Bei Luthers kennt sich die Wittenberger Historikerin Elke Strauchenbruch bestens aus. Immerhin hat sie lange als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lutherhaus gearbeitet. Seit 1990 ist sie Buchhändlerin, hat aber in der Evangelischen Verlagsanstalt schon mehrere Titel veröffentlicht, die Martin Luther mal nicht nur von der wissenschaftlichen Seite zeigen, sondern von der menschlichen.
Der Verlag hat ihre Titel mit ganz viel Liebe mit einer eigenen Reihengestaltung versehen, obwohl anfangs noch gar nicht abzusehen war, dass das mal eine Reihe werden würde. Luthers Wittenberg, Luthers Kinder, Luthers Weihnachten. Das klang nicht nur nach Luther mit Herz, das kam auch so an. Als würde man einfach wieder da anknüpfen, wo man irgendwann im 19. Jahrhundert mal mit der Luther-Verehrung aufgehört hat, weil auf einmal andere Männer wichtiger schienen.
Doch Elke Strauchenbruchs Bücher trafen augenscheinlich einen Nerv, wohl auch bei Lesern, die gar nicht protestantisch gebunden sind, aber trotzdem wissen wollen, was das für ein Mann war, der hinter der größten geistigen Revolution des 16. Jahrhunderts stand. Wo nahm der seine Kraft her? Wie lebte dieser Professor eigentlich, der die Bibel erstmals so saftvoll und wortgewaltig übersetzte, dass sich die Gläubigen wiedererkannten mit ihrem Alltag, ihrem Leben, ihren täglichen Miseren?
Und was die ersten drei Bände auch nur anrissen, war schnell klar: Was weiß man denn wirklich über das tägliche Leben dieses Dr. Martin Luther und seiner Katharina? Zum Beispiel über seinen Garten? Das war dann auch für die Geschichtswissenschaftlerin eine kleine Herausforderung. Aber eine schöne. Denn über Luthers Paradiesgarten weiß man ja so einiges. Paradiesgarten im doppelten Sinn, denn in seinen Predigten und Schriften spielt der himmlische Paradiesgarten natürlich auch eine Rolle. Und im irdischen Haushalt der Luthers war das Selbstgepflanzte und Selbstgeerntete natürlich lebensnotwendig.
Und just als die Wittenbergerin ihr Manuskript in Leipzig abgab, tauchte gleich die nächste Frage auf: Und was kam nun bei Luthers eigentlich auf dem Tisch? Wer kochte? Wo kaufte Katharina ein? Wo ist denn nun eigentlich Katharinas Kochbuch abgeblieben? Hatte sie überhaupt eins?
Wenn irgendwo ein “Kochbuch der Katharina Luther” auftauchen sollte, ist es natürlich ein Fake. Sie hat keins geschrieben. Und so war die Aufgabe für Elke Strauchenbruch natürlich eine kleine Forschungsarbeit. Wo könnte man etwas finden? Wer berichtete eigentlich über die Essgewohnheiten im Hause Luther? – Es gibt Briefstellen, in denen Martin Luther aufs Essen eingeht, teilweise recht deftige, die bis heute den Glauben nähren, Luther sei nach seiner Heirat ein gewaltiger Esser geworden. Andere Zeugnisse seiner Freunde deuten darauf hin, dass dem nicht so war. Es gibt auch Quellen, die belegen, wie schwer sich der ehemalige Augustinermönch, der im Prinzip bis zur Heirat mit Katharina an seinen mönchischen Gewohnheiten festhielt, mit der reichhaltigeren Kost tat.
Wobei auch da die historischen Unschärfen verwirren: Haben die Mönche damals tatsächlich so karg gelebt und gespeist, wie man heute glaubt? Eigentlich doch nicht. Auch über die Klöster Mitteldeutschlands sind durchaus komplexe Küchennachrichten erhalten. Die wenigsten Mönche werden wirklich so asketisch gelebt haben wie Luther, denn die meisten Klöster hatten nicht nur eine große Landwirtschaft, sie hatten auch reich ausgestattete Küchen.
