Zeitweilig war sie in den vergangenen Jahren der Superstar aus der Bibel: Maria Magdalena. Auch im Mittelalter war sie es immer wieder, auch wenn nicht so recht klar ist, ob sie es war. Denn gerade in der Legendenbildung der katholischen Kirche vermengen sich die Geschichten. Es gibt ja jede Menge Marias in der Bibel. Aber nicht alle sind Mirjam aus Magdala.
Aber auch Autoren und Autorinnen hat diese Frau, die Jesus in den drei Jahren seiner Wanderung begleitete und auch unterm Kreuz stand, als er starb, immer wieder fasziniert. Und immer wieder versuchten sie, über diese treueste aller Anhängerinnen das Phänomen Jesus zu fassen. Bis hin zu der in keiner Bibelstelle belegbaren Gründung der Institution Kirche, mit der sich Marianne Fredriksson (“Maria Magdalena”) 1999 beschäftigte, oder der so schwer greifbaren Liebesbotschaft Jesu, mit der sich Luise Rinsers “Mirjam” 1983 beschäftigte. Ganz zu schweigen von all den zumeist von Männern geschriebenen Romanen über die “Geliebte von Jesus”, genau jenem Stoff, aus dem man die schmalzigen Operetten der Gegenwart basteln kann.
Die unterschiedlichen Mirjams wurden zwar schon seit Jahrhunderten gern vermengt. Selbst Päpste warfen das durcheinander. Aber die promovierte Theologin Angela Elwell Hunt kennt die Bibel und diversen, nicht zum Bibel-Kanon gehörenden Schriften zu gut, um die fußwaschende Sünderin (was eben nicht gleichzusetzen ist mit Prostituierte) nicht mit jener Mirjam zu vermengen, die zu den Frauen gehörte, die nicht nur mit Jesus unterwegs waren, sondern seine Wanderungen wohl auch finanzierten.
Natürlich sind die Stellen in der Bibel trotzdem so spärlich, dass viel Raum zum Rätselraten bleibt. Es gibt ja auch kein Mirjam-Evangelium. Wer diese “Gefährtin” des wandernden Jeschua plastisch machen möchte, muss auch Phantasie mitbringen und natürlich jede Menge wissen über das Heilige Land in der Zeit von Pontius Pilatus, Herodes und den immer wieder aufflammenden Aufständen gegen die Besatzung der Römer. Und dann fehlt immer noch der rote Faden. Was übrigens selbst auf Jeschua zutrifft. Die Evangelien beschränken sich fast ausschließlich auf sein Handeln in den letzten vier Jahren. Auch die vielen Jesus-Romane, die es mittlerweile gibt, versuchen die Figur dieses Wanderpredigers, der in die große Tradition der großen Propheten gehört, der aber (zum Erschrecken vor allem der etablierten Priesterschaft) auch “neuen Wein in neue Schläuche” füllte, immer wieder neu zu konstruieren. Die Wissenschaft steht übrigens vor derselben Aufgabe, denn ein authentischer zeitgenössischer Bericht ist ja das Evangelium nicht. Dazu ist es viel zu spät kompiliert worden und immer wieder auch bereinigt und von “apokryphen Schriften” befreit worden.
Also versucht auch Angela Elwell Hunt, das Leben der Maria aus Magdala zu konstruieren, so, wie es möglicherweise gewesen sein kann, denn wenn sie zu den Frauen gehörte, die die Wanderungen Jesu finanziell ermöglichten, dann liegt es nahe, in ihr eine für die Zeit wohlhabende Witwe zu sehen, die durch die Botschaft des neuen Predigers eine neue Lebenserfüllung fand. Aber wird das schon eine spannende Geschichte?
Da ist die Autorin aus Florida eine waschechte Amerikanerin, von Hollywood geprägt: Die Geschichte braucht Feuer, Gewalt, Dramatik, sie braucht Gute und Böse und sie braucht ein gewisses Pathos. Und welches Reich bietet sich für das große Pathos und die heroische Geste besser an als das Römische mit seinen allgegenwärtigen Truppen und dem strengen militärischen Regime? Und mit dem römischen Zenturio Atticus bringt Hunt einen Gegenspieler in ihre Geschichte, der eigentlich kein Gegenspieler ist. Er ist der Gute, der verkannt wird. So etwas lieben die Amerikaner.
