrern aufwerfen, die nicht einmal mehr zu ahnen scheinen, wohin Gesellschaften abdriften, wenn Gewalt regiert und der Preis von Menschenleben nur noch von der Bereitwilligkeit der Auftraggeber abhรคngt, die Kopfjรคger zu honorieren.

Irgendetwas ist da also passiert in dieser noch vor einiger Zeit recht frรถhlichen Krimiautoren-Runde. Da ist ein erstaunlicher Ernst eingezogen, auch eine spรผrbare Betroffenheit, als wรคre ihnen allen das Lachen in der Kehle stecken geblieben, seit groรŸmรคulige Politiker sich wie Panzer benehmen und nicht mal mehr darรผber nachdenken, was sie damit anrichten โ€“ auch im Herzen unserer Gesellschaft.

Es ist offenkundiger geworden, dass Vieles nur noch schรถner Schein ist und dass all jene, die noch Gefรผhle zeigen, auf einmal selbst zum Angriffsziel werden. Und dass sie jetzt merken, dass sie eigentlich alle schutzlos sind und nur hoffen kรถnnen, dass der Weihnachtsmann echt ist und kein verkleideter Killer.

Ein gut Teil der Geschichten in diesem Band halten, was der Umschlag verspricht, sind vor allem deshalb spannend, weil man mit den auftretenden armen Wรผrstchen mitfiebert und hofft, dass sie nicht unters Messer kommen. Da und dort gibt es auch รœberraschungen, ist es nicht der Weihnachtsmann, der das Blutbad anrichtet. Aber das ist kein Trost in einer Welt, in der die meisten Opfer nicht nur arme, sondern auch einsame Schweine sind. Es wird zwar eine Menge gequatscht und palavert in unserer Zeit โ€“ aber hinter den Kulissen herrscht das Schweigen, das den Bรถsen im Dunkeln erst die Freirรคume schafft, ihre Taten zu begehen โ€“ ungehรถrt, ungesehen. Selbst in der Weihnachtsnacht.

Ausnahmen bestรคtigen die Regel โ€“ wie in Ingrid Schmitzโ€™ โ€œFette Beuteโ€, wo sie Emmi mal eine richtig dicke Weihnachtsgesellschaft serviert. Aber dass es so ausgeht, damit darf man nicht unbedingt rechnen. Aber wem sagen wir das: Weihnachten wird wieder hart und man tut gut daran, dem Kerl im roten Mantel auf keinen Fall die Tรผr zu รถffnen.

Andreas M. Sturm (Hrsg.) Weihnachtsmorde, fhl Verlag, Leipzig 2015, 12 Euro.

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