Es ist ein dicker Klopper: 600 Seiten über den nach Brecht erfolgreichsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts. 2003 ist Peter Hacks gestorben, unzeitgemäß, wie er gelebt hatte. Doch der Erfolg vieler seiner Stücke zeigt auch: Da muss etwas gewesen sein, was den Mann und seinen Traum für Publikum, Regisseure und Kritik spannend gemacht hat.

Dass das ausgerechnet der Kommunismus war, dürfte diesen Band über Leben und Werk von Peter Hacks, den Jochanan Trilse-Finkelstein quasi als Krönung seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Theaterschaffen von Hacks geschrieben hat, nicht ganz einfach machen. Ist der Kommunismus nicht tot? Gestorben 1989 oder 1990, als das ganze östliche Staatensystem quasi über Nacht die Farben wechselte? Wirtschaftlich gescheitert? Oder gar an der eigenen Hybris?

War der Kapitalismus nicht letztlich erfolgreicher, attraktiver und deshalb am Ende der Sieger?

Nicht für Hacks. Der hatte 1955 – obwohl als Dramatiker schon erfolgreich – den Westen verlassen und war in die DDR übergesiedelt, überzeugt, dass da das bessere Gesellschaftsmodell ausprobiert würde und auch die richtige Bühne wäre für seine Art Dramatik, in der er sich schon früh mit gesellschaftlichen Utopien und dem Weg ihrer Verwirklichung beschäftigte. Nicht nur in Dramen, sondern auch in einem reichen essayistischen Werk. Und eine gültige Biographie über den Dramatiker fehlt sowieso. Trilse-Finkelstein, als Theatertheoretiker viele Jahre auch selbst in Kontakt mit Hacks, schien wie prädestiniert, diese Biografie nun zu schreiben. Er hat’s nicht getan. Dazu ist er selbst zu sehr Essayist. Und so arbeitet er sich erst einmal durch die ganzen Schriften, die zur Verfügung stehen – neben den veröffentlichten Werken (noch zu Lebzeiten von Hacks erschien im Eulenspiegel Verlag die 15-bändige Gesamtausgabe) auch durch den Nachlass im Literaturarchiv, im Wesentlichen die Briefe an seine Freunde und  Kollegen, die zumeist in prägnanter Form Aussagen zulassen über seine Welthaltung.

Das Ergebnis ist: ein dicker Essay in vielen Kapiteln, in denen Trilse-Finkelstein versucht, das Material einigermaßen zu ordnen, jeden Namen und jede Etappe einigermaßen umfassend abzuarbeiten und dabei auch immer seinen Hacks zu finden. Das kann nur skizzenhaft bleiben, weil der Autor auch versucht, keine marktgefällige Biografie mit Enthüllungen aus dem persönlichen Leben zu schreiben. Dass er von einigen heutigen Marktgepflogenheiten gar nichts hält, das lässt er mehrfach durchblicken. Andererseits nutzt er die Gelegenheit, um auch ein eigenes Bild der Literaturgesellschaft in der DDR zu zeichnen. Mit reicher Kenntnis der Theaterwelt, die Trilse-Finkelstein auch selbst als Kritiker und Theoretiker über Jahrzehnte begleitet hat. Und in Berlin saß er ja quasi in der ersten Reihe, wenn die besten Schauspieler des Landes auf den beliebtesten Bühnen des Landes im DT oder im TiP spielten. Da begegnet einem im Grunde die Creme de la creme der ostdeutschen Dramatik, kommen die Streitfragen ins Bild, mit denen sich Hacks beschäftigt, Regisseure und Schauspieler. Und früh wird deutlich, wie Hacks seinen eigenen Weg geht und das Projekt Sozialismus aus einer Perspektive betrachtet, die heute schwer nachzuvollziehen ist, aber im Lauf des Buches immer verständlicher wird. Denn während für viele namhafte Autoren der DDR das Projekt einer neuen Gesellschaft auch immer eine menschliche und moralische Frage war und sich die kritischen Töne zu einer erstarrenden Funktionärskaste seit den 1960er Jahren mehrten, nahm Hacks schon früh die Position des Philosophen ein, der sich über die Dinge stellt.

Das wird in diesem Buch noch deutlicher, erst recht, wenn Trilse-Finkelstein im zweiten Teil seines Buches in die Analyse des Werks einsteigt, das er natürlich vom Ende her interpretiert – und bewundert. Und natürlich stellt er sich die Frage, ob da eine rote Linie ist und der Weg des Dramatikers nachvollziehbar ist. Da bietet Hacks selbst jede Menge Stoff, denn theoretisch hat er sich immer intensiv mit Brecht, Goethe, Shakespeare und Hegel auseinandergesetzt. Seine Dramenstoffe “entlieh” er sich im alten Griechenland genauso wie aus der Bibel oder bei fast vergessenen Russen. Und das Stichwort Goethe fällt nicht ohne Grund, denn während sich seine Kollegen im Osten noch mit der “neuen Zeit” und der “Übergangsgesellschaft” herumschlugen und allesamt immer kritischer und ungläubiger wurden, rief Hacks quasi schon mal zur sozialistischen Klassik auf – und er schrieb auch mit diesem Anspruch seine Dramen, von denen viele – egal, ob Operette, Komödie oder Farce – eine unübersehbare Utopie eingeschrieben haben.

