Weihnachten kann noch viel härter sein. Noch viel härter als die Suche nach dem Weihnachtsstern, die Schwarwel in diesem Jahr für alle braven Kinder als Adventskalendervorlesebuch gestaltet hat. Er hat nämlich noch eins gezeichnet. Für die harten Jungs und Mädchen, die, die sich nicht fürchten im Dunkel. Zumindest, wenn ihre Kumpel dabei sind. Sid und Pinkel zum Beispiel.
Das sind die beiden Kleinen in den Schweinevogel-Geschichten – Sid das Ferkel und Pinkel der kleine Pinguin. Manchmal sind sie nur die staunenden Beobachter der Heldentaten von Schweinevogel. So richtig glauben mag man ja nicht, dass Schweinevogel schon ein erwachsenes Tierchen ist. Aber da geht es den Schweinen wie den Menschen: Manchmal fällt das ja tatsächlich richtig schwer. Am einfachsten ist es noch in der Weihnachtszeit. Da darf man die Kleinen ein bisschen im Ungewissen halten und einen auf heimlich machen.
Oder auf unheimlich. Denn Seltsames geht vor in dem Bauwagen, in dem Schweinevogel, Iron Doof und die zwei Kleinen wohnen. Ganz weit draußen am Rande der Stadt auf einer Lichtung. Da kann es schon mal muschebubu werden in der Adventszeit. Alle Lampen aus, unheimliche Stille im Bauwagen und zwei kleine verdutzte Gestalten: Nanu! Was ist da los?
Natürlich rufen die beiden nicht den Klempner oder die Schnelle Hilfe. Die beiden sind nicht so leicht zu schocken (nach einem Leben mit Schweinevogel sowieso nicht). Kann ja auch sein, dass die Lampen einfach nur müde sind. Oder irgendetwas anderes an der Finsternis in der Bude schuld ist. Also ziehen sie los am 1. Dezember, tapfer hinein ins Dunkle, begleitet von Schwarwels selbstgetexteten Strophen, die das Ganze fast zur Moritat werden lassen. Sozusagen einer Moritat zur Weihnachtszeit. Und die kleinen Leser, die hier tapfer mitfiebern, erleben mit, wie das ist in dieser dunklen Wartezeit. Nichts weiß man, fast nichts sieht man. Und eigentlich bleibt den beiden nur ein mutiges Drauflos. Irgendwo muss es ja eine Lösung geben, auch wenn alles so seltsam aussieht, so, wie man manchmal die Welt in abstrusen Träumen sieht: nicht nur finster, sondern völlig verroht. Und in der Dunkelheit glüht ein mächtiger Nikolausstiefel, gefüllt – jawoll – mit lauter Leckereien: “Spinat und Grünkohl im Doppelpack! Und Zuckerstangen mit Sardellengeschmack!”
So etwas lieben Kinder. Und Sid und Pinkel brauchen nicht zu hungern auf ihrer abenteuerlichen Entdeckungstour, die natürlich – steht ja so auf dem Umschlag – genau 24 Tage dauert. Das ist zu Weihnachten nun mal so. Auch wenn andere Kinder in dieser Zeit auf ganz andere Weise verzweifeln, weil mit jeder Shopping-Tour die Wünsche immer größer werden: Mama, krieg ich? Papa, kaufst du mir? Mama, darf ich den …? Papa, schenkst du mir das da? – Und so weiter. Bis am ersten Weihnachtstag alle keine Lust mehr haben und völlig entnervt auf den Berg des Überflüssigen starren.
Da ist es schon besser, die Knirpse rechtzeitig daran zu gewöhnen, dass Weihnachten nicht das Fest des Kaufrausches ist, sondern des Bangen und Zitterns, der Ungewissheit und der Suche. Sie dürfen Sid und Pinkel begleiten durch die Finsternis, die nicht ganz so finster ist, dass man sie nicht sehen könnte bei ihrer Reise ins Ungewisse, beim Stolpern, Klettern und Schlafen. Irgendwie verirrt in Irgendetwas, das sich ab und zu als greller Schrei oder fauchender T-Rex bemerkbar macht.
Und da es eben ein Vorlesekalender für die Adventszeit ist, kommen Sid und Pinkel natürlich rechtzeitig an. Aber wen interessiert schon das Ende, wenn das eigentliche Abenteuer der Weg dahin ist? Schlaue Kinder wissen das und decken sich rechtzeitig vorm Adventsgebimmel ein mit Wollmützen, Rotstiften, Geheimkarten und Taschenlampen. Und wenn sie noch ein bisschen schüchtern sind, lassen sie sich die Geschichte hübsch portioniert von Papa, Opa oder großer Schwester vorlesen. Nur nicht kurz vorm Schlafengehen. Das wäre nicht ratsam, wenn der kleine Entdecker auch noch schlafen soll.
Schwarwel “Schweinevogel und das Weihnachtslicht”, Glücklicher Montag, Leipzig 2015, 14,90 Euro
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