Was die nächsten Fragen nach sich zieht: Wie sah Katharinas Küche aus? War es eine der seinerzeit nicht nur in Wittenberg typischen Schwarzküchen? Von denen ja keine mehr existiert. Wer eine sehen will, muss zur Konradsburg bei Ermsleben am Harz fahren. Ein Foto hat Elke Strauchenbruch mit ins Buch aufgenommen, damit sich die Leser überhaupt vorstellen können, wie zu Luthers Zeit über offenem Feuer gekocht, gebraten, gesotten wurde.
Und die Rezepte?
Eine Annäherung kann das nur werden. Denn aus den Haushaltslisten der Luthers und den Abrechnungen des Wittenberger Rates ist zumindest zu erschließen, welche Zutaten da bestellt und verarbeitet wurden. Und es gibt zumindest ein paar zeitlich nah gelegene frühe Kochbücher aus der Umgebung – nicht nur für die adeligen Küchen, sonder auch für die bürgerlichen. Was natürlich auch diesen Exkurs mit sich bringt: Worin unterschied sich eigentlich die üppige Tafelpracht der Adligen (die Luther des Öfteren einluden) von dem, was bei den nicht ganz armen Wittenberger Bürgern (wie bei Luthers und Cranachs) und was bei den wirklich knapp betuchten Handwerkern und Tagelöhnern auf den Tisch kam? Und welche Rolle spielten die noch lange Zeit gültigen Fastenregeln? Die weniger mit hungern zu tun haben, als man heute gemeinhin denkt, dafür viel mit einer durch diese Regeln bestimmten Abwechslung zwischen “vegetarischer” und fleischhaltiger Kost.
Die Autorin hat etliche Rezepte aus diversen Kochbüchern der Zeit eingestreut in ihren Text – in der Regel dort, wo sie gerade den Hintergrund erklärt etwa zum alltäglichen Biergenuss der Wittenberger (was etwas mit der Qualität des Trinkwassers zu tun hatte), dem reichlichen Verzehr von Singvögeln (was erst im 19. Jahrhundert tatsächlich ein Ende fand – man denke an die Leipziger Lerchen), oder zum allgegenwärtigen Brot als Grundnahrungsmittel, das teilweise auch als Löffel und als Teller diente. Bis hin zu einer kleinen Erläuterung, warum Luther nicht mit der Gabel aß (und Cranach wohl auch nicht, auch wenn das im MDR zuletzt so gezeigt wurde).
Die Wittenberger sind sogar stolz auf diese kulinarische Luther-Verehrung. In der “Alten Canzley” werden allerlei Gerichte angeboten, wie sie auch bei Luthers auf den Tisch gekommen sein mögen. Bis hin zum dünnen Alltagsbier, dem Kofent.
Und auch wenn Dr. Martin Luther gern gut speiste, waren für ihn Völlerei, Trunksucht und Maßlosigkeit der Verdammnis wert. Auch der Rat der Stadt erließ immer wieder Ordnungen, die das Ausarten von Festen und Hochzeiten begrenzen sollten. Wobei so am Rande natürlich auch das Wissen mitschwingt, dass den Menschen des 16. Jahrhunderts die Krisenhaftigkeit ihrer Nahrungsgrundlage nur zu bewusst war. Dürren oder verregnete Ernten konnten sehr schnell zu Knappheit und Teuerung führen, unter denen zuallererst die Armen litten. Auch das ein Thema, mit dem sich Luther beschäftigte.
Am Ende hat der Leser eine recht facettenreiche Vorstellung davon, was in Luthers Zeit alles auf den Tisch kam, wie es in der Schwarzen Küche zubereitet wurde und welche Vielfalt der Speisen zumindest in bürgerlichen Haushalten üblich waren. Und das alles natürlich im Wechsel der Jahreszeiten und mit eigenem Bier, denn die Luthers konnten vom ehemaligen Augustinerkloster auch das Braurecht übernehmen. Am Ende aber kann man sich schon recht plastisch vorstellen, wie die Tafel gedeckt war, wenn Luther seine Tischreden hielt, wie die Bediensteten wetzen mussten, damit die heißen Speisen zumindest warm auf den Tisch kamen, und wie Martin seiner Käthe wohl immer wieder mal sagte, er brauche nichts Besonderes auf dem Tisch. Er habe sich mit “gemeiner Speise” genügt, wie die Autorin Luthers Tischgast Mathesius zitiert.
Elke Strauchenbruch Luthers Küchengeheimnisse, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015, 14,80 Euro.
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