Punkt für Punkt füllt sich die Landkarte. Immer neue großformatige Publikationen aus der Reihe "Orte der Reformation" erscheinen und stellen all jene Städte vor, die vor 500 Jahren im Zentrum standen, als Luthers Thesen die Welt veränderten. Grimma darf natürlich nicht fehlen, schon wegen Katharina nicht. Man kann sie sogar besuchen.

Zumindest die Reste des Zisterzienserinnenklosters “Marienthron” im Ortsteil Nimbschen, wo sie bis zur spektakulären Flucht am Ostersonntag 1523 als Nonne lebte. Sie lebte nicht schlecht da: Aus einer verarmten Adelsfamilie stammend, war das für sie eine der wenigen Möglichkeiten, nicht nur versorgt zu sein, sondern auch eine gute Bildung zu erhalten. Und ein “schreckliches Schicksal” war der Klostereintritt nicht wirklich: Marienthron war ein reich belehntes Kloster. Hier lernte die junge Katharina zu wirtschaften. Und bis heute sind die Umstände der Flucht der neun Nonnen 1523 – vielleicht gar in Heringsfässern – nicht wirklich geklärt.

Wahrscheinlich war die Flucht weit weniger spektakulär, als uns manche wilde Geschichte weismachen will. Möglicherweise war sie sogar gut organisiert, denn Katharina hatte nicht nur enge Verwandte im Kloster – die Klosterbewohnerinnen waren augenscheinlich auch bestens darüber informiert, was in Kursachsen seit 1517 geschah, zu dem Grimma damals ja gehörte, anders als Leipzig, das noch immer zum albertinischen Herzogtum zählte. Im albertinischen Herzogtum musste die Einführung der Reformation bis 1539 warten. Was ja bekanntlich auch zu einer Abwanderung wichtiger Leipziger Drucker nach Wittenberg und nach Grimma führte, denn mit katholischen Schriften konnte man in Sachsen damals kein Geld mehr verdienen – und die Lutherschen Schriften wurden von Herzog Georg verboten. Der hatte sich nach der Leipziger Disputation, der er noch wohlwollend gelauscht hatte, zunehmend zu einem Gegner der Reformation entwickelt. Auch aus Machtkalkül – denn die Fürsten, die damals die Reformation übernahmen, stellten sich gegen den Kaiser, der nur zu willig dem Papst folgte. Und der Papst war, was Reformen in seiner Kirche betraf, mehr als hartleibig.

Die großformatigen Hefte “Orte der Reformation” sind jedes für sich eine Art etwas groß geratener Reisebegleiter. Es gibt einen kleinen, detailliert beschriebenen Stadtrundgang, auf dem man die wichtigsten Gebäude und Plätze kennen lernt, die man kennen muss, wenn man sich vorstellen möchte, was hier vor 500 Jahren geschah.

Dazu gehört im Fall Grimma auch wieder (wie in Torgau, Wittenberg, aber nicht in Leipzig) das Schloss der Landesherren, das heute Gericht und Staatsanwaltschaft beherbergt. Dazu gehört die Kirche des einstigen Augustinerklosters, das Luther schon 1516 zusammen seinem Vorgesetzten und Beichtvater Johann von Staupitz visitierte. Natürlich auch das unverwechselbare Rathaus, das heute noch vom Stolz der alten Handwerker- und Händlerstadt erzählt, die relativ zeitnah zur Leipziger Stadtgründung erfolgte: An diesem wichtigen Übergang der Mulde wollten die Wettiner ihre Handelsstraße sichern. Dass sie dabei ein Plätzchen ausgesucht hatten, dass zwar gut passierbar war und später auch ideal für jene prächtige Pöppelmannbrücke, auf die die Grimmaer bis 2002 so stolz waren, hat natürlich eine Schattenseite. Im schönen, aber engen Muldental gelegen, wurde Grimma im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Opfer der Flut.

Also gibt es zur Stadtgeschichte natürlich genauso ein Kapitel zur Flutgeschichte, zur Geschichte des Schlosses und der Kirchen – der geretteten (wie der Klosterkirche, die nach 1990 und Jahren der Vernachlässigung als neuer Kulturort wiedergewonnen wurde) und der verlorenen (wie der Nikolaikirche). Ein Kapitel widmet sich auch den Thomanern, die hier 1943 bis 1945 in der alten Grimmaer Fürstenschule unterkamen, nachdem auch Leipzig Opfer der Bombenangriffe wurde. Natürlich gibt es auch ein Kapitel zur legendären Fürstenschule, einer der drei berühmten Fürstenschulen in Sachsen, die ohne Reformation und neue Bildungsideen gar nicht denkbar waren. Heute findet man in dem imposanten Bau, der anstelle des alten Augustinerklosters entstand, das Gymnasium St. Augustin.

Auch Albrecht der Beherzte bekommt ein Porträt, weil er 1443 im Grimmaer Schloss geboren wurde. Er ist einer der beiden Knaben, die beim Altenburger Prinzenraub entführt wurden. Der andere hieß Ernst. Und nach dem Tod ihres Vaters Friedrich II. teilten sich beide brav das Land, erst einmal friedlich, weil Albrecht sich als Feldherr in allerlei europäischen Kriegen verdingte – aber nach seiner Heimkehr fing der Ärger an, die Brüder schafften es doch nicht, friedlich nebeneinander zu leben und es kam zur berühmten Leipziger Teilung von 1485, die bis heute Folgen hat. Die ernestinischen Teile lagen fast alle im heutigen Sachsen-Anhalt und in Thüringen, die albertinischen fast alle im heutigen Sachsen.

Luther fand später Schutz beim ernestinischen Friedrich dem Weisen, der auch über Grimma herrschte. Das ist das Schöne an diesen Heften, dass diese zwar alles Wissenswerte in viele, reich bebilderte Artikel aufsplitten, aber auch die nötigen Erzählungen zur Vorgeschichte nicht weglassen. Geschichte wird erst begreifbar, wenn man das Wichtigste – auch aus der Vorgeschichte – miterzählt.

Aber nicht nur die Kirchen der Stadt werden besucht, sondern auch die Museen, wo ein Teil dieser Geschichte anschaulich wird, neben dem Kreismuseum gibt es auch noch kleine Texte zu den “neueren” Orten Grimmaer Sammelfreude – von der Schaddelmühle über den Wilhelm-Ostwald-Park bis hin zum Seume-Haus am Markt und dem Göschenhaus. Für Leipziger ist das alles quasi Wochenenderlebnis. Mit Fahrrad oder Zug ist man schnell mal in Grimma. Und zu Luthers Zeiten sind die Leipziger die Strecke auch zu Fuß gelaufen, wenn sie mal einen evangelischen  Gottesdienst erleben wollten.

Und so nebenbei erfährt man natürlich auch, dass der sächsische Lutherweg durch Grimma führt. Etwas anderes war ja auch nicht denkbar: Man kommt von Wurzen und Trebsen die Mulde herauf und wandert weiter nach Colditz. Und in Grimma sind mehrere Stationen des Lutherwegs erlebbar. Genug eigentlich für mehr als nur ein Wochenende. Leipzig liegt übrigens am westlichen Ast des Lutherweges, der von Borna über Markkleeberg und Leipzig nach Eilenburg und Bad Düben führt.

Orte der Reformation, Band 24 “Grimma”, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015, 9,90 Euro

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