Das Vorhaben war ehrgeizig. Ein Jahr lang wollte der Berliner Fotograf Sören Kohlhuber Neonazis kreuz und quer durch die Bundesrepublik hinterher reisen. Das Vorhaben, sich in allen 16 Bundesländern auf der Straße über Taktiken und Strategien der Szene zu informieren, gesteht der Autor im Vorwort ein, habe er verfehlt. Das E-Book, das bei dem Versuch entstanden ist, kann ab sofort im Netz erworben werden.
Kohlhuber ist in Antifa-Kreisen kein Unbekannter. Das Facebook-Profil des reisefreudigen Fotografen zählt über 4.100 Likes. Der Flickr-Account, auf dem der freie Journalist seine Aufnahmen publiziert, avancierte binnen weniger Jahre zu einer nützlichen Informationsquelle für Journalisten und Antifa-Gruppen. Die Reise durch Neonazi-Deutschland führte Kohlhuber 2014 von Rostock nach Wunsiedel, von Cottbus nach Koblenz. Insgesamt 18 Reportagen hat der Verfasser für sein Buch zusammengetragen. In Sachsen bereiste er Veranstaltungen in Döbeln, Dresden und Freiberg.
Allerdings gelang es Kohlhuber nicht, wie ursprünglich geplant, Demonstrationen in allen 16 Bundesländern aufzusuchen. In Baden-Württemberg fand ein geplanter Naziaufmarsch nicht statt, weil eine Kameradschaft kurz zuvor vom Innenminister verboten worden war. In manchen Landstrichen fänden sich keine rechtsextremen Strukturen, die so schlagkräftig wären, dass sie eigene Demonstrationen organisieren würden. Ferner hätten ihm Terminschwierigkeiten einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Der Leser erfährt schon in der Danksagung (“Alerta Antifascista!”), auf wessen Seite der Autor steht. Kohlhuber beobachtet nicht distanziert, sondern ergreift kompromisslos Partei für diejenigen, die sich den Rechtsextremen widersetzen. Und er wird nicht müde, polizeiliches Einsatzhandeln, das sich gegen diese Menschen richtet, zu kritisieren. Haben die Beamten einen rechten Aufmarsch durchgesetzt, so ist dies per se verwerflich. Verhinderten sie antifaschistische Gegenaktionen, verdienen die “Raubtiere in Grün und Blau” schärfste Kritik.
Die große Schwäche der Publikation ist das Lektorat. Der Verfasser mag mit einem fotografischen Auge gesegnet sein. Ein starker Geschichtenerzähler ist er leider nicht. Das narrative Level erinnert unfreiwillig an das erzählerische Niveau eines durchschnittlichen Fußball-Fanportals. Inhaltliche Unstimmigkeiten und zahlreiche Rechtschreibfehler bestätigen obendrein das landläufige Vorurteil, im digitalen Selbstvertrieb könne jeder alles veröffentlichen. Die Gründe, warum sich für das ehrgeizige Projekt kein (Szene-)Verlag fand, gehen aus dem Vorwort leider nicht hervor. Eine professionelle Begleitung hätte dem Buch gut getan.
Blendet man die angesprochenen Schwächen aus, bleibt ein Reisetagebuch, untermalt mit zahllosen Schnappschüssen und garniert mit ein wenig linksradikaler Ideologie. Aufschlussreiche Erkenntnisse über die Organisationsformen und Strategien des deutschen Rechtsextremismus liefert das E-Book kaum. Kohlhubers Fangemeinde wird die Publikation trotzdem für 4,99 Euro downloaden. Allein schon, um dem ehrgeizigen Autor auf diesem Weg einen Teil seiner Spesen zu erstatten.
Sören Kohlhuber: Deutschland, deine Nazis. 263 Seiten. Erschienen am 19.08.2015 im Selbstverlag. E-Book, 4,99 Euro
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