Die Idee, solche Kurz-Krimi-Sammlungen zu einzelnen Lรคndern aufzubereiten, ist nicht neu. Der Regio-Krimi blรผht landauf, landab. Und die Leser kaufen. Der Bedarf nach dem Blick in die Abgrรผnde unserer Gesellschaft ist augenscheinlich enorm. Da wรคre eigentlich fรผr den Leipziger fhl Verlag gar keine freie Nische gewesen. Nu grade, sagten sich dann aber die dem Verlag verbundenen Krimi-Schreiber.
Das Ergebnis ist ein besonderes geworden. Nicht ohne Grund spricht der Verlag im Untertitel von Thriller. Tatsรคchlich merkt man schnell, dass hier der Altmeister des ostdeutschen Thrillers, Jan Flieger, einen gewissen Einfluss geรผbt hat. In vordenklichen Zeiten hat er sein Krimi-Leser-Publikum damit in helle Aufregung versetzt, als er einen Krimi direkt aus der finsteren Perspektive des Tรคters geschrieben hat. Damals ein Novum, gehรถrt es heute zum Repertoire vieler Krimi-Autoren, denen es nicht ganz so wichtig ist, ob ein Fall nun gelรถst wird und ein Rรคtsel gelรผftet, sondern die โ mal mit mehr, mal mit weniger Einfรผhlungsvermรถgen โ versuchen, die Motive und Gefรผhlslagen der Tรคter zu ergrรผnden.
Denn natรผrlich gilt: Das Bรถse ist immer und รผberall. Es steckt im bravsten Mitbรผrger und Polizisten. Denn Mord und Totschlag sind selten kalkuliert, und wenn, dann hat man es in der Regel mit durchaus krankhaften Charakteren zu tun, denen die Regeln unserer Welt am Ende egal sind, die Obsession ist alles, Mitgefรผhl und Mitleid kennen sie nicht. Klingt schon wieder wie ein kleiner gesellschaftlicher Ausflug, soll auch einer sein. Denn wer sich so intensiv mit den Motiven des ganz gewรถhnlichen Verbrechens beschรคftigt, der weiร eigentlich, dass es auch die ganz normalen Motive fรผr alles andere sind โ fรผr Machtgelรผste, Vorteilsnahmen, Korruption, Lรผgen, Tรคuschung, Erpressung, Nรถtigung in Politik, Kunst, Fรถrderpolitik, Familie, Freundeskreis, Partei, Verein, Unternehmen usw.
Die klugen Polizisten wissen es auch. Und suchen nicht nach Verbrechern, wenn sie einen Fall aufklรคren wollen, sondern nach Motiven.
Und auch wenn diese dreizehn kurzen Geschichten alle voller Spannung sind, spielen sie allesamt genau damit. Was sich unterscheidet, sind die gewรคhlten Erzรคhlmuster. Das reicht von der guten alten Schauergeschichte, die Martina Arnold natรผrlich im Landkreis Bautzen spielen lรคsst (mit heulenden Wรถlfen im Hintergrund, wie es sich gehรถrt), geht รผber die Gothic Novel (wie sie dem Leser mit Rudolf Kollhoff im schรถnen Gรถrlitz begegnet (natรผrlich Horror-Filmreif)) bis hin zum kurzen Psychogramm, wie in Anne Mehlhorns Geschichte aus Aue, in der sie zeigt, wie ein selbst durch Drohungen in die Enge getriebener Mensch am Ende jede Kontrolle verliert und selbst zum โMonsterโ wird.
Nicht die einzige Geschichte, die sich sehr sensibel fรผr die Gemengelange im gegenwรคrtigen Sachsen interessiert. Was trรถstlich ist: Zumindest die Krimi-Autorinnen und -Autoren wissen noch, wie schnell Menschen aus der Bahn geraten, wenn der Druck des gesellschaftlichen Umfelds zunimmt. Oder wenn sich ihr engstes Lebensumfeld als Tรคuschung erweist und alle Trรคume einer heilen Welt zusammenbrechen โ wie es in Andreas M. Sturms Geschichte aus der Sรคchsischen Schweiz passiert. Was natรผrlich den eifrigen Krimi-Leser in der Einsicht bestรคrkt, dass man in menschlichen Bezรผgen nicht unbedingt damit rechnen kann, dass die Vernunft die Dinge gestaltet.