Aber ihre Maria Magdalena sündigt auf eine Weise, die das dramatische Element geradezu in sich trägt: Sie trägt – nachdem sie ihr Haus und ihre Familie durch einen rabiaten Einsatz der römischen Truppen verloren hat – den Hass und die Rachlust in sich. Obwohl sie gerade von der Liebesbotschaft Jeschuas besonders angetan ist. Aber da ist gut Reden: Du sollst auch deine Feinde lieben. Wie macht man das, wenn diese Feinde das Haus zerstört haben, die Liebsten ermordet, das Land unterdrücken, sich rücksichtslos benehmen?
Stellenweise liest sich Hunts Roman logischerweise wie eine Parabel auf den heutigen nahen Osten. Und es liegt auch in der Natur der Sache, dass man in den ach so gut trainierten und militärisch souveränen Römern die heutigen Amerikaner sucht, die sich in ganz ähnlicher Weise als Ordnungsmacht in der Welt tummeln und religiösen lokalen Konflikten genauso ratlos gegenüber stehen.
Und – das ist eher ungewohnt in den meisten christlichen Adaptionen der Geschichte – Mirjam erwartet von Jeschua nicht das Himmelsreich, sie betrachtet ihn eher aus der Perspektive der verschiedenen, seit der Makkabäer-Zeit aufflammenden Befreiungsbewegungen und der alten jüdischen Erwartung des Propheten, “der da kommen soll”, um das jüdische Volk aus der Knechtschaft zu befreien. Noch in den Tagen vor dem Passahfest hofft sie, dieser wundertätige Rabbi würde seine Anhänger jetzt zu den Waffen rufen und das Land befreien.
Doch stattdessen verkündet der seinen Getreuen, dass er demnächst sterben werde. Wie es ja dann auch kommt in der bekannten Inszenierung der Evangelien, die sich in der Erzähllogik eines Romans oft genug als viel zu theatralisch erweist. Aber der Tod am Kreuz ist nicht das Ende der Geschichte. Denn es geht ja um Mirjam, die in der Rahmenhandlung ihr ganzes Leben einem römischen Zenturio erzählt, der sie verhört, nachdem sie sich selbst gestellt hat. Ein Kunstgriff, der ihr Leben wieder mit dem des Atticus verknüpft, der als römischer Soldat keine Familie gründen darf, aber es auch nicht fertig bringt, zum gefühllosen Befehlsausführer zu werden.
Die vielen Zutaten ermöglichen natürlich, tatsächlich einen Lebensroman der Frau aus Magdala zu schreiben, sich ihr mit einer gewissen Prise Dramatik zu nähern und damit das Melodramatische zu vermeiden, mit dem andere Autoren, die sich der Jesus-Geschichte annehmen, ihre Bücher gern füllen. So wird Mirjam aus Magdala zwar zu keinem Popstar, aber zu einer Frauengestalt, die in der Szenerie der Jahre um 30 im besetzten Judäa authentisch wirkt, zerrissen von Widersprüchen, die auch ahnen lassen, wie es damals in dieser Region gärte und warum neben den vielen apokalyptischen Strömungen hier auch das Urchristentum entstehen konnte.
In gewisser Weise ist Hunts Geschichte der Versuch einer Parabel: Ihre Mirjam findet erst über ihre Tat zur Erkenntnis der Nächstenliebe. Ein Teil der Dramatik steckt freilich auch darin, dass es da eigentlich schon zu spät ist. Zumindest für alle Leser, die der Hoffnung sind, dass sich die Dinge im Diesseits zum Guten wenden müssen und nicht erst nach ihrem Tod.
Der Roman erschien übrigens 2006 unter dem Titel “Magdalene” auf Englisch und ergänzt nun das Programm biblischer Frauen-Romane im Benno-Verlag.
Angela Hunt “Maria Magdalena. Ein biblischer Roman“, St. Benno Verlag, Leipzig 2015, 16,95 Euro.
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