Früher war das mal - hm - ein heidnisches Fest. Dann war es ein christliches Fest. Und dann kam der Coca-Cola-Weihnachtsmann und es wurde eine wilde Konsumorgie, die nun seit Jahren schon im August beginnt, im Lauf von Oktober und November immer süßlicher und im Dezember geradezu zum Alptraum wird. Was tun, fragte sich schon 1957 Dr. Seuss. Aber was hat der Grinch mit Schweinevogel zu tun?

Eine Menge. Wer noch ein bisschen wach ist im Leben, der kennt diesen Widerspruch zwischen der tiefen Sehnsucht nach einem echten Fest des Friedens – und dem täglich wachsenden Entsetzen in der Vorweihnachtszeit, wie diese Sehnsucht missbraucht wird, um die Gier nach immer mehr und immer mehr anzuheizen, Menschen in den Konsumrausch zu treiben und sie mit Wünschen anzufixen, die nichts mit ihrer tatsächlichen Sehnsucht zu tun haben.

Aber ausweichen kann man dem nicht. Es ist überall. Es sabbert in die Innenstädte, die Fernsehkanäle sowieso, in Kinderzimmer und überheizte Büros, sogar in das Partyprogramm von Clubs und Kellern, wo man für gewöhnlich eher keine sentimentalen Wunschmusiken auflegt. Nicht mal in den Morgenstunden, wenn sich die übernächtigten Gäste endlich am Rand der Tanzfläche zusammenfinden und romantisch werden. Wo man dann eher die Ärzte auflegt oder Feine Sahne Fischfilet, als die übliche Merry-Christmas-Absacker.

Aber nicht mal Schweinevogel in seinem Bauwagen weit draußen vor der Stadt ist verschont. Wenn’s abends schneller dunkel wird, wird er sentimental, bekommt Glitzersterne in den Augen und die Vorfreude steigt auf wie Nebel wundersam: Jetzt kann man wieder Sterne sehen. Schweinevogel wohnt wirklich ganz weit draußen vor der Stadt, wo man wirklich noch Sterne sieht und nicht nur das Wabern der Leipziger Lichtersoße, die unten jinglebellt und die Gesichter der rasenden Geschenkesucher grünlich färbt.

So schlimm ist es in Schweinevogels Bauwagen nicht. Eigentlich möchte er ja nur den Weihnachtsstern sehen, der ja bekanntlich immer pünktlich zum Fest erscheint. Zumindest in den heimeligen Geschichten ist das so. Nur diesmal nicht. Denn irgendetwas stimmt da nicht im Schweinevogel-Universum. Das Warten wird nicht nur lang – es fehlt auch was. Und wenn was fehlt, dann wird gehandelt. Noch gibt’s ja immer Galgenfrist für die letzten 24 Tage. Und so wird aus Schweinevogels Sternensehnsucht ein Adventskalendervorlesebuch. Mit 24 Kapiteln, die im Ton recht nah am Seussschen Grinch-Ton sind (Irgendwann verwandelt sich die Vorweihnachtssehnsucht sowieso in eine Grinch-Sehnsucht, in vielen Familien sogar am 25. Dezember, wenn alle merken, dass sie den ganzen teuer verschenkten Babel gar nicht brauchen, was dann wieder die sprießenden Weihnachtsgeschenketauschbörsen freut …) und natürlich mit 24 Schwarwelbildern, die Schweinevogels Sternenreise effektvoll bebildern.

Das kann man alles stückweise vorlesen – jeden Tag einen Vers. Das ist dann was für ganz geduldige Kinder.

Man kann es auch in einem Rutsch vorlesen, idealerweise kurz vor der Bescherung, bevor man den von der Werbung besoffenen Kindern verrät, dass es diesmal tatsächlich nichts gibt. Außer Sternegucken in der Nacht. Kinder, die frühzeitig mit dem Schweinevogel-Universum in Kontakt kommen, wissen, dass das Leben hart ist und dass man von abgehärteten Eltern vielleicht doch lieber nicht verlangt, den neuesten Technikschnulli zu kaufen oder die neuen Hosen, in denen man aussieht, als hätte man eine Windel um.

Diese Kerzenduft-Seligkeit kommt ja eh. Die ist wie so eine Aufblasfigur, an der alle drei Monate lang pusten, bis sie groß und unübersehbar im Tannenwald steht und alle rufen: Ahhhhh… Und die ganz hinten stehen und noch ein bisschen grün aussehen von der wilden Hatz, die ahnen dann in der Regel schon, dass jetzt alle nach Hause rammeln, die Riesenpakete untern Baum wuchten und sich mit aller Macht in die große Auspackerei stürzen, um hinterher so enttäuscht zu sein, dass nur noch eine Packung Taschentücher hilft.

Da könnte Schweinevogel ein echtes Vorbild sein mit seinem so einfachen und so schönen Wunsch. Oder ist dieses fröhliche Schwein einfach nur sentimental bis in den Ringelschwanz? Darf man das eigentlich noch? Sentimental sein in einer Zeit, in der man die Preisschilder dran lässt an den Geschenken, damit ja keiner denkt, man hätte das Zeug billig im Internet ersteigert?

Noch ist ja ein bisschen Zeit, bis der Wahnsinn wieder alle Kanäle bespielt.

Schwarwel “Schweinevogel und der Weihnachtsstern”, ein Adventskalendervorlesebuch, Glücklicher Montag, Leipzig 2015, 14,90 Euro

 

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