Man darf an Goethes “Faust” denken und liegt richtig, ebenso, wie man mit Shakespeare richtig liegt – und am Ende auch mit Iwan dem Schrecklichen, denn die Russen-Trilogie, in der sich Hacks mit den großen Umbrüchen der russischen Geschichte beschäftigte, macht auch seine Skepsis deutlich. Trilse-Finkelstein will es nicht als Depression deuten, eher als späte Variation über den Niedergang großer Reiche. Und über die Rolle einzelner Persönlichkeiten, die Geschichte machen, indem sie handeln. Was aufs Engste mit der Sozialismus-Interpretation von Hacks zu tun hat, der Politiker wie Stalin und Ulbricht positiv sah, als notwendig betrachtete für die Schaffung einer neuen Gesellschaft. Dahinter steht seine Überzeugung, dass der Sozialismus die aristokratische Herrschaftsform geradezu erzwingt. Anders gehe es gar nicht. Anders ließe sich eine ideale Gesellschaft gar nicht schaffen.

So entsteht der “Hauptwiderspruch zwischen Realität und Utopie”, den der Künstler beschreiben müsse. “Hinter diesem Widerspruch stand und steht der – immerhin ewige – klassische zwischen der besten aller wirklichen und der aller möglichen Welten, d.h. der zwischen Leben und Ideal”, beschreibt es Trilse-Finkelstein, der dieses utopische Moment in fast allen Dramen von Hacks nachweist. Dazu steigt er auch schon mal etwas tiefer in die Werkinterpretation ein, zitiert auch eifrig und entschlüsselt die handelnden Personen des Dramas.

Dabei kommt eher selten so eine Art Vexierbild der DDR-Politik heraus, auch wenn sich Hacks unübersehbar emsig mit dem Thema Sturz und schwacher Nachfolger beschäftigt, als es 1971 zum erzwungenen Rücktritt Ulbrichts kam. Was Hacks auch auf DDR-Bühnen beliebt machte, denn wie kein anderer brachte er den eigentlich drögen Stoff DDR in Königsdramen auf die Bühne, auch wenn seine Könige zuweilen im alten Frankenreich oder gleich ganz in der Antike angesiedelt waren. Er maß das Funktionärskönigreich an der Utopie eines idealen Königtums – und am Ideal einer Welt, in der die freie Entwicklung Aller die Grundbedingung für eine sich frei entfaltende Gesellschaft ist. Das ist Marx. Viel mehr hat Marx eigentlich nie über den Kommunismus geschrieben. Und Hacks eigentlich auch nicht: Das Künftige erscheint bei ihm stets nur als utopischer Ausblick.

Und im Unterschied zu anderen behielt er diese Position auch bei, als die DDR 1990 quasi zu Markte getragen wurde. Und damit für ihn auch ein Projekt, das eigentlich auf die Ewigkeit angelegt war. Er blieb also ein Autor, der zur Reibung herausforderte. Und sein Essayist ist durchaus überzeugt, dass sich die Menschheit messen lassen muss an der Utopie, denn es hänge auch ihr Überleben davon ab. Weltvernunft nennt es Hacks in einem Gedicht namens “Geistergeburtstag”, aus dem Trilse-Finkelstein auch den Buchtitel genommen hat: “Ich hoff, die Menschheit schafft es.” Mit Vernunft.

Eine Frage, die durchaus zum Streit anregt – denn es gehört schon eine gehörige Portion Kaltblütigkeit dazu, in Napoleon nach wie vor den “Erben der Revolution” zu sehen. Peter Hacks als “angedachter Neuzeit-Bonapartist”? Ein gar nicht so abwegiger Gedanke, der zumindest den Reiz hat, dass man auch die übliche Geschichtsschreibung mal aus anderer Perspektive betrachtet – all diese patriotische Verklärung etwa des alten Preußen (und des abtrünnigen Generals Yorck) auch in der DDR. Der heutige Nationalismus hat auch was mit dem angemalten Preußen-Patriotismus der weiland verschiedenen DDR zu tun. Kann es sein, dass die Funktionäre der deklarierten Utopie selbst nicht wussten, wohin sie eigentlich wollten? Und dass die Dramen von Peter Hacks deswegen immer auch als Kritik an den Allmächtigen (die so ohnmächtig waren, dass es am Ende nur noch tragisch war) verstanden wurden? Im Osten noch mehr als im Westen, auch wenn sein klassischer Impetus auch dort für Theaterfurore sorgte. Denn eines hatten beide Gesellschaften irgendwann gemein: die fehlende Vision und das unübersehbare Fehlen klassischer Größe.

Da denkt man freilich auch wieder an Brecht (den Hacks mehrfach umkrempelte, umstülpte (wie er es bei Hegel gelernt hatte) und dann doch wieder zitierte und neu verarbeitete), der durchaus aus bester Erfahrung vor interessanten Zeiten warnte. Die sind zwar immer gut fürs große Theater, gar für den so gern kopierten und doch nie erreichten Shakespeare – aber für das einzelne Individuum werden sie in der Regel zur Katastrophe.

Am Ende sind die 600 Seiten eine literarische und interpretatorische Annäherung an Peter Hacks, sein Denken, sein Werk und das, was ihn umtrieb – reich gespickt mit eigenen Wertungen und Einordnungen, die Trilse-Finkelstein selbst vornimmt. Aber vielleicht ist das durchaus der richtige Schlüssel zu diesem Werk, von dem einiges zu anspruchsvoll ist, um es zu inszenieren, und anderes auch künftig Theatererfolge garantieren dürfte – zumindest, wenn Regisseure irgendwann mal aufhören, die Bühne als Heilanstalt für ihre wunde Seele zu betrachten, sondern wieder auf die klassischen Maßstäbe fürs Theatermachen zurückkommen. Jochanan Trilse-Finkelstein glaubt nicht so recht daran, dass das heutige Regisseurtheater das noch kann. Aber andererseits schreibt er tapfer an der Tastatur so ein Buch, das wie ein Stein des Anstoßes in der Landschaft liegt.

Jochanan Trilse-Finkelstein Ich hoff, die Menschheit schafft es, Araki Verlag, Leipzig 2015, 48 Euro.

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