Natรผrlich gibt es auch den Typus der einst von Roald Dahl gepflegten makabren Geschichte, in der nun wieder die blรผhende Phantasie des Autors die Hauptrolle spielt. Da kommt es nicht nur auf die mรคrchenhafte Finesse der Handlung an, sondern auch auf die Lust an der kriminellen Bosheit โ was dann Frank Kreisler mal im schรถnen Torgau durchaus blutrรผnstig durchexerziert. Eine recht wilde Geschichte, die sogar ein wenig aus dem Rahmen fรคllt, weil sie rundum eingepackt ist von Geschichten, in denen sich die Autorinnen und Autoren auch รผber Dinge wie Schuld, Sรผhne und Rache Gedanken machen. Oft genug weht die ganz alte Geschichte mit hinein. Auch das gehรถrt ja zu den Einsichten der Gegenwart, dass Geschichte nicht wirklich ruht und abgegolten ist, sondern als Antrieb und Motiv in Menschen weiter wirkt โ erst recht, wenn sie das Gefรผhl haben, niemals Gerechtigkeit bekommen zu haben โ so wie der Groรvater in Romy Fรถlcks โAlte Schuldโ, einer kleinen Gerichtsgeschichte aus Meiรen, oder der Polizist in Stefan B. Meyers โMein erster Mordโ, Handlungsort Dresden.
In das Reich der makabren Geschichte gehรถren aber auch Jan Fliegers โHassโ und Mario Schuberts โMรถrderische Rechercheโ. Und wenn schon alle zehn Landkreise und drei Groรstรคdte Sachsens in diesem Band zum Schauplatz werden (was dann justament die Zahl 13 ergibt), dann muss auch Leipzig drin vorkommen. Dem hat sich dann Patricia Holland Moritz gewidmet, die in diesem Fall sogar ins Reich des Polit-Thrillers gerรคt, in dem noch die unerlรถsten Gefรผhle der unbewรคltigten DDR-Vergangenheit spuken, aufs engste verquickt mit Fรคllen, die ziemlich deutlich an einige Fรคlle des โSachsensumpfesโ erinnern. Da hat also jemand das gerade wieder eifrig verbuddelte Kapitel der jรผngeren sรคchsischen Kriminalvergangenheit nicht ganz vergessen und lรคsst โ quasi ersatzweise โ einen Rรคcher mit scharfem Schuss umgehen in Leipzig. Sie inszeniert es auch hรผbsch mit einer falsch gelegten Spur, so dass die Leser dieser dreizehn Geschichten auch einen hรผbschen Einblick bekommen in die Bandbreite der Schreibweisen in diesem schon recht emsigen Kreis der fhl-Krimiautoren.
In diesem Fall haben sie auch eifrig mit Anspielungen und Hommagen gearbeitet โ wobei der Leser die Vorbilder nicht unbedingt kennen muss, um trotzdem ein leichtes Frรถsteln zu verspรผren. Denn auch wenn hier jede Menge Phantasie am Werke war (โSo etwas gibt es in unserem schรถnen Sachsen einfach nicht!โ), arbeiten die meisten Autorinnen und Autoren mit durchaus plausiblen Motiven. Denn: Auch das alles gibt es in Sachsen. Oder kann es geben. Wenn die Vernunft schlรคft, werden die Ungeheuer geboren. Die Schicht, die den braven Bรผrger von seinen emotionalen Abgrรผnden trennt, ist dรผnn. Wer wรผsste das besser als die Kriminalpolizisten, die am Ende immer rauskriegen sollen, werโs nun gewesen ist?
Kleiner Trost fรผr alle, die an wirklich schwarzen Krimis gern verzweifeln: Da und dort stehen die Beamten am Ende wirklich vor der Tรผr und lassen die Handschellen klicken. Ein bisschen Hoffnung muss schon sein.
Andreas M. Sturm (Hrsg.) Sachsenmorde, fhl Verlag, Leipzig 2015, 12 Euro